Zwischen Antisemitismus und heimischer Hühnersuppe

Mit Freitagnacht Jews gelingt es Schauspieler und Producer Daniel Donskoy, junge Menschen für jüdische Themen zu interessieren.

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© Christoph Hardt/Action Press/picturedesk.com

Wie schaffen wir jüdische Bürgerinnen und Bürger endlich, unseren nicht-jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern „das Jüdische“ positiv rüberzubringen? Also: jüdisches Leben, Inhalte, Denkweise, Gefühle. Das ist uns ja sehr wichtig, denn wir buhlen seit Jahrtausenden nicht nur um existenzielle, verständnisvolle Akzeptanz, sondern sehnen uns auch unentwegt danach, ein klein wenig geliebt zu werden. Trotzdem ist dieser hartnäckige, scheinbar unausrottbare Antisemitismus noch immer da. Ok, werden Sie sagen, da gibt es schon hunderte private und öffentliche Initiativen, Institutionen und Plattformen, die sich damit beschäftigen. Stimmt, aber schaffen sie einen Geist der Normalität im Umgang miteinander? Die Herzen der 18- bis 38-Jährigen erreichen sie jedenfalls kaum: Bücher darüber lesen ist mühsam, an Dialogforen teilnehmen ist aufwendig, und über Social-Media-Kanäle kommt kaum etwas Poppiges, Humorvolles, das ihr Lebensgefühl ansprechen könnte.
Der 31-jährige deutsche Schauspieler, Musiker und Regisseur Daniel Donskoy ändert das seit Ende April durch seine WDR-Talkshow Freitagnacht Jews in acht Folgen, wöchentlich um 17 Uhr, in der ARD-Mediathek sowie auf dem WDR-YouTube-Kanal. Bereits seine Sendungssignation beginnt mit dem provokanten Song: Jude, Jude, Jude ist einfach nur ein Wort, aber in Deutschland ist Antisemitismus Sport. In den Strophen zwischen diesem Refrain benennt er selbst alle gängigen Vorurteile gegen Juden, fordert seine Zuschauer und Seherinnen zum Fragestellen auf und endet mit Willkommen und Schabbat Schalom. Donskoy empfängt als Gastgeber interessante jüdische Persönlichkeiten aus allen Lebensbereichen, um mit ihnen beim gemeinsamen Essen über das Leben als Jude in Deutschland zu reden. „Ich spreche mit meinen Gästen über eine nicht einfache Thematik, über das Verständnis der jüdischen Identität in Deutschland, einem Land, wo diese leider nicht unbelastet ist. Wie also geht man in guter jüdischer Tradition an die heikelsten Sachen heran? Mit einer Balance aus Humor, Streitlust im besten Sinne und gutem Essen. Eine Show zwischen Antisemitismus und Hühnersuppe.“
Daniel Donskoy wurde 1990 in Moskau geboren, seine Mutter ist gebürtige Ukrainerin, sein Vater Russe. Kurz nach seiner Geburt zogen die Eltern als jüdische Kontingentflüchtlinge nach Berlin. Daniel fing mit fünf Jahren an, Klavier zu spielen, später brachte er sich das Gitarre-Spiel selbst bei. Nach der Trennung seiner Eltern zog er mit seiner Mutter 2002 nach Tel Aviv, daher zählt er Russisch, Ivrith, Deutsch und Englisch zu seinen Muttersprachen. 2008 ging er zurück nach Berlin und wollte zuerst Medizin studieren, entschied sich dann doch für Biologie und Medienmanagement. Um sich das mit 18 Jahren finanzieren zu können, jobbte er als Barkeeper im Berliner Kulturzentrum Tacheles und nahm nebenbei Aufträge als Model an.
Mit 20 Jahren nahm er Ballettunterricht, erst danach fand er seine Bestimmung: Von 2011 bis 2014 absolvierte Donskoy eine Schauspiel- und Musicalausbildung an der Arts Educational School in London, die er mit einem Bachelor in Musical/Theatre abschloss. Gleichzeitig studierte er 2012 ein Semester in New York am angesehenen Lee Strasberg Institute. Es folgten mehrere Theaterengagements in London, u. a. am Andrew Lloyd Webber Foundation Theatre, am Garrick Theatre und am St. James Theatre. 2016 spielte er am Nottingham Playhouse die Rolle des Jim O’Connor in Tennessee Williams’ Erfolgsstück Die Glasmenagerie. Ab 2015 arbeitete das Multitalent in London, seinem zweiten Wohnsitz nach Berlin, auch als Theaterregisseur, Theaterproduzent und Theaterautor.
Ab 2016 verlagerte Donskoy seinen künstlerischen Schwerpunkt auf Film und Fernsehen. Er spielte Haupt- und Gastrollen in diversen britischen Serien und war im Februar 2017 zum ersten Mal im deutschen Fernsehen zu sehen. Da legte er einen fulminanten Senkrechtstart als vielseitiger Schauspieler hin: In der ZDF-Serie SOKO Leipzig spielte er den israelischen Soldaten Avi Cohen, der nach Leipzig kommt, um den Tod seiner ermordeten Mutter zu rächen. Darauf folgten im gleichen Jahr Episodenrollen in diversen ZDF-Produktionen. Für die Hauptrolle des Kleinkriminellen und Priesters wider Willen Maik Schäfer in der RTL-Serie Sankt Maik von 2018 bis 2020 wurde Donskoy als „Bester Schauspieler“ für den Bayerischen Fernsehpreis nominiert.
Den absoluten Ritterschlag, den das deutsche Fernsehen zu vergeben hat, eine Rolle in einer Tatort-Folge, erhielt der großgewachsene Rothaarige 2018 als attraktiver, selbstsicherer Jungunternehmer, der am Ende als Mörder entlarvt wird. Im Jahr darauf übernahm Donskoy den Part des neuen Rechtsmediziners bei Charlotte Lindholm alias Maria Furtwängler. Der Tagespiegel schrieb über ihn: „Eine Bildschirmpräsenz, die es hierzulande lang nicht mehr gab”, und titelte Donskoy 2018 zu einem der spannendsten Newcomer des deutschen Films. Als übereifrigen Violinisten Ron, der sich einem israelisch-palästinensischen Jugendorchester anschließt, war Donskoy in dem Kinofilm Crescendo an der Seite des Österreichers Peter Simonischek zu sehen.
In einer The Crown-Staffel spielt Daniel Donskoy den Liebhaber von Lady Diana: „Lady Di hätte ich schon sehr gerne kennengelernt, sie muss faszinierend gewesen sein.“ An seinem 30. Geburtstag hatte er intensive Drehtage, aber er arbeite sehr gerne an diesen Tagen. Diesmal wurde ihm eine großer Wunsch erfüllt: „Ich durfte beim Mittagessen zwischen Helena Bonham Carter und Olivia Colman sitzen und dachte mir: ‚Pretty cool. I’m happy!‘“

„Jude, Jude, Jude ist einfach nur ein Wort, aber
in Deutschland ist Antisemitismus Sport.“
Intro-Song zu Daniel Donskoys WDR-Talkshow

Schabbat mit Daniel: Vom Digitalformat direkt ins WDR-Fernsehen. Der WDR hatte die Idee, das Projekt Freitagnacht Jews mit dem beliebten Schauspieler zu machen. Was hat Daniel Donskoy daran gereizt? „Natürlich die Thematik. Die jüdische Identitätsfrage, die ich selbst versuche, seit gut 20 Jahren für mich zu beantworten. Es ist die erste jüdische Late Night Show Deutschlands. Eine geile Chance, mit dem Publikum und meinen Gästen gemeinsam auf eine Reise zu gehen.“ Er bemühe sich, mit einem ehrlichen journalistischen Ansatz zu verstehen, was die Menschen bewegt. „Es hat verdammt viel Spaß gemacht, vor allem, weil es so wichtig ist. Jude ist ein Wort, das Menschen hier immer noch nicht gerne in den Mund nehmen. Von Normalität sind wir weit entfernt. Es ist ein erster wagemutiger Schritt in eine hoffentlich bessere Richtung“, so der Host der 25-Minuten-Sendung.
„Es wäre schön, wenn sich die Leute durch Empathie verstehen lernen“, so Donskoy, „denn die positive Streitkultur geht gerade verloren. Ich würde provokant behaupten, sie ist vom Aussterben bedroht. Nicht bei uns“, lacht er. Kurz bevor das Gespräch losgeht, kocht der Gastgeber ein kulinarisch passendes Gericht für seinen Gast: zum Beispiel für den muslimischen Psychologen Ahmad Mansour eine riesige Lammkeule. Oder er teilt mit Sascha Chaimowicz, dem Chefredakteur des ZEIT-Magazins, beim Fischeintopf seine Gedanken über Herkunft und Identität. Der angehenden Rabbinerin Helène Braun bestellt er speziell koscheres Essen, das er persönlich im Studio serviert. Das Essen ist eher Mittel zum Zweck, um einander näher zu kommen und eine ungezwungene Atmosphäre zu schaffen. „Das Essen spielt in der jüdischen Kultur eine wichtige Rolle. Die meisten Feiertage erklären sich so: Sie wollten uns umbringen, sie haben es nicht geschafft, lasst uns essen.“ Wonach wählt er seine Gäste aus? Donskoy betont, dass das Jüdischsein nur einen Aspekt einer vielfältigen Identität ausmacht. „Alle Gäste sind jüdisch, legen aber Wert darauf zu sagen, dass sie ‚nicht nur jüdisch‘ sind, sondern eben auch Mutter oder Feministin, Musiker oder Journalist.“ Zum Dinner und Diskurs waren bis jetzt schon interessante Persönlichkeiten wie der Publizist Max Czollek, die Schauspielerin Susan Sideropoulos, die Autorin Mirna Funk oder auch der Rapper Ben Salomo geladen.
Die Freitagnacht Jews-Show ist ein Hit geworden, und „weil es sich viele User*innen gewünscht haben“, schreibt der WDR, werde das neue digitale Format mit Daniel Donskoy zusätzlich zur Verbreitung im WDR-YouTube-Kanal und der ARD-Mediathek ab dem 18. Juni 2021 auch wöchentlich im WDR-Fernsehen ausgestrahlt: Immer freitags um 23.30 Uhr nach dem Kölner Treff. Aufgezeichnet wird die Sendung wegen Schabbat aber schon um 17 Uhr. Neben überwiegend positiven Reaktionen schlugen Daniel Donskoy in den sozialen Medien auch Hass-Kommentare entgegen. Donskoy reagierte darauf musikalisch: Er veröffentlichte seinen provokanten Song Jude, der in Kurzform auch der Opener von Freitagnacht Jews ist, auf den gängigen Streaming Portalen. Die Erträge des Songs spendet er an hassmelden.de, eine gemeinnützige, ehrenamtliche Organisation, bei der Hate Speech im Internet anonym angezeigt werden kann.
„Wichtig ist mir besonders, dass alle, die zuschauen, ihre Angst verlieren, jene Fragen zu stellen, die sie wirklich interessieren.“ Daher fordert Donskoy dazu auf, sich ungeniert zu melden. Und ja, es gebe auch Denkanstöße, die mal wehtun. Die Sendung sei anders und werde sicher manche aufrütteln oder irritieren. „Trotzdem ist es für mich ein Geschenk, mit einem Team von Menschen, von denen ich viele meine Freunde nennen darf, unser Herzblut in ein gemeinsames Projekt stecken zu können, das die realistische Möglichkeit hat, etwas zu bewegen.“
Donskoys Mutter wohnt in Israel, der Vater in der Schweiz, der Bruder in England, und die beiden Schwestern leben in Amerika. „Ich bin nirgendwo und überall zu Hause“, erklärt er. In der internationalen Film- und Fernsehwelt ist der selbstbewusste Jude Donskoy jedenfalls gut beheimatet.

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