Von Judenwegen zum Israel-Trail

Rastlos, wurzellos wandert er seit Jahrtausenden durch die Geschichte des Abendlands. Mit einer besonderen Nähe zur Natur wurde der ewig „wandernde Jude“ aber nie verbunden. „Denn der Jud und die Natur, das ist zweierlei, immer noch“, hat Paul Celan einmal gemeint. Gleichsam als Motto führt Gisela Dachs dieses Zitat in ihrem neuen Jüdischen Almanach an, der diesmal das Verhältnis zur „Natur“ erkundet und damit Celans Behauptung überprüft.

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Gisela Dachs (Hg.): Natur. Erkundungen aus der jüdischen Welt. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 224 S., € 23,70

Dass „der Jud“ vor allem ins Kaffeehaus gehört, wurde auch in koketter Selbstironie gern festgestellt. Dennoch finden sich zahlreiche Zeugnisse für eine besondere jüdische Naturverbundenheit, eine besondere Liebe zur Landschaft, gipfelnd in der sorgsamen Achtung vor der Schöpfung Gottes und aller seiner Wesen.

Diaspora. In seinem Beitrag über „Deutschjüdische Landschaften“ stellt Michael Brenner fest, dass vor dem Krieg zwar 90 Prozent der österreichischen Juden in Wien lebten, das Bild des urbanen Großstadtjudentums also einige Berechtigung hatte, es andererseits ab dem 16. Jahrhundert in Deutschland spezielle „Judenwege“ gab, auf denen sich die jüdischen Hausierer abseits der allgemeinen Verkehrswege durch die ländliche Umgebung bewegten, auch um drohenden Übergriffen auszuweichen. Deutsche Juden liebten und idealisierten die Natur, junge Zionisten etablierten Wandervereine.

„Die Alpen machen keinen Unterschied zwischen Jud und Christ oder Arier, sie werfen ab, wen sie wollen“, erklärt Robert Schindel die Liebe der Juden zu den Bergen. 1924 schloss der antisemitische Alpenverein jüdische Mitglieder aus, ein „Kurbäderantisemitismus“ sogar schon davor jüdische Sommerfrischler.

„Die Alpen machen keinen Unterschied zwischen Jud
und Christ oder Arier, sie werfen ab, wen sie wollen.“
Robert Schindel

Israel. Erst die Besiedlung Israels ermöglichte auch eine Rückkehr zur Natur, Gestaltung und Kultivierung der Landschaft. Die Wüste, für europäische Einwanderer ein mystisch-mythischer Herkunftsort des biblischen Volkes, zum Blühen zu bringen, war das Ziel zionistischer Siedler. Ideologisch aufgeladen war die Aufforstung des Landes, übrigens fast ausschließlich mit Kiefern, wie es Irus Braverman in ihrem Beitrag über den Jüdischen Nationalfonds darstellt. Tel Aviv wurde als Gartenstadt konzipiert, allerdings „mit dem Rücken zum Meer“, zu dem die Gründerväter offenbar eine gespaltenes Verhältnis hatten, weshalb die Hauptverkehrsstraßen sich nicht zur Küste öffnen, wie Avrama Golan beobachtet.

Ein neuer Zugang zur Natur und ihrem Schutz, zur Flora und Fauna des Heiligen Landes und eine neue Spezies des wandernden Juden etwa auf dem „IsraelTrail“ wird in anderen Beiträgen des Bandes offenbar. Für die innige Naturverbundenheit seiner Autor:innen weist die israelische Literatur viele Belege auf, ein schönes Beispiel findet sich in Meir Shalevs Betrachtung der Jahreszeiten.

Wie in allen ihren bisherigen „Erkundungen aus der jüdischen Welt“ ist es Herausgeberin Gisela Dachs auch in ihrem jüngsten Almanach gelungen, ein sensibles Thema in einem breiten, bunten Spektrum zu beleuchten, das in seiner Gesamtheit Paul Celans eingangs erwähntes Zitat als überholt entlarvt.

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