Zilzer und die Musik

Ein jüdischer Maler und die Musik seiner Zeit: Das Leben des großteils vergessenen ungarischen Malers Gyula Zilzer wurde von der Camerata Masaot Wien unter der Leitung von Amit Rosenblum in vier musikalischen Stationen erzählt.

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Gyula Zilzer in seinem Wiener Atelier. Foto: André Kertész

„Kunst trifft Musik“, heißt es eher bescheiden auf der Einladung zu einem Projekt, das in Wien vorgestellt wurde und von hier auf Tournee durch mehrere europäische Städte gehen wird. Der Name der Musikformation weist schon auf diese Absicht hin: Masaot bedeutet auf Iwrit große Reise, Expedition. Den musikalischen Takt zu diesem gelungenen Experiment gab der israelische Dirigent Amit Rosenblum vor: Er gründete vor etwa einem Jahr die Camerata Masaot Wien sowohl mit Studierenden wie auch Absolventen der MUK – Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien.

„Als ich 2019 zum ersten Mal nach Wien kam und mich in diese Stadt voller musikalischer Kultur und jüdischer Geschichte verliebte, fiel mir schon auf, dass es kein Ensemble gab, das sich vornehmlich mit dem umfassenden Musikschatz teils vergessener jüdischer Komponisten beschäftigt“, erzählt Rosenblum, der sein Dirigentenstudium sowohl an der angesehenen Rubin Academy of Music wie auch an der Musikfakultät der Hebrew University in Jerusalem abgeschlossen hat. Ein Stipendium zum Deutsch-Lernen brachte ihn 2021 zurück nach Wien, wo er seinen Master beim Dirigenten und Pianisten Andreas Stöhr an der MUK absolviert.

Eine der Zeichnungen aus Zilzers Zyklus GAZ von 1934. The Gyula Zilzer Archive

Dass ein gebürtiger Tel Aviver Wien und sein reges Musikleben entdeckt, ist aber nur die eine Seite der Geschichte. Das Projekt Kunst trifft Musik wäre ohne die Kooperation mit der Stiftung des israelischen Unternehmers und Kunstsammlers Ofer Levin** nicht möglich gewesen. Denn der 1973 im Kibbuz Beit Hashita (bei Afula) geborene Absolvent der Hebrew University in Mathematik und Ökonomie ist sowohl Sammler wie auch Förderer israelischer Kultur und angehender Talente.

Seit 2007 verbringt Levin viel Zeit in Wien – und so kam auch das Projekt mit Amit Rosenblum zustande: Letzterer wollte jüdische Komponisten und ihre Werke in den Mittelpunkt seines Ensembles stellen – und Ofer Levin für den fast vergessenen Budapester Maler Gyula Zilzer (1898–1969) erneut Aufmerksamkeit gewinnen. Denn zufällig besitzt Levin zahlreiche Arbeiten Zilzers in seiner umfangreichen Kunstsammlung.

„Wir entscheiden gemeinsam mit der Levin Art Community & Culture, über welchen Künstler oder Künstlerin wir eine musikalische Geschichte erzählen wollen“, freut sich Rosenblum, der in Israel schon bedeutende Orchester dirigierte. So kam es im Casino Baumgarten in Penzing zur Premiere einer „musikalischen Ausstellung“. Grafiken, Aquarelle, Porträts, Städte- und Landschaftsbilder des expressionistischen Malers Gyula Zilzer wurden im großen Saal und in Vitrinen ausgestellt, während das Ensemble Camerata Masaot den Lebensweg jeweils mit der historisch dazu passenden Musik untermalte.

Anfänge und Weggang aus Budapest (1898 bis 1924). Gyula Zilzer wurde 1898 in Budapest geboren, in eine Familie, die schon etliche talentierte Künstler hervorgebracht hatte, unter anderen Antal Zilzer, der nicht nur Hofmaler des bayerischen Königs war, sondern mehrere seiner Gemälde an Österreichs Kaiser Franz Joseph I. verkaufen konnte. Gyula Zilzer zeigte bereits sehr früh ein starkes Interesse an der Malerei, er entwarf aber auch Maschinen und erfand technische Neuheiten. 1917 begann er sein Maschinenbaustudium, konnte dieses aber nicht abschließen, weil im September 1920 das von der ungarischen Nationalversammlung verabschiedete Numerus-Clausus-Gesetz den Juden den Zugang zu Universitäten verwehrte.* Die politischen Umbrüche und der „rote Terror“ in Ungarn veranlassten Zilzer schließlich, nach Triest zu fliehen.

Ensemblegründer und Dirigent Amit Rosenblum moderiert locker und informativ über die Auswahl des Programms. © Reinhard Engel

Daher widmete sich der erste Teil des Konzerts Zilzers Zeit in Budapest und seinen Anfängen als Künstler. Dazu passend wurden Musikstücke des berühmten ungarischen Komponisten Béla Bartók und des Österreichers Arnold Schönberg aufgeführt. Bartók war zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie viele andere Künstler in ganz Europa, hinsichtlich der Musik auf der Suche nach einem nationalen Stil. Zilzers expressionistische Sprache verband ihn mit der österreichisch-ungarischen Avantgarde; und in der Musik wurde Schönberg nach der Romantik schließlich zu einem Pionier der expressionistischen Bewegung.

 

„[…] dass es kein Ensemble gab,
das sich vornehmlich mit dem umfassenden
Musikschatz teils vergessener jüdischer Komponisten beschäftigt.“
Amit Rosenblum

 

Pariser Leben (1924 bis 1932). Der zweite Teil des Abends versetzt das Publikum nach Paris, wo Zilzer von 1924 bis 1932 lebte. Dort verfeinerte er sein künstlerisches Portfolio und konzentrierte sich vor allem auf urbane Pariser Landschaften. Aus diesem Anlass bekam das Publikum französische Lieder von Francis Poulenc und Erik Satie geboten: Die junge Sopranistin Adèle Clermont brachte am Flügel begleitet von Amit Rosenblum französische Lieder zum Erblühen.

Ab 1929 nahmen Zilzers Werke zunehmend antifaschistische Züge an. In einer Ausstellung im Jahre 1932 in Amsterdam präsentierte er sein Album GAZ, eine Sammlung von Werken, die gegen den Einsatz von Gas als Form der Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung protestierte. Als progressiver Künstler sah Zilzer die Schrecken des Krieges und der Judenverfolgung vorher. Die kraftvollen Illustrationen des Künstlers wurden an diesem Abend von der Musik des jüdischen Komponisten und Bohemiens Gideon Klein begleitet, der das musikalische Leben im Konzentrationslager Theresienstadt anführte, wo er seine letzten Kompositionen schrieb.

Leben und Werk in den USA (1932 bis 1969). Nach diesem traurigen Kapitel befasste sich der letzte Teil des Konzerts mit Zilzers Emigration 1932 und seinem Leben bis 1969 in den USA. Zilzers künstlerische Sprache entwickelte sich in der neuen Heimat äußerst vielfältig und bewegte sich zwischen abstrakten Werken, Gemälden der Skyline von New York City und dem Leben der Bauern in Amerika. Dementsprechend beleuchtete das Orchester die Diversität der amerikanischen Musik mit Kompositionen renommierter amerikanischer Komponisten von George Gershwin, Aaron Copland bis Samuel Barber.

Diese künstlerische Symbiose aus Malerei und Musik zu erleben, ermöglichte nicht nur der Sponsor und Partner Ofer Levin, sondern vor allem das gut eingespielte Ensemble Camerata Masaot mit seinem jungen Maestro, der das Publikum vor jedem musikalischen Kapitel mit einer lockeren Moderation begleitete und so den Zusammenhang zwischen der gespielten Musik und Zilzers Kunst verdeutlichte.

 

* Das Gesetz XXV/1920 hat den zweifelhaften Verdienst, das erste antisemitische Gesetz nach dem Ersten Weltkrieg gewesen zu sein.
** WINA bringt zu einem späteren Zeitpunkt ein Porträt des israelischen Sammlers Ofer Levin.

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