Der Historiker Mitchell Ash plädiert im Gespräch mit WINA für mehr Differenzierung, wenn von jüdischen Forschern vor und nach der NS-Zeit gesprochen wird. Jene, die zu Ikonen der Erinnerungspolitik wurden, waren in ihrem Selbstverständnis nämlich gar keine Juden. Von Alexia Weiss
WINA: Wir befinden uns hier an der Universität Wien. Vor einigen Jahren hat eine Umgestaltung der Aula stattgefunden, der umstrittene Siegfriedskopf wurde in den Arkadenhof verlegt. In der Aula wurde folgender Text an die Wand appliziert: „Für die Freiheit der Wissenschaft und die Achtung der Menschenrechte. Gewidmet den Angehörigen der Universität Wien, die aus rassistischen Motiven, auf Grund ihrer Weltanschauung oder Zugehörigkeit zu einer religiösen oder sozialen Gruppe oder wegen ihres Eintretens für Demokratie und ein unabhängiges Österreich verfolgt oder vertrieben wurden. In tiefer Betroffenheit Universität Wien.“ Das Wort jüdisch wird hier nicht in den Mund genommen. Sie lehren als jüdischer Wissenschafter an dieser Universität. Wie geht es Ihnen damit?
Mitchell Ash: Ich lese den Text mit einer gewissen Empathie für die Autoren. Sie geben in der Formulierung des Textes gerade in der Fortlassung des Wortes Juden das Dilemma kund, mit dem ich mich befasse, nämlich wen man als Juden bezeichnen sollte und wen nicht. Die Autoren haben hier offenbar eine pragmatische Entscheidung getroffen, das Wort Jude überhaupt nicht zu gebrauchen. Ich würde schon sagen, dass die Wahl nicht so falsch war. Die Zuschreibung des Wortes Jude ist eine sehr komplizierte Angelegenheit und man umgeht die ganzen Verwicklungen, indem man es gar nicht benutzt.
Man kann sich eines gewissen Gefühls nicht erwehren, dass sich Teile der österreichischen Gesellschaft immer noch schwer tun, das Wort Jude oder jüdisch auszusprechen.
❙ Man kann auch sagen: Sie sind vorsichtig, um keinen Fehler zu machen. Und ich habe auch, ehrlich gesagt, nichts dagegen, obwohl mir die Ironie bewusst ist, die daraus entsteht.