„Werden helfen, wo wir können“

Oskar Deutsch wurde diesen Jänner vom Kultusvorstand erneut zum Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien gewählt. Im Interview mit WINA spricht er über die aktuellen Herausforderungen und Pläne für die nächste Legislaturperiode. Ein besonderer Wunsch des IKG-Präsidenten: die Errichtung eines Shoah Centers in Wien.

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Oskar Deutsch ist seit 2012 Präsident der IKG Wien, für die er ab 1989 kontinuierlich tätig ist. Nun wurde er erneut in seinem Amt bestätigt. © IKG / Daniel Shaked

WINA: Teuerungen, der Krieg in der Ukraine und damit die Betreuung jüdischer Geflüchteter auch in Wien und das ewige Thema Antisemitismus: Mit diesen Herausforderungen sind Sie auch in der nun neu gestarteten Legislaturperiode als Präsident der IKG Wien konfrontiert. In welchen Bereichen ist die Gemeinde besonders von der aktuellen Inflation betroffen, und wie wollen Sie hier gegensteuern?
Oskar Deutsch: Es gibt Erhöhungen bei den Gehältern, die Kultusgemeinde bezahlt nach dem Kollektivvertrag für den Öffentlichen Dienst. Wir spüren wie alle derzeit in Österreich die erhöhten Preise für Strom, Gas und vieles andere. Aber man kann ja nicht einfach Geld drucken. Wir müssen also sehen, welche Institutionen, welche Sponsoren uns helfen können. Wir sind keine Firma, wir haben kein Produkt zu verkaufen. Jemand, der Kaffee verkauft, kann die Preise erhöhen. Wir können das nicht.

Das Fundraising wird also noch wichtiger werden?
I Ja, auf jeden Fall.

In der Covid-Krise wurden Gemeindemitglieder in finanziellen Notlagen von der IKG unterstützt. Wird es nun auch Hilfe für Menschen geben, die Probleme haben, die Ausgaben für Miete, Energie, Lebensmittel zu stemmen?
I Wir haben auch schon 2022 versucht, auf die Preissteigerungen zu reagieren. Wir haben ein Schulstartpaket geschnürt und zu Chanukka eine Aktion für Bezieher von Mindestpensionen gemacht. Und wir werden natürlich auch 2023 den Mitgliedern der Gemeinde helfen, die Unterstützung brauchen. Das Problem ist, dass nun nicht mehr nur die betroffen sind, die schon bisher arm waren, es geht auch Leuten aus der Mittelschicht schlechter. Uns geht es da nicht anders als der Gesamtgesellschaft. Ein paar Antisemiten glauben, wir haben eine Art Wundertüte, eine Kuh, die, wenn man sie melkt, nicht Milch, sondern Geld gibt. Das haben wir nicht. Den Leuten geht es so wie es den nichtjüdischen Mitbürgern in diesem Land geht. Wir werden uns dennoch bemühen zu helfen, wo wir helfen können.

 

„Ich hoffe auch, dass es eines Tages ein Shoah Center in Wien gibt,
in dem mit Hologrammen
und modernsten technischen Mitteln
künftige Generationen ihre Fragen

an Zeitzeugen stellen können.“
Oskar Deutsch

 

Eine andere Gruppe von Menschen, die Hilfe braucht, sind jüdische Geflüchtete aus der Ukraine. Wie viele Geflüchtete werden derzeit von der IKG Wien betreut, und wie sieht hier die langfristige Perspektive aus?
I Über eine langfristige Perspektive zu sprechen, ist schwierig, weil ich mich nicht in den Kopf des Aggressors Wladimir Putin hineinbegeben kann. Wir haben zur Spitzenzeit 1.200 jüdische Geflüchtete aus der Ukraine betreut. Jetzt sind es knapp über 900. Diese Arbeit und die Ausgaben dafür sind weiter da. Ich bin aber sehr stolz, dass wir hier keinen Cent aus dem laufenden Budget der Kultusgemeinde genommen haben, sondern dass sämtliche Gelder dafür durch Fundraising aufgestellt worden sind. Das waren 2022 1,5 Millionen Euro.
Wir werden so lange helfen, solange unsere Hilfe gebraucht wird. Gut ist, dass inzwischen bereits 200 Ukrainer und Ukrainerinnen Mitglied der IKG geworden sind. Und es gibt viele weitere Ansuchen auf Mitgliedschaft, die derzeit geprüft werden. Am Ende des Tages ist es für die Geflüchteten eine unglaublich schwierige Situation. Zum Teil sind die Väter oder Männer noch im Krieg in der Ukraine. Sie wissen nicht, ob die Häuser, in denen sie gewohnt haben, noch stehen. Wir tun alles uns Mögliche, damit sie sich in Wien wohl fühlen. Und ich freue mich sehr über jeden, der schließlich bleiben und damit unsere Gemeinde stärken will.

In Sachen Antisemitismusbekämpfung gibt es von der derzeitigen Bundesregierung viel Rückhalt, Stichwort Nationaler Aktionsplan gegen Antisemitismus. Wie frustrierend ist es, dass Judenfeindlichkeit nicht wegzubekommen zu sein scheint?
I Ich bin seit 1989 in der Kultusgemeinde tätig, seit 1992 Kultusrat, seit 1999 Vizepräsident und seit 2012 Präsident. Das Thema Antisemitismus gab es schon, bevor ich dabei war. Und es gibt dieses Thema nicht nur in Österreich, sondern in der ganzen Welt. Der Kampf dagegen gleicht einem Marathon, aber selbst am Ende des Marathons wird das Krebsgeschwür Antisemitismus noch da sein. Und da sind alle gefragt.
Es gibt nun den 38-Punkte-Plan von Ministerin Karoline Edtstadler. Es muss allen klar werden, dass Antisemitismus ein No go ist. Da ist die Zivilgesellschaft gefragt. Wenn es auf dem Fußballplatz, im Wirtshaus oder in der Straßenbahn jemanden gibt, der sich antisemitisch äußert, dann muss jemand anders die Zivilcourage haben, aufzustehen und zu sagen, so geht das nicht. Wir können den Antisemitismus nur gemeinsam bekämpfen. Ich hoffe auch, dass es eines Tages ein Shoah Center in Wien gibt, in dem mit Hologrammen und modernsten technischen Mitteln künftige Generationen ihre Fragen an Zeitzeugen stellen können, da immer weniger ihre Geschichte von sich aus erzählen können. Das Holocaust Museum in Los Angeles macht das schon heute eindrucksvoll vor.

Gibt es dazu schon konkrete Gespräche?
I Leider noch nicht. Ich hoffe, dass in dieser Legislaturperiode etwas erreicht werden kann.

Bei allen Herausforderungen steht Ihnen nun ein breites Bündnis zur Seite, dem alle im Kultusvorstand vertretenen Parteien außer Chaj angehören. Der Zwist der vergangenen Jahre zwischen Ihrer Fraktion Atid und dem VBJ ist damit beigelegt. Wie ist das gelungen?
I Es gab keinen Zwist zwischen Atid und VBJ. Es gab einige Leute, die Streit gesucht haben. Und diese Leute sind nicht mehr involviert. Es sind seitens des VBJ nun vernünftige Leute in den Vorstand eingezogen, nicht nur in den Kultusvorstand, sondern auch in den Vorstand des VBJ. Man muss ja auch nicht immer einer Meinung sein, aber wenn es so ist, setzt man sich zusammen, und einmal setzt sich der eine durch und ein anderes Mal der andere. Die gute Zusammenarbeit mit dem VBJ zeigt sich auch in der Zusammensetzung des Präsidiums. Claudia Prutscher ist erneut zur Vizepräsidentin gewählt worden und Michael Galibov vom VBJ ebenfalls zum Vizepräsidenten. Aber vergessen wir nicht die anderen Parteien wie Kehille und Khal Israel, den Verein georgischer Juden und den Bund sozialdemokratischer Juden, mit denen wir wie schon bisher in der Koalition sind. Ich bin stolz, dass es diese Einheitsgemeinde gibt.

Was haben Sie sich gemeinsam mit den anderen Fraktionen für die neue Arbeitsperiode vorgenommen?
I Auch wenn es nicht so populär ist, ist mir wichtig, dass wir nicht mehr expandieren. Wir müssen schauen, dass wir die wunderbare Infrastruktur, die wir gemeinsam aufgebaut haben, gut weiterführen und hier investieren. Für mich ist das Wichtigste, dass es den Gemeindemitgliedern gut geht. Darauf müssen wir uns konzentrieren. Da hilft uns das Österreichisch-Jüdische Kulturerbegesetz, das ich mit meinem Team vor zwei Jahren ausverhandelt habe, das den Kultusgemeinden jährlich vier Millionen Euro für Sicherheit, Jugend- und Kulturarbeit zusichert.

In die nächsten Jahre fällt auch ein großes Jubiläum: 2026 wird der Stadttempel 200 Jahre alt. Was ist hier geplant?
I Wir werden feiern. Aber wir planen auch eine Renovierung des Tempels und des Gemeindezentrums. Nun müssen wir uns einmal ansehen, was hier genau renoviert werden soll oder muss, und dann das dafür nötige Geld aufstellen.

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