In ihrem ersten Spielfilm Spanien erzählt Anja Salomonowitz über das Schicksal von vier Menschen und ihren Sehnsüchten. Alexia Weiss bat die Regisseurin für wina zum Interview.
wina: „Spanien“ hat eben das Filmfestival Diagonale eröffnet. Bisher haben Sie Dokumentarstreifen gedreht. Was war die Motivation, etwas Fiktives zu erzählen?
Anja Salomonowitz: Ich mache eigentlich diesen Unterschied zwischen Dokumentar- und Spielfilm in meiner Arbeit nicht. In meinen Dokumentarfilmen wissen wir vorher, was die Menschen sagen werden, das Setting ist klar, die Ausstattung. Und anders herum war es so, dass ich beim Spielfilm eben wollte, dass die Schauspieler das Umfeld, in dem sie sich bewegen, sehr gut kennen. Lukas Miko zum Beispiel, der den Krankfahrer spielt, hat einen Krankfahrerkurs machen müssen. Grégoire Colin hat schnitzen gelernt und seine Sätze in Deutsch, Cornelius Obonya hatte die Möglichkeit, bei der Fremdenpolizei zu recherchieren. Ich denke, dass die Schauspieler eine Figur nur dann spielen können, wenn sie das Umfeld gut kennen. Und weil es auch mein erster Spielfilm war, wollte ich auf Nummer sicher gehen und wissen, dass das eine Wahrhaftigkeit hat.
wina: Der nächste Film, wieder eine Dokumentation, ist schon abgedreht und Sie sitzen derzeit im Schneideraum. In „Die 727 Tage ohne Karamo“ geht es um Ehen zwischen Österreichern und Drittstaatsangehörigen. Dieses Thema kommt auch in „Spanien“ vor. Muss man als politisch denkender Künstler solche Fragestellungen bearbeiten?
AS: Die 727 Tage ohne Karamo ist der Film, für den ich schon vor Spanien recherchiert habe. Dieser Film hat eine sehr traurige Geschichte, denn es hat sehr lange gebraucht, ihn zu finanzieren – weil es eben ein politischer Film ist. Einmal angenommen, einmal abgelehnt. So ging das über viele Jahre. Ich hatte immer so viel Geld, dass ich weiterarbeiten konnte, aber nicht anfangen zu filmen. Deshalb habe ich diesen Film drei Mal durchgecastet, und erst beim letzten Mal ist er aufgegangen. Die Menschen, die ich da gecastet habe, sind immer binationale Paare. Eine österreichische Frau und ein Afrikaner zum Beispiel. Oder wir hatten einen österreichischen Studenten und sie ist aus Georgien.
wina: Sie haben das Drehbuch für „Spanien“ gemeinsam mit Dimitré Dinev geschrieben, der aus Bulgarien nach Österreich geflüchtet ist. War sein Migrationshintergrund wichtig für das Erzählen der Geschichte?
AS: Ja, absolut. Mir gefallen die Geschichten von Dimitré so gut wegen der Vermischung von Alltäglichem und Metaphysischem. Zum Beispiel, was in einem seiner Bücher vorkommt, wenn man die abgeschnittene Vorhaut nach einer Beschneidung einpflanzt und daran glaubt, dass das Glück bringt und dem Kind hilft oder daraus eine schöne Pflanze werden wird, was ich ja auch als Geschichte kenne. Das ist einfach schön. Dinge, die Menschen machen, die eine Mischung zwischen Himmel und Erde sind, die irgendwo ganz nah an etwas Göttliches herankommen.
wina: Wie hat die Entwicklung der Geschichte von „Spanien“ dann konkret funktioniert?
AS: Ich habe schon für Die 727 Tage ohne Karamo recherchiert und dabei mit so vielen Menschen gesprochen, die mit der Fremdenpolizei zu tun hatten. Ich wollte aus dem Dreieck eine Geschichte machen, wie ein Fremdenpolizist Kraft seines Amtes die neue Liebe seiner Exfrau zerstören kann, also eine Eifersuchtsgeschichte mit einem realpolitischen Hintergrund bauen. In dem Moment, wo Dimitré dazu kam, ist das Ganze total aufgebrochen und etwas anderes geworden. Von Dimitré ist sehr viel Autobiografisches dazugekommen. Zum Beispiel hat er erzählt, dass man nur die Kleidung mitnehmen kann, die man anhat. Und dann schleichst du eben im Sonntagsanzug über die Grenze. Deshalb ist die Figur des Sava, wenn sie aus dem Auto steigt, auch so schön angezogen. Das habe ich da eingebaut.
wina: Ist man mit einer jüdischen Familiengeschichte sensibler für gewisse Themen?
AS: Ja, ich glaube, dass mein jüdischer Hintergund ein ganz wichtiges Element dafür ist, dass ich für unterdrückte Menschen kämpfen will. Ich wurde ja so erzogen und geprägt. Ich war im Hashomer Hatzair und in der Volksschule in der jüdischen Schule. Ich bin also in einem komplett jüdischen Kosmos aufgewachsen und das ist mein Background. Und ich finde, das ist mein Auftrag, der mir mitgegeben wird. Gegen diese Ungerechtigkeiten, die einen so sprachlos und wütend zurücklassen, zu kämpfen. Eben nicht sprachlos zu bleiben.