„Interreligiöses und interkulturelles Denken“

Ihre Vortragsarbeit sieht Ruth Katrin Lauppert-Scholz als einen Beitrag zu mehr Akzeptanz und Toleranz von Diversität. Wissen macht das andere besser verständlich und verringert Barrieren.

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Ruth Lauppert-Scholz fragt unter anderem danach, welche Rolle Jesus in der jüdischen, christlichen und muslimischen Religion spielt. © privat

Wina: Du bist Soziologin und arbeitest als vortragende Referentin zu interreligiösen Themen. Worüber handeln deine Vorträge, Seminare und Workshops?
Ruth Lauppert-Scholz: Grundsätzlich habe ich unterschiedliche Schwerpunkte. Einerseits die Vermittlung des lebendigen, aktiven jüdischen Lebens, dieser Vortrag heißt Judentum erLeben. Andererseits arbeite ich an der Shoah Education, also Gedenkarbeit, was unter anderem Gedenkstättenpädagogik im weitesten Sinne beinhaltet. Da gehören etwa die Führungen Stolpersteine erzählen Geschichten dazu, aber auch Führungen zu den jüdischen Gedenkstätten in der Südoststeiermark. Ein dritter Schwerpunkt ist meine Arbeit mit Lehrern und Schüler*innen über Antisemitismus und interreligiöses Lernen. Hier hilft mir mein zusätzliches Studium der Religionswissenschaft sehr.

Du leitest einen Verein, der Granatapfel heißt?
I Eigentlich ist das kein Verein, sondern ein Ein-Personen-Unternehmen. Ich führe dieses Unternehmen und organisiere hier meine Arbeit.

An wen richten sich deine Bildungsangebote?
I Es sind ganz unterschiedliche Zielgruppen, die vorwiegend aus Multiplikator*innen, Pädagog*innen, Vermittler*innen und Lehrbeauftragten der Pädagogischen Hochschule Steiermark bestehen. Ich bin dort auch Mitglied der Ethiklehrerausbildung und Vortragende für Erwachsenengruppen zu speziellen Themen. Es gab zum Beispiel eine Vortragsreihe über Unorthodox, das Buch und die Netflix-Serie. Solche vorgegebenen Themen sind keine leichte Entscheidung, da es viel Pro und Kontra dazu gibt. Von diesen Gruppen kommen viele Fragen zum Judentum im Allgemeinen, weil darüber in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt ist. Es werden Fragen zu Festen, Feiertagen, Kashrut und Traditionen gestellt. Andere Zielgruppen meiner Arbeit sind Schüler*innen ab der dritten Klasse Volksschule. Manchmal kommen sogar erste Klassen zu mir. Um die Thematik näherzubringen, wende ich für ganz kleine Kinder altersgerechte Möglichkeiten an. Wenn sie sich dann merken, dass der Davidstern sechs Zacken hat und nicht fünf oder acht, dann ist das schon ein pädagogischer Erfolg für mich.

»Dabei kommt es auch darauf an zu zeigen, wie viel der Islam und das Judentum gemeinsam haben.«
Ruth Lauppert-Scholz


Wie vermittelst du dein Wissen?

I Das Spezielle an meinem Ansatz ist das interreligiöse und interkulturelle Denken. Wenn man beispielsweise ein konfessionell gebundenes Angebot bucht, wie etwa eine Kirchen-Synagogen-Moschee-Führung, dann beleuchte ich die Themen aus der Innenseite der jeweiligen Religion und nicht vom Rand. Aus meiner Perspektive bleiben sonst zu viele Fragen offen. Wie zum Beispiel die Figur des Jesus: Die Frage ist hier, welche Rolle diese Figur in der jüdischen, christlichen und muslimischen Religion spielt. Auf diese Weise ergeben sich dann auf einer übergeordneten Ebene unterschiedliche Zugänge.

Siehst du durch die zunehmende Diversität in der Gesellschaft eine Abflachung der kulturellen Unterschiede?
I Ja, in meinem speziellen Umfeld und dem meiner Kinder ist das so. Aber das geht nicht automatisch überall. Es bedarf viel Arbeit, die Akzeptanz herzustellen. Es sollte daher viel mehr Angebote im Bereich des interkulturellen Lernens geben.

Wer sind die Teilnehmer*innen an deinen Vorträgen?
I Das ist ganz unterschiedlich. Es sind Menschen, die an interreligiösen und interkulturellen Themen interessiert sind. Es kommen unter anderem muslimische Jugendgruppen. Hier arbeite ich vor allem mit männlichen Jugendlichen. Man weiß heute, dass die zugewanderten Muslime einen starken muslimisch geprägten Antisemitismus mitbringen. Hier ist die Überlegung, wie man diesen Menschen begegnet. Das ausgewogene und offene Begegnen ist dabei das Wichtigste, um einen Lernprozess zu beginnen. Für diese jungen Männer möchte ich das Judentum belegbar und lebendig zu machen. Dabei kommt es auch darauf an zu zeigen, wie viel der Islam und das Judentum gemeinsam haben.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Arbeit gegen den muslimischen Antisemitismus sehr erfolgversprechend sein kann. Wichtig ist dabei, dass man psychologisch gefestigt sein muss, um mit dieser Zielgruppe zu arbeiten. Wichtig sind auch außerschulische Aktivitäten, zum Beispiel, die Gedenkstätten zu besuchen.
Darüber hinaus veranstalte ich Gespräche, die Tea and Talk heißen, bei denen Vertreter*innen aller Weltreligionen und Politiker*innen miteinander über Themen sprechen, die alle betreffen, wie Leben, Sterben oder Jenseitsvorstellungen. Es geht mir um Diversität und interkulturelles Zusammenleben.

Welche Rolle spielt die Jüdische Gemeinde Graz bei deiner Arbeit?
I Sie ist ein Kunde von mir, und ich bin Leiterin des Bildungszentrums der Gemeinde. Wir sind in sehr enger Kooperation und Abstimmung miteinander.

Was wird in deinen Workshops gemacht?
I Hier werden Religion, Kultur und Tradition anhand von Artefakten dargestellt. Das sind Judaika, wie Menora, Chanukkia oder eine Chamsa, und geht bis zu koscheren Gummibärchen. Das haptische Erleben, Riechen und Schmecken sind die langlebigsten Erinnerungen für Kinder und Erwachsene. Oft sprechen mich ehemalige Schüler*innen noch Jahre später an, dass sie von mir koschere Gummibärchen bekommen haben. Bei den Erwachsenengruppen ist es der koschere Wein. Diese sensorischen Erlebnisse der Teilnehmer*innen stellen den Zusammenhang mit der jüdischen Kultur und Tradition her.
Über die Schoah mache ich einen eigenen Workshop.
Während der Corona-Zeit konnte ich den Schul-Workshop Shalom-Salaam-Grüß Gott über die monotheistischen Weltreligionen auch online machen.
Die Führungen durch Graz zu Stolpersteinen und den sehr wenigen noch vorhandenen Gedenkplätzen kombiniere ich mit Erzählungen aus der Stadtgeschichte.

Du bist im Elternhaus mit unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen. Hat das einen Einfluss auf deine Kinder?
I Ich bin verheiratet und habe vier Kinder, zwei Buben und zwei Mädchen zwischen 16 und 24 Jahren. Für sie war es mir ganz wichtig, dass sie hebräische Vornamen tragen. An ihnen merke ich sehr stark meinen eigenen Zwiespalt. Wir feiern in der Familie jüdische Feste und Feiertage, und es ist mir wichtig, meinen Kindern diese Traditionen mitzugeben. Jedes der Kinder sieht seine kulturelle Herkunft anders. In der Schule, in die meine Kinder gehen, wissen alle, dass sie Juden sind. Mein Sohn hat in seiner Klasse Taxidienst gemacht und hat dann von seinen Mitschüler*innen eine Urkunde mit dem Titel „Best Kosher Taxidriver“ bekommen.

Ist für dich und deine Kinder ein kultureller Unterschied spürbar?
I Heute ist die Situation eine ganz andere als zur Zeit meiner Kindheit. Die Monokulturalität, die es vor 30 bis 40 Jahren gegeben hat, wo es eine fast ausschließlich katholische Gesellschaft gegeben hat, ist so nicht mehr da. Sogar eine kleine Stadt wie Graz ist divers geworden, mit unterschiedlichen Kulturen und Religionen, die auch nach außen getragen werden und sich darüber austauschen.

Ruth Lauppert-Scholz
Nach dem Studium der Soziologie folgt eine zehnjährige Lehr- und Forschungstätigkeit am Institut für Soziologie der Karl-Franzens-Universität Graz mit dem Schwerpunkt Religionssoziologie. Ausarbeitung verschiedener altersgerechter Bildungsprogramme für Schulen und Erwachsenenbildungseinrichtungen im Bereich des Judentums; Konzeption und Betreuung von Workshops und Gedenkspaziergängen, u. a. Stolpersteine erzählen Geschichte zu den Grazer Stolpersteinen für den Verein für Gedenkkultur in Graz; Konzeption und Projektleitung Judentum erLeben. Seit 2017 ist Ruth Lauppert-Scholz als Pädagogin für das Kinderprogramm Synagoge erleben der Jüdischen Gemeinde Graz tätig.

granatapfel.ws

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