Ernst Lothars unverwüstliche Liebe zu Österreich

Susanne F. Wolf erstellte die Bühnenfassung des Erfolgsromans Der Engel mit der Posaune für die Uraufführung am Theater in der Josefstadt. Der fast vergessene Schriftsteller, Regisseur und Mitbegründer der Salzburger Festspiele erlebt eine Renaissance.

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Ernst Lothar. Nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil wurde er erneut zum wichtigen Impulsgeber der österreichischen Kultur.

Dieser Roman ist eine große Liebeserklärung Lothars an Österreich“, konstatiert die gebürtige Mainzerin und reicht ihre eigenen Gefühle gleich nach: „Auch für mich ist Wien Heimat geworden, mit allem Für und Wider.“ Doch zwischen diesen beiden positiven Meldungen liegen in vielfacher Weise Welten.
Während Susanne Felicitas Wolf (53) seit 1982 in Wien lebt, wo sie ihr Studium der Theaterwissenschaften abgeschlossen hat, wurde Ernst Lothar 1890 als Sohn eines jüdischen Rechtsanwaltes in Brünn geboren und verstarb 1974 in Wien. Diese zwei unterschiedlichen Persönlichkeiten und Schicksale verbindet jüngst ein literarisch-geistiges Projekt: Die Autorin hat den über 500 Seiten starken Erfolgsroman Lothars Der Engel mit der Posaune in eine Bühnenfassung gebracht, die ab September am Theater in der Josefstadt zu sehen sein wird.
„Der Umstand, dass der Zsolnay Verlag das Buch wieder aufgelegt hat und die Germanistin Dagmar Heißler bei Böhlau die Monografie Ernst Lothar: Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender veröffentlichte, bewirkte eine gewisse Lothar-Renaissance“, erzählt Wolf. Da Lothar mit und nach Max Reinhardt als Direktor auch die Geschicke des Theaters in der Josefstadt von 1935 bis 1938 lenkte, wurde gemeinsam mit Direktor Herbert Föttinger die Idee der Dramatisierung geboren. „Dieser Generationenroman, der die österreichische Geschichte von 1888 bis 1938 am Beispiel einer Großfamilie aufrollt, hat einen unglaublichen Reichtum an faszinierenden Figuren mit Tiefgang. Daher ist mir das Schreiben sehr leicht gefallen“, gesteht die Autorin, die selbst zahlreiche Bühnenstücke verfasst hat.

Susanne F. Wolf. „Auch für mich ist Wien Heimat geworden, mit allem Für und Wider.“

Doch Wolf sieht ihre Aufbereitung des Romans für die Bühne nicht nur als eine „Erinnerungsarbeit“ über Lothar. „Dem wahrhaft unbeirrbaren Patrioten ist es gelungen, eine äußerst kompakte Seelengeschichte über das Haus Österreich zu verfassen. Er zeigt jenen Bodensatz an Gutem wie Schlechtem auf, der zu dem Populismus führt, den wir heute haben.“ Denn auch der allgemeine Rechtsruck entspringe einer Tradition, die Lothar in diesem Roman unendlich sensibel und griffig mit seinen Figuren zeichnet: „diesen typischen Alltagsrassismus und ‚selbstverständlichen‘ Antisemitismus, der ja schon lange vor der Jahrhundertwende verankert war“.
Bereits 1948 wurde Der Engel mit der Posaune verfilmt, und zwar mit Paula Wessely, Attila und Paul Hörbiger, Oskar Werner und Hans Holt. Im Mittelpunkt von Lothars Roman steht die Wiener Klavierbauerdynastie Alt: Die junge Henriette liebt noch den Kronprinzen und wird als alte Frau von den Nazis ermordet. So erlebt Henriette Alt auch die österreichisch-ungarische Monarchie, den Ersten Weltkrieg, den Untergang des k. u. k. Reiches, die Machtergreifung der Nazis – und das alles innerhalb einer Zeitspanne von nur 20 Jahren. Nach ihrer Vernunftheirat mit Franz Alt sieht sich Henriette in einem Korsett aus Zwängen und Tradition gefangen. Sie setzt all ihre Hoffnung auf Hans, den ältesten Sohn: Er soll jenes selbstbestimmte Leben führen, das ihr versagt geblieben ist. Doch auch er ist ein Gefangener der Konvention, ein unglücklicher Firmenerbe, der erst durch zahllose Schicksalsschläge und den erzwungenen Umbruch der Gesellschaft zu seiner Bestimmung findet. „Hans steht symbolisch für die konstante Auseinandersetzung mit Autorität“, weiß Wolf, „erst nach der Überwindung der Angst findet der hochbegabte Hans seine politische Haltung und beweist große Zivilcourage.“
Auf dieses Extrakt des 500-Seiten-Romans hat sich Susanne Wolf konzentriert, und sie wirkt wenig geschreckt dabei: „Ich habe Erfahrung im Dramatisieren von großen Romanen“, lacht sie. „Ich schaffte das für die Sommerspiele Melk 2009 mit Tolstois Krieg und Frieden sowie mit dem Graf von Monte Christo ebendort im Jahr 2013.“ Wie kommt man mit so einem Konvolut zurecht? „Ich habe eine Technik entwickelt, eine Art filmisches Schreiben, das bedeutet kurze Sequenzen, Szenen mit ziemlich raschem Tempo. Durch meine langjährige Theaterpraxis habe ich ein ganz gutes Gespür für dramaturgische Ecksteine.“ Von den Schauspielern verlange dies eine hohe Konzentration, um die emotionale Spannung zu halten. Wolf war als Gastdramaturgin bzw. Hausdramaturgin u. a. am Schauspiel Frankfurt und am Wiener Volkstheater, am Schauspielhaus Wien sowie beim niederösterreichischen donaufestival tätig. Seit 1990 schreibt sie Texte und Stücke, die u. a. an der Komischen Oper Berlin, am Volkstheater Wien und Schauspielhaus Graz aufgeführt wurden.

„Hinter die Fassade schauen und mit dem Bild die Schatten zeigen.“ „Wahr an dem Buch ist nur eines: Österreich. Die unzerstörbare Liebe dafür. Der unerschütterliche Glaube an seine Vergangenheit und Zukunft“, schreibt Ernst Lothar über den Engel mit der Posaune im Epilog zu seinem Roman am 7. Dezember 1945 in New York. Denn dort wurde dieses Buch in englischer Übersetzung erstpubliziert, als letzter von fünf Romanen, die er in den sieben Jahren seines Exils geschrieben hat. Doch wie kam es zu dieser zweiten amerikanischen Karriere? Ein typisch österreichisch-jüdisches Schicksal: Lothar besuchte das Gymnasium in Brünn und Wien, wo er auch maturierte. Das Jus-Studium an der Universität Wien schloss er 1914 mit der Promotion ab. Schon damals veröffentlichte er erste schriftstellerische Arbeiten unter Pseudonym. Mit seiner ersten Frau, einer in Großbritannien geborenen Wienerin, hatte er zwei Kinder. Seine Tochter Johanna „Hansi“ Lothar war später mit dem Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor Ernst Haeusserman verheiratet. Von 1917 bis 1924 arbeitete er zunächst als Staatsanwalt in Wels und zuletzt als Präsidialchef im Handelsministerium in Wien. Er war maßgeblich an der Gründung der Wiener Messe beteiligt, deren Direktorium er auch angehörte. Bereits 1919 bewirkte er die Erhebung der Export-akademie zur Hochschule für Welthandel (heute Wirtschaftsuniversität). 1925 trat er freiwillig aus dem Staatsdienst aus; von da an bis 1935 war er Theater- und Literaturkritiker bei der Neuen Freien Presse; von 1933 bis 1935 auch Gastregisseur am Burgtheater.

Dieser Roman ist eine große Liebeserklärung
Ernst Lothars an Österreich.

1933 hatte Lothar die Schauspielerin Adrienne Gessner geheiratet. Mit ihr und Tochter Johanna flüchtete er im März 1938 in die Schweiz, von dort nach Paris, und schließlich im April 1939 in die USA. Er lebte zunächst in New York, wo er gemeinsam mit seinem Freund Raoul Auernheimer die kurzlebige Österreichische Bühne/The Austrian Theatre gründete. Später unterrichtete er Vergleichende Literatur und Theater am Colorado College in Colorado Springs. 1946 kehrte Ernst Lothar als Beauftragter für Theater und Musik des US-amerikanischen Office of War Information nach Wien zurück und wirkte bis 1948 an der Entnazifizierung der Kultur in Österreich sowie der Wiedereröffnung der Salzburger Festspiele mit.
„Die österreichische Realität holte Lothar 1946 ein“, erzählt Susanne Wolf. „Er liebte das Land sehr, sah aber die Abgründe. Bei seiner Ankunft in Wien schreit ein Halbwüchsiger: ‚Ami go home!‘ Da weiß er: ‚Wir waren wieder da.‘ “ Von 1948 bis 1962 arbeitete Lothar als Regisseur am Burgtheater, am Theater in der Josefstadt sowie bei den Salzburger Festspielen, deren Direktion er bis 1959 angehörte. Trotz Vertreibung und Exil blieb Österreich Lothars geistig-kulturelle Heimat, und er wollte 1944 den Amerikanern ein anderes Österreich präsentieren: „Ich habe das Buch für Menschen geschrieben, die Österreich überhaupt nicht oder aus klischierten Vorstellungen kannten. Sie hatten Wien zu oft mit Augen betrachtet, die stereotype Bilder und Bildstreifen kurzsichtig werden ließen“, schrieb Lothar in seinem Epilog. „Die barocke Wiener Häuserfassade, so gesehen, täuschte. Der Geigenstrich Johann Strauß’ zum Leichtsinns­tanz durch die Ewigkeit aufspielend, klang falsch.“
Zur Neuauflage des Romans 2016 verfasste die Schriftstellerin Eva Menasse ein Nachwort, in dem sie zwar darauf hinweist, dass Lothar auch nach seiner Rückkehr ein Impulsgeber des kulturellen Lebens auf verschiedenen Gebieten geblieben ist. Aber sie übt auch leise Kritik an Lothars unerschütterlicher Liebe zu Österreich: „Er überwand das Leiden, indem er dagegenhielt. Das schafft nicht jeder, dazu brauchte es gerade in den Nachkriegsjahren ein Höchstmaß an Dickfelligkeit sowie einen sonnenstarken Optimismus, den andere Vertriebene als naiv und unpassend empfunden haben mögen.“ Lothar hat über sich selbst einmal gesagt, er sei halt ein „ewiger Optimist zur Unzeit“.

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