„Kulturferne Schichten gibt es nicht“

An vielen Orten der Welt war der Theatermann Airan Berg bisher mit ungewöhnlichen Projekten erfolgreich. In Wien leitete er einige Jahre das Schauspielhaus. Nun ist der gebürtige Israeli zum künstlerischen Leiter des Festivals der Regionen 2019 in Oberösterreich bestellt worden.

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Airan Berg. Schon als Kind wollte er immer nur Theater machen. „Ich habe immer versucht, Realitäten umzudrehen.“

Interview mit Airan Berg

WINA: Sie kommen aus der großen weiten Theaterwelt, in der Sie zu Hause sind, jetzt quasi in die österreichische Provinz. Wie sehen Sie das?
Airan Berg: Jede Provinz ist ihr eigenes Zentrum, und ich arbeite sehr gern auch in kleineren, dezentralen Orten, weil man dort einen ganz anderen Zugang zu den Menschen hat. Man hinterlässt dort auch stärkere Spuren als in der Großstadt, wo so viel stattfindet und man schwerer an den Kern der Gesellschaft kommt. Es ist mir wichtig, einen intensiven Dialog mit der Bevölkerung auszubauen, und mich haben immer auch die Fantasie und Kreativität des Publikums interessiert. Deshalb war es stimmig, als ich mit Martina Winkel und dem Theater ohne Grenzen ein Figurentheater für Erwachsene gemacht habe, denn da braucht es auch die Fantasie des Publikums.

Theater ohne Grenzen ist ja quasi Ihr Lebensmotto, denn Sie sind grenzenlos tätig. Ihr Vater hat nicht nur die Familie, sondern auch die Jaffa-Orangen nach Österreich gebracht. Wieso sind die eigentlich vom hiesigen Markt nahezu verschwunden?
❙ Er ist ja in Pension, vielleicht deshalb. Er hat in Wien ein Büro einer israelischen Import-Export-Firma aufgebaut.

Wie haben Sie die Übersiedlung von Israel nach Wien als Elfjähriger erlebt?
❙ Es war schrecklich. Man durfte nicht auf dem Rasen spielen, und es hat im Sommer geregnet. Ich musste Deutsch lernen. Mit meinen Eltern spreche ich heute noch Ivrit, aber meine heb­räische Handschrift schaut noch kindlich aus.

Woher kommt Ihre Theaterbegeisterung?
❙ Schon als Kind wollte ich immer nur Theater machen, ich habe immer versucht, Realitäten umzudrehen. In der Familie liegt das nicht, das hat nur mit mir zu tun.
Ausgebildet wurden Sie vor allem in den USA, aber Theatererfahrungen haben Sie vielerorts gemacht, von Bali bis in die Türkei. Was hatte da den größten Einfluss?
❙ Ausgebildet wurde ich vom Leben, da lernt man alles, was man für Theater braucht. Die Technik dazu ist nur ein Teil davon.

„Ausgebildet wurde ich vom Leben, da lernt man alles, was man für Theater braucht. Die Technik dazu ist nur ein Teil davon.“

 

 

Sie reisen jetzt zum Avantgarde-Theaterfestival in Akko. Wie sehen Sie die israelische Theaterlandschaft im Vergleich zu Österreich? Arbeiten Sie dort auch künstlerisch?
❙ Ich war schon einige Jahre nicht in Israel, weiß daher nicht, wie sie sich entwickelt hat, aber sie steht sicherlich unter enormen Druck durch die rechte Regierung unter Netanjahu. Auch das Akko-Festival geht ja nicht ohne Kontroversen über die Bühne, weil zum Beispiel ein Stück verboten wurde, deshalb ist es umso wichtiger, so ein Festival zu unterstützen. Es gibt wunderbare israelische TheatermacherInnen, TänzerInnen, ChoreografInnen, die Ausbildung ist dort sehr gut. In Israel habe ich nur einmal gearbeitet, ich war in einer gemeinsamen Koproduktion mit dem Theater ohne Grenzen für das Akko-Festival, da brach aber die erste Intifada aus, und wir konnten die Produktion nicht zu Ende bringen.

Nervt es Sie, dass Sie von den Medien noch immer als Israeli
bezeichnet und auf die politische Situation dort angesprochen werden?
❙ Ich sage immer, ich bin in Tel Aviv geboren, aber ich bin österreichischer Staatsbürger. In Wien war ich immer der aus Tel Aviv und in Israel der aus Wien. Mich irritiert das nicht.

Sie leben auch in Istanbul, weil Ihre Frau Türkin ist, ist sie Jüdin?
❙ Nein, sie ist muslimisch, aber weder sie noch ich sind religiöse Menschen.

Fühlen Sie sich dort nicht eingeschränkt auf Grund des zunehmenden Islamismus?
❙ In meinem Alltag nicht, aber ich denke, dass wir gegen den Trend zu Demokratieverlusten, den wir jetzt überall erleben, dort ankämpfen müssen, wo wir leben, und das versuche ich auch in meiner Arbeit, sozial und politisch zugleich.

Wie kann man sich im Theater gegen ein restriktives Umfeld wehren?
❙ Der Grund, warum Politik vor Theater Angst hat, ist, weil es live ist und unkontrollierbar, deshalb gab es immer die Zensur, schon bei Nestroy, der zweimal verhaftet wurde. Natürlich kommt man gegen rechte Boulevardblätter schwer an oder gegen die Möglichkeiten von Manipulationen im Internet, aber ich denke, wir erfüllen am Theater schon auch unseren Teil.

Sie sind in Linz für zwei Jahre bestellt, wie geht es dann weiter?
❙ Das Festival gibt es alle zwei Jahre und der Vertrag geht bis 2019, das hat auch mit der Förderpolitik zu tun, aber die Option für die Folgejahre ist da.

Können Sie daneben noch andere Dinge machen?
❙ Ja, ich habe auch noch Sachen am Laufen, die beendet werden müssen, zum Beispiel am Burgtheater das Projekt Offene Burg, bei dem wir über 1.000 Menschen aus Transdanubien eingebunden haben, was sehr erfolgreich war und für mich sehr beglückend. Da haben zum Teil auch Menschen, die noch nie im Burgtheater waren, ihre Arbeiten präsentiert.

Wie wichtig ist Ihnen generell die Einbindung kulturfernerer Schichten?
❙ Es gibt keine kulturfernen Schichten, denn jede Schicht hat ihre Kultur. Es zahlen ja alle Steuern, also gehört das Burgtheater einfach auch allen, und ich finde es nicht richtig, dass nur wenige Prozent der Bevölkerung am so genannten kulturellen Leben teilnehmen. Ich denke, es ist unsere Aufgabe, Türen zu öffnen und Menschen die Möglichkeit zur Teilhabe zu geben. Und wenn man Menschen die Möglichkeit gibt, kreativ zu sein, kommen wunderbare Sachen heraus. Das ist das, was mich interessiert und wo ich die Sinnhaftigkeit meiner Arbeit sehe.

Wie sehen diese Möglichkeiten zur kulturellen Arbeit in Österreich und Israel generell aus?
❙ Was Österreich als so genanntes Kulturland einzigartig macht, ist die Vielfalt, die hier durch die Förderungen ermöglicht wird. In Israel gibt es diese Kulturförderung kaum. Das ist schon eine ganz andere Ausgangssituation. Mehr darüber werde ich erst nach meinem Aufenthalt in Israel erzählen können. Einer meiner wichtigen Freunde, Mica Levinson – er war der Leiter des Israel-Festivals und ein wunderbarer Regisseur und Geschichtenerzähler –, ist leider verstorben. Ich glaube, ihn vermissen viele.

Wo fühlen Sie sich bei Ihren vielen Wohnorten und Arbeitsplätzen eigentlich zu Hause?
❙ In meinem Körper. Natürlich auch in Istanbul bei meiner Frau und meiner Tochter. Wenn man viel reist, fühlt man sich mehr an Menschen gebunden.


Airan Berg,
wurde in Tel Aviv geboren und kam mit elf Jahren nach Wien. Seine Theaterausbildung machte er in Amerika. Er arbeitete dort, aber auch bald erneut in Wien, u. a. am Burgtheater, und war von 2001 bis 2007 künstlerischer Leiter des Wiener Schauspielhauses. Derzeit arbeitet Airan Berg am Projekt Offene Burg des Burgtheaters Wien. Ab 2018 wird er das oberösterreichische Festival der Regionen als künstlerischer Leiter führen. Airan Berg ist mit einer in Istanbul lebenden Türkin verheiratet. Er lebt derzeit in Mannheim, Brüssel und Istanbul.

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