Ein humaner Blick durch die Linse

Die Albertina würdigt das fotografische Werk von Michael Horowitz zu seinem 70. Geburtstag.

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Michael Horowitz. Bilder aus seiner mehr als 25-jährigen Karriere als Fotograf – zu sehen in der Wiener Albertina.© Starpix/picturedesk.com

Am Sonntag, dem 16. April 1972 gab es ein starkes Erdbeben in Wien. Der 22-jährige Michael Horowitz saß mit seinem jüdischen Vater, einem berühmten Theaterfotografen, im Wiener Musikverein und erlebte Leonard Bernstein zum ersten Mal am Dirigentenpult.

Michael Horowitz: Simon Wiesenthal (1976).© Michael Horowitz

Fotografiert hat er Lenny erst viele Jahre später, auch bei den Salzburger Festspiele. 2018 verfasste der bereits zum erfolgreichen Autor avancierte Horowitz eine faszinierende, faktenreiche und liebevolle Biografie dieses großen Musikers und Humanisten.

Der mehr als 25-jährigen Karriere von Horowitz als Fotograf widmet die Albertina jetzt eine Ausstellung, die wegen der Corona-Krise in den Frühsommer hinein verlängert wird. „Ich habe 1989 mit der Gründung des Freizeit-Magazins im Kurier aufgehört zu fotografieren. Daher sind nur zwei Fotos aus dem vergangenen Jahr in der Ausstellung zu sehen: Willi Resetarits und Friederike Mayröcker“, erzählt Horowitz, Wiener des Jahrgangs 1950.

Michael Horowitz: Künstler von Gugging (1981).© Michael Horowitz

Wie eindringlich und aussagekräftig die Wirkung von Schwarz-weiß-Fotografie ist, weiß jeder Liebhaber der Street Photography von Budapest über Paris bis New York: Namen wie Robert Frank, Lee Friedlander, Helen Levitt, Saul Leiter, André Kertész und der unerschrockene Kriegsreporter Robert Capa stehen für das Universelle dieser Kunstrichtung. Gleichfalls unvergessen in und für Österreich sind Franz Hubmann und Erich Lessing. Daher war die Freude von Michael Horowitz zurecht groß, als Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder ihn zum „österreichischen Henri Cartier-Bresson“ adelte und so mit dem größten europäischen Fotokünstler verglich.

»Meine Kamera war für mich nicht nur eine Komplizin, sondern eine Freundin.«
Michael Horowitz

Literarische Porträts. Horowitz zeigt in seinen Arbeiten sowohl einen wunderbaren Einblick in das blühende Wiener Kulturleben wie auch – als hochpolitischer Mensch mit humanistischer Haltung – Fotoreportagen von brisanten und einschneidenden Ereignissen in Österreich von 1960 bis Ende der 1980er-Jahre: Bereits als 15-Jähriger dokumentierte er die Proteste gegen den antisemitischen Professor Taras Borodajkewycz und das erste österreichische Nachkriegstodesopfer Ernst Kirchweger. Simon Wiesenthal positionierte er ganz unten vor seiner riesigen Landkarte, in die alle europäischen KZs eingezeichnet waren

Michael Horowitz: Friederike
Mayröcker (2019).
© Michael Horowitz

und die hinter seinem Arbeitsplatz im Büro hing. Ein wahrlich gespenstisches Bild.

Seine engen Künstlerfreunde Ernst Qualtinger, Helmut Leherb, Arik Brauer, Arnold Schwarzenegger, Senta Berger, Oskar Werner porträtierte er in alltäglichen und auch oft schrägen Situationen. Eine Reportage der „Mühl-Kommune“ bestellte der Spiegel, aber die schnell berühmt werdenden Maler von Gugging entdeckte Horowitz selbst. Er war erst 18, als er in New York Kiki Kogelnik besuchte und in all ihrer Besonderheit einfing. Horowitz war aber auch dabei, als 1969 John Lennon und Yoko Ono in Wien aus dem Flugzeug stiegen und als 1980 Andy Warhol hier Johanna Dichand porträtierte.

Michael Horowitz: Kiki Kogelnik (1969). © Michael Horowitz

Als Journalist und Pressefotograf traf Horowitz viele Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Kunst und Kultur – das wäre noch nichts Besonderes. Das Außergewöhnliche dieser Fotos manifestiert sich in der Vertrautheit zwischen dem Mann mit der Kamera und den so genannten „Promis“ vor der Linse. Nur vor einem engen Freund entblößt man sich derart im seelischen wie körperlichen Sinn. Doch Horowitz, der derzeit im Spectrum der Tageszeitung Die Presse literarische Porträts von vielschichtigen Persönlichkeiten schreibt, wollte in dieser Ausstellung nicht nur Prominente vertreten wissen: Ein sehr berührendes Foto zeigt zwei alte Frauen, die im Bellaria Kino auf eine Filmvorführung warten. „Meine Kamera war für mich nicht nur eine Komplizin, sondern eine Freundin“, resümiert der Vielseitige.

Ausstellung von 27. Mai bis 6. September 2020
Michael Horowitz
ALBERTINA, Wien
www.albertina.at

 

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