Aufbruch der Künstlerinnen

Eine groß angelegte, beeindruckende Schau im Unteren Belvedere präsentiert noch bis Mitte Mai unbekannte, vergessene und vertriebene Künstlerinnen zwischen 1900 und 1938.

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Fanny Harlfinger-Zakucka. Spielzeug, 1918. © Helene Taussig & Helene Funke: Johannes Stoll/Belvedere; Fanny Harlfinger-Zakucka: Belvedere, Wien

Stadt der Frauen
Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938
Ausstellung bis 19. Mai 2019
Unteres Belvedere, Prinz-Eugen-Straße 27,
1030 Wien, Tgl. 10 bis 18 Uhr, Fr. 10 bis 20 Uhr
belvedere.at

Als unter der Präsidentschaft von Gustav Klimt am 1. Juni 1908 die große Kunst- und Kunsthandwerksausstellung auf dem Gelände des heutigen Wiener Konzerthauses eröffnet wurde, waren rund ein Drittel der gezeigten Werke von Frauen. Eine damals wie in der Rückschau fast unvorstellbare Zahl, da Frauen zu diesem Zeitpunkt sozial, politisch und gesellschaftlich die Chancen, sich gleichberechtigt auf dem Kunstmarkt zu etablieren und zu positionieren, nahezu flächendeckend fehlten. Die „Tore der Akademie der bildenden Künste öffneten ihre Pforten für Studentinnen offiziell im Wintersemester 1920/21“, schreibt die Generaldirektorin des Belvedere, Stella Rollig, in ihrem Vorwort zum zweisprachigen, informativen Ausstellungskatalog.
Und doch waren bereits ab Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Künstlerinnen fest im Kunstgeschehen Wiens verankert. Sie stellten auf Augenhöhe mit Klimt und Schiele und in den renommiertesten Galerien und Museen der Zeit aus, im Künstlerhaus, in der Secession, beim Hagenbund, gründeten früh eigene Interessenverbände wie den Verein bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ). Sie leisteten bemerkenswerte, viel diskutierte und viel beachtete Beiträge zur Entwicklung der künstlerischen Moderne in Wien, Österreich und international. Und: Sie sind heute nahezu alle vergessen. „Während der Vorbereitung zur Ausstellung habe ich mich auf eine Entdeckungsreise begeben“, erzählt die Kunsthistorikerin Sabine Fellner über den langen Vorbereitungsprozess zu der von ihr gestalteten überbordend material- und informationsreichen Schau. „Bilder dieser großartigen Frauen waren teils auf Dachböden gelagert oder in Depots versteckt, ohne dass es jemand wusste.“

Helene Funke. Träume, 1913. © Helene Taussig & Helene Funke: Johannes Stoll/Belvedere; Fanny Harlfinger-Zakucka: Belvedere, Wien

Verschwunden. Zerstört. Vergessen. Wurden die Künstlerinnen der Jahrhundertwende, die in ihrem Schaffen alle wichtigen Stilrichtungen der Zeit widerspiegeln, mehr bewusst wohl als aus Versehen aus der Kunstgeschichtsschreibung verdrängt, gehört es seit einigen Jahren zu den großen Verdiensten von Museen, vor allem aber von Kunsthistorikerinnen und Kuratorinnen, sich diesem Vergessen und Verdrängen mit umfangreichen, immer wieder überraschenden, aber auch ob der Aktualität der Thematik erschreckend brisanten Forschungs-, Publikations- und Ausstellungsprojekten zu widmen. Etwa Sabine Plakolm-Forsthuber mit ihrer umfassenden Studie Künstlerinnen in Österreich 1897–1938. Malerei, Plastik, Architektur aus dem Jahr 1994, die sich in ihrem Katalogbeitrag mit den Themen Ausbildung, Vereine und Netzwerke auseinandersetzt. Und Ausstellungskuratorin Sabine Fellner, die sich bereits in Rabenmütter im Lentos Linz und in Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938 im Jüdischen Museum Wien mit Produktionsbedingungen, Arbeiten und Rezeption von Künstlerinnen in Österreich beschäftigt hat. Die in der Ausstellung vorgestellten Künstlerinnen bilden dabei, macht Fellner deutlich, „eine höchst divergente Gruppe, die nicht nur die unterschiedlichsten Lebensentwürfe, sondern auch verschiedene Strategien der Karriereplanung repräsentieren. Sie waren Ehefrauen, Mütter, Femmes fatales, Abenteurerinnen, alleinstehend, sexuell unterschiedlich orientiert, oft politisch aktiv […]. Manche konnten auf die Unterstützung ihrer Ehemänner, Väter oder Lehrer zählen […], andere kämpften weitgehend alleine, wie Teresa Feodorowna Ries oder Helene Funke.“

Nahezu völlig unbekannt. Was die über 50 in der Schau Stadt der Frauen präsentierten Künstlerinnen jedoch eint, ist vor allem eines: Sie sind „trotz ihrer Leistungen einer breiten Öffentlichkeit aktuell völlig unbekannt“ (Sabine Fellner). Und rund ein Drittel von ihnen waren Jüdinnen, darunter Broncia Koller-Pinell. Die 1863 in Galizien geborene Malerin lebte ab 1870 in Wien und ab 1902 bis zur ihrem Tod 1934 in ihrem von Josef Hoffmann und Koloman Moser gestalteten Haus in Oberwaltersdorf. Ihr Werk zieht einen „roten Faden“ durch die in den zahlreichen Räumen der Ausstellung thematisierten Epochen und Stilrichtungen.

»Bilder dieser großartigen Frauen waren teils auf Dachböden gelagert oder in Depots versteckt,
ohne dass
es jemand wusste.«
Sabine Fellner

Johanna Kampmann-Freund, 1888 in Wien geboren, wurde ab 1939 als „Mischling“ deklariert und mit Berufsverbot belegt, sie starb noch vor ihrer Deportation 1940 in Wien.
Die 1880 in Wien geborene Bildhauerin Ilse Twardowski-Conrat lebte ab 1914 in München, wo sie bereits 1935 Berufsverbot erhielt. 1942 beging sie Selbstmord, um sich so der Deportation zu entziehen.

Helene von Taussig.
Weiblicher Akt auf blauem Stuhl, 1920/30. © Helene Taussig & Helene Funke: Johannes Stoll/Belvedere; Fanny Harlfinger-Zakucka: Belvedere, WienKunsT der Jahrhundertwende

Die Malerin und Grafikerin Helene von Taussig wurde 1879 in Wien geboren und konnte ab 1910 bei diversen Lehrern in Frankreich Privatunterricht nehmen. Ab 1919 lebte sie in Salzburg, der Schweiz und Frankreich. 1942 wurde sie in das Ghetto Izbica in Polen verbracht und noch im selben Jahr ermordet. Friedl Dicker-Brandeis, 1898 in Wien geboren und ab 1916 Privatschülerin bei Johannes Itten, war ab 1919 am Bauhaus Weimar und leitete ab 1926 ein eigenes Atelier für Hausbau und Inneneinrichtung in Wien. Dicker, ab 1934 Mitglied der KPÖ, arbeitete bis 1938 als Zeichenlehrerin. 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert, wo sie bis zuletzt Kinder unterrichtete. 1944 wurde Friedl Dicker in Auschwitz ermordet.
Anderen, wie Frieda Salvendy (1887–1968), Lili Réthi (1894–1969), Trude Waehner (1900–1979), Bettina Ehrlich-Bauer (1903–1985) oder Marie-Louise von Motesiczky (1906–1996) gelang die Flucht nach London oder Amerika, Grete Wolf-Krakauer starb 1970 in Jerusalem. Lilly Steiner (1884–1961) war schon 1927 mit ihrem Mann nach Paris gegangen und wurde dort unter anderem Mitbegründerin des Bundes österreichischer Künstler. Und auch Mariette Lydis lebte bereits ab 1926 in Paris, wurde 1939 französische Staatsbürgerin und starb 1970 in Buenos Aires.
Doch selbst die beachtliche Zahl der vorgestellten Künstlerinnen bildet nur einen „kleinen Teil einer Fülle in diesem Zeitraum tätiger Malerinnen, Grafikerinnen und Bildhauerinnen dar“, stellt Sabine Fellner die beachtliche Leistung, die ihr mit Stadt der Frauen gelungen ist, in den Hintergrund und die Notwendigkeit in den Fokus, auch in den kommenden Jahren intensiv an einer Über- und Neuschreibung von Kunstgeschichte weiterzuarbeiten, in der Frauen jenen Stellenwert einnehmen, der ihnen aufgrund ihrer Leistungen gebührt. Stadt der Frauen bietet dazu, so Fellner, einen weiteren Anstoß. Dieser ist jedoch nicht zu überschätzen, die herausragende Schau ein absoluter Highlight in der aktuellen Wiener Ausstellungslandschaft.

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