„Die schlimmste Krankheit im Alter ist die Einsamkeit“

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Ein Schweizer Sabre und gelernter Hotelmanager leitet seit Jahresbeginn das Maimonides-Zentrum in Wien. Sein jüdisches Herz und einen „Rucksack“ von Erfahrung mit einem Vierteljahrhundert Altersarbeit hat er mitgebracht an die Donau. Mit Direktor Micha Kaufman sprach Anita Pollak.


WINA: Was hat Sie von Israel in die Schweiz und von dort nach Wien geführt?

Micha Kaufman: Ich bin als Sohn einer Schweizer Mutter in Israel aufgewachsen und habe nach meinem Militärdienst in Israel eine Hotelfachschule in der Schweiz absolviert und anschließend in Europa und Israel im Hotelbereich gearbeitet. Vor 26 Jahren habe ich in Zürich ein damals kleines jüdisches Seniorenheim übernommen und zu einem beträchtlichen Seniorenzentrum entwickelt. Die Altersarbeit gehört ja zur Parahotellerie und ist nicht so weit von meinem ursprünglichen Berufsfeld entfernt. Dann habe ich mich aber entschlossen, doch noch ein neues Kapitel in meinem Leben zu schreiben und das Maimonides-Zentrum zu leiten. Seit Januar bin ich da und ein Fan von Wien geworden.

„Hier habe ich Gesellschaft, die Gemeinschaft, aber auch die Möglichkeit, mich zurückzuziehen.“

War es eine berufliche Herausforderung oder ist das alles für Sie schon Routine?

❙ Ich komme mit einem bestimmten Rucksack. 25 Jahre ist eine Erfahrung, aber Routine ist es nicht. Alt werden, alt sein, das ist eine Wissenschaft, die sich in den letzten Jahren sehr entwickelt. Die Demenzkrankheit wird auf Grund der längeren Lebenserwartung zu einer Volkskrankheit, es gibt dazu immer neue Erkenntnisse. Außerdem hat jede Institution ihren eigenen Charakter und ihre eigenen Probleme, deshalb ist es G-tt sei Dank keine Routine. Sachen müssen geführt werden und nicht einfach laufen, weil wenn sie laufen, laufen sie davon.

Im Gegensatz zu Ihrem Vorgänger sind Sie Jude. Ein Vorteil?

❙ Es ist sicherlich ein Riesenvorteil, denn wenn eine nichtjüdische Person eine jüdische Institution zu führen hat, können Probleme entstehen. Was Kaschrut, Feiertage etc. betrifft, kenne ich mich einfach gut aus, auch der Kontakt mit der Kaschrut-Kommission und dem Rabbinat ist einfacher. Außerdem gibt es das jüdische Herz und die jüdische Seele. Die kann man nicht erwerben.

2009 ist das Elternheim aus Döbling übersiedelt. Ist man jetzt schon ganz angekommen, in baulicher und struktureller Hinsicht?

❙ Man ist noch lange nicht angekommen. Wir sind dabei, Strukturen und Abläufe zu verändern, Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement zu verbessern, es ist ja eine Branche in Entwicklung, und es werden immer mehr Leistungen gefordert. Baulich ist es hier sehr großzügig, es ist wunderschön gebaut, aber technisch muss man natürlich immer nachrüsten.

Probleme gibt es angeblich mit der Synagoge, die für viele Bewohner schwer zu erreichen ist.

❙ Die Synagoge ist stufenlos erreichbar, aber man muss ein bisschen gehen. Es ist auch eine Frage der Sicherheit, es gibt auf demselben Campus ja auch die Schule, und die Sicherheit betrachtet eine Schule mit anderen Aspekten als ein Seniorenheim. Aber wir hatten zu Pessach und Schawuot G-ttesdienste für die Heimbewohner in der Synagoge.

Wie funktioniert das angestrebte Zusammenleben der Generationen auf demselben Gelände?

❙ Das funktioniert, kann aber noch verbessert werden. So ein Zentrum sollte eine Drehscheibe der Generationen werden. Die älteren Menschen haben Schwierigkeiten, in die Welt hinauszugehen, also müssen wir die Welt hineinbringen. Und durch Schule und Kindergarten sind oft vier Generationen hier, die Urenkelin im Kindergarten, ein Enkel vielleicht im Gymnasium und Urgroßmutter oder Großmutter im Elternheim. Schüler kommen mittags ins Kaffeehaus, es gibt gemeinsame Veranstaltungen, aber mein Ziel ist es, das noch lebendiger zu gestalten. Der Kontakt mit der Leitung von Schule und Kindergarten funktioniert nach dem Motto: Miteinander zu sprechen, ist besser, als gegeneinander zu schweigen.

Wie gestaltet sich das Verhältnis Juden und Nichtjuden im Elternheim?

❙ Zahlenmäßig sind wir etwa bei 50 zu 50, d. h. die Hälfte der Bewohner ist nichtjüdisch. Die Kapazität des Hauses ist im Vergleich zur Bauernfeldgasse viel größer, und die jüdische Gemeinde Wiens mit ihrer demografischen Entwicklung kann nie das Haus mit jüdischen Bewohnern und Patienten füllen.Wir sind ja in der so genannten „Loch-Generation“ (d. h. die Jahrgänge 75 plus fehlen durch die Schoah praktisch., Anm.). Aber es gibt die Möglichkeit, Gemeindemitglieder, die ihre Eltern noch zu Hause pflegen, zu motivieren, sie doch hierher zu bringen, und da sehe ich meine Aufgabe auch darin, dabei Brücken zu schlagen.

Gibt es Spannungen oder Probleme zwischen den jüdischen und nichtjüdischen Bewohnern?

❙ Seit ich hier bin, gab es noch keine Probleme. Im Gegenteil: Ich finde eine solche Institution ist eine der besten Botschaften für das Judentum in Österreich. Nichtjüdische Bewohner sehen, dass jüdisch zu sein keine Krankheit ist und koscher sehr gut sein kann und haben sich z. B. auf die Mazzes zu Pessach mehr gefreut als die Juden. Und die jüdische Betreuung ist einfach anders, das biblische „Verwirf mich nicht in meinem Alter, verlass mich nicht, wenn ich schwach werde“ leben wir hier. Das Haus wird jüdisch geführt, aber zu Weihnachten hatten wir zum Beispiel auch einen eigenen Raum mit Weihnachtsbaum.

Wie kann man die Schwellenangst, die teilweise noch bei alten Menschen herrscht, abbauen?

❙ Indem man versucht, das Maimonides-Zentrum noch weiter zu öffnen. Das tun wir mit verschiedenen Kulturprogrammen, die wir so attraktiv gestalten wollen, dass die Menschen am Sonntag hierherkommen. Und mit der Tagesstätte, wo Menschen kommen und wieder gehen können. Außerdem bieten wir die Möglichkeit von Ferienaufenthalten an, wo alte Menschen einige Zeit schnuppern können, wie es sich hier lebt. Ein allgemeines Problem ist, dass dank der mobilen Pflege viele möglichst lang zu Hause bleiben und erst in die Institutionen kommen, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Da kommen sie meist nicht freiwillig, sondern werden hineingeschoben, und dann ist die Adaptierung an die neue Umgebung schon fast unmöglich. Die Menschen sollten früher kommen, um noch die Angebote genießen zu können.

Welchen Einfluss hat die IKG?

❙ Die IKG ist die Eigentümerin, und der Kultusrat der IKG ist das oberste Organ. Das Maimonides-Zentrum ist eine GmbH und ich bin auch Geschäftsführer und kaufmännischer Leiter.

Wie viele Bewohner leben im Elternheim? Ist es ausgelastet und was machen Menschen, die sich dieses Heim nicht leisten können?

❙ Derzeit sind es 205, außerdem gibt es die Demenzstation mit knapp 60 Betten, dann haben wir noch fünf Etagen Elternheim für Selbstständige und Pflegebedürftige und in den beiden obersten Etagen Residenzen, das sind 52 Wohnungen mit medizinischer und pflegerischer Sicherheit für selbstständige Bewohner, die sich Dienstleistungen kaufen können. Zur Zeit sind wir überall ausgelastet. Wenn sich jemand das nicht leisten kann, wird er vom Fonds Soziales Wien unterstützt.

Was möchten Sie persönlich noch verbessern bzw. erreichen?

❙ Mein Ziel ist es, das Haus einerseits zu professionalisieren und andererseits den Charme, das Engagement, das Improvisationstalent und das Menschliche, das das Maimonides-Zentrum auszeichnet, nicht zu verlieren.

Würden Sie als alter Mensch gern hier leben?

❙ Absolut, denn ich sehe die schönen Seiten und die Erleichterung. Ich glaube, die schlimmste Krankheit, die es im Alter gibt, ist die Einsamkeit. Hier habe ich Gesellschaft, die Gemeinschaft, aber auch die Möglichkeit, mich zurückzuziehen. Und zwar mit einem Aufzug, ohne das Haus verlassen zu müssen.

Micha Kaufman
wuchs als Sohn einer Schweizer Mutter in Israel auf, wo er auch seinen Militärdienst absolvierte. Er besuchte eine Hotelfachschule in der Schweiz und begann seine berufliche Karriere in Hotels in Europa und Israel. 1989 übernahm Kaufman ein jüdisches Seniorenheim in Zürich, das er über 25 Jahren mit großem Erfolg leitete und ausbauen konnte. Seit Anfang 2015 leitet Kaufman das Maimonides-Zentrum in Wien.

Bild: © Daniel Shaked

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