Alexander Rodtschenko hat als Fotograf die Art zu sehen verändert: mit schrägen Schnitten, verkürzten Perspektiven und dramatischen Aufsichten. Von Reinhard Engel
Geboren wurde er 1891 noch im Zarenreich, aber er war ein Kind der sowjetischen Moderne: Alexander Michailowitsch Rodtschenko wuchs in St. Petersburg auf, wo sein Vater, ein landloser Kleinbauer, in einem Theater als Requisiteur arbeitete. Alexander lernte erst einen praktischen Beruf, Zahntechniker, dann studierte er an der Kunsthochschule in Kasan und an der Moskauer Stroganov-Schule Bildhauerei und Architektur.
Bekannt wurde er zuerst als Maler und Bildhauer, im Umfeld der Abstrakten wie Wassily Kandinsky und der Konstruktivisten wie Tatlin. Er schuf komplexe Skulpturen aus Sperrholz, manche auch beweglich, und er beendete seinen Weg der Malerei mit monochromen Bildern, einer Ausdrucksform, die eigentlich erst Jahrzehnte später in der – westlichen – Kunstwelt Eingang fand.
Für verschiedene avantgardistische Zeitschriften gestaltete Rodtschenko Cover und Illustrationen, ob für Kino-fot (Film-Foto), LEF (Linke Front der Künste), Nowi Lef (Neue Linke) oder Smena (Wechsel). Ab den frühen 20er-Jahren wandte er sich der Fotografie zu. Und auch hier gab er sich nicht mit herkömmlichen Zugängen zufrieden: „Der neue, schnelle und reale Reflektor der Welt, die Fotografie, sollte sich möglichst mit dem Abbilden der Welt von allen Punkten aus befassen […]. Um den Menschen zu einem neuen Sehen zu erziehen, muss man alltägliche, ihm wohl bekannte Objekte von völlig unerwarteten Blickwinkeln aus in unerwarteten Situationen zeigen.“
Muster und Raster
Das tat er auch mit großem Talent und feinem Gespür für Räume, Kontraste und Perspektiven. Es sind harte, schräge Schnitte, verkürzte Perspektiven und dramatische Aufsichten, die er in die Fotografie neu einführt. Oft nutzt er regelmäßige Schwarz-weiß-Muster als Raster, er zeigt einzelne Menschen allein in großen Räumen, etwa eine Mutter mit Kinderwagen. Aber er verherrlicht auch die Sowjet-Menschen mit allem Pathos der Zeit: als Sportler bei Paraden, als Soldaten bei der Angelobung oder – schon etwas gebrochen – in einer Nebengasse beim Aufstellen für einen bevorstehenden Aufmarsch.