Ein großer Geist im Heiligen Land

Vor 100 Jahren fuhr Albert Einstein durch Palästina. Seine Tagebucheinträge dieser Reise zeugen von seiner wertschätzend-kritischen Analyse.

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Albert und Elsa Einstein auf ihrer Palästina-Reise in Galiläa. © Ben Segenreich; Albert Einstein-Archiv; Abir Sultan / EPA / picturedesk

„Die Tätigkeit der Juden in wenigen Jahren in dieser Stadt erregt die höchste Bewunderung. Moderne hebräische Städte aus dem Boden gestampft, mit regem wirtschaftlichen und geistigen Leben. Ein unglaublich reges Volk, unsere Juden!“

Diese Worte schrieb Albert Einstein am 8. Februar 1923 in Tel Aviv in sein Reisetagebuch. Dabei war die Ansiedlung, die heute Israels Wirtschafts- und Kulturmetropole ist, erst 14 Jahre zuvor gegründet worden und mit ihren nur 15.000 Einwohnern beinahe noch ein Dorf. Aber das Genie, das die Konstruktion des Universums durchschaute, hatte auch einen feinen, anteilnehmenden, oft ironischen Blick für Menschen und Details und ein realistisches Geschichts- und Politikbewusstsein. Obwohl er sich jahrzehntelang für den Zionismus engagierte, war Einstein nur ein einziges Mal in Palästina. In Israel hat man sich nun mit Zeitungsartikeln, großen Plakaten an der Einstein-Straße in Tel Aviv, einer Baumpflanzung im Technion in Haifa und einer Ausstellung samt Filmvorführung im Jerusalemer Albert-Einstein-Archiv daran erinnert, dass genau ein Jahrhundert seit jenem historischen Besuch vergangen ist. Von seinen Gastgebern, die ihn mit dem zionistischen Aufbauwerk beeindrucken wollten, wurde Einstein damals zwölf übervolle Tage lang umherkutschiert, und mit seinen Tage bucheinträgen hat er unzählige Schnappschüsse hinterlassen, die sich wie zu einem farbigen, authentischen Bild des Landes 25 Jahre vor der Gründung des Staates zusammenfügen.

Dabei waren Einstein und seine Frau Elsa schon fast vier Monate unterwegs gewesen, bevor sie am 2. Februar 1923 im ägyptischen El-Kantara einen Zug in Richtung Palästina bestiegen, das damals britisches Mandatsgebiet war. Von Marseille aus waren sie mit dem Dampfschiff durch den Suezkanal über Colombo, Singapur, Hongkong und Schanghai bis nach Japan gefahren, verbunden mit unzähligen Vorträgen, Empfängen, Abendessen, Besichtigungen, Wanderungen. Palästina lag nun gewissermaßen am Rückweg nach Europa. Gut neun Stunden dauerte die nächtliche Fahrt auf der heute nicht mehr existierenden Trasse durch den Sinai und Gaza bis zum Bahnhof in Lydda (heute Lod), wo eine aufgeregte Gruppe von hohen zionistischen Funktionären sich auf die Einsteins stürzte. Einer von ihnen, Frederick Kisch, berichtete später, dass Einstein „ziemlich müde“ aussah, „weil er die ganze Nacht sitzend verbracht hatte“. Doch das sei „seine eigene Schuld gewesen, weil er darauf bestanden hatte, zweiter Klasse zu fahren, trotz aller Bemühungen, ihn zu überzeugen, den Schlafwagen zu benützen, der für ihn reserviert worden war“. In Lydda stieg man in einen anderen Zug um, der von Jaffo kommend „an Kolonien vorbei durch wunderbares Felsthal hinauf nach Jerusalem“ fuhr.

  „Die Arbeiter kommen ohne Fachkenntnisse
und Übung
an und bieten nach kurzer Zeit vortreffliches […].“  

  Albert Einstein  

Behandelt wurde der damals 43-jährige Einstein wie eine Mischung aus Popstar, Staatsmann und Messias – die Zeitung Haaretz bejubelte ihn als „Titan unserer Generation“, seine Auftritte verursachten Menschenaufläufe. Spätestens seit dem Mai 1919, als die legendäre Eddington-Expedition durch Messungen während einer Sonnenfinsternis die von der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagte Krümmung der Lichtstrahlen bestätigt hatte, war Einstein der berühmteste Naturwissenschaftler der Geschichte. Drei Monate vor seiner Ankunft in Palästina war ihm der Physik-Nobelpreis zuerkannt worden. Ein „Vorrecht“ auf einen derart prominenten Gast hatte natürlich der politische Machthaber, und so vermerkt Einstein schon am Tag der Ankunft einen Termin im „Schloss des Gouverneurs“, womit Herbert Samuel, der britische Hohe Kommissar für Palästina, gemeint ist.

Roni Grosz im Albert-Einstein-Archiv in Jerusalem. © Ben Segenreich; Albert Einstein-Archiv; Abir Sultan / EPA / picturedesk

„Unsere Universität“. Ähnlich wie genau 25 Jahre zuvor Theodor Herzl bei dessen einzigem Besuch in Palästina ist Einstein enttäuscht und abgestoßen von der „sehr dreckige[n]“ Altstadt und von manchen ihrer jüdischen Bewohner: „Dann hin unter zu Tempelmauer (Klagemauer), wo stumpfsinnige Stammesbrüder laut beteten, mit dem Gesicht der Mauer zugewandt, den Körper in wiegender Bewegung vor und zurück beugend. Kläglicher Anblick von Menschen mit Vergangenheit ohne Gegenwart.“ Sehr angetan ist Einstein hingegen etwa von „einer jüdischen Kunstschule“, der schon 1906 gegründeten Bezalel Akademie („Prächtige Arbeit unter schweren Verhältnissen“), und den sozialistischen Prinzipien „zweier jüdischer Baukolonien westlich Jerusalem, zur Stadt gehörig“: „Die Arbeiter kommen ohne Fachkenntnisse und Übung an und bieten nach kurzer Zeit vortreffliches. Die leitenden erhalten nicht mehr Gehalt als die Arbeiter.“ Der Höhepunkt des Aufenthalts in Jerusalem und wohl der ganzen Palästina-Rundfahrt war der Vortrag Die Relativitätstheorie, den Einstein in französischer Sprache am 7. Februar auf dem Skopus-Berg hielt, an jener Stelle, an der zwei Jahre später die Hebräische Universität eröffnet werden sollte. Es ist allerdings überliefert, dass sowohl wegen des schwierigen Stoffes wie auch wegen der Sprache niemand den Professor verstanden hat.

Die Universität in Jerusalem war jenes zionistische Projekt, an dem Einstein persönlich und mit großem Einsatz beteidligt war. Er nannte sie „Unsere Universität“ und hatte dazu schon 1920 geschrieben: „Der Gedanke, dass der Traum einer jüdischen Universität nun seiner Verwirklichung nahe ist, erfüllt mich mit warmer Freude. Möge in der Universität unserem Volke ein neues Heiligtum erstehen!“ Willig ließ er sich als Zugpferd einspannen und fuhr sogar 1921 mit dem Zionisten-Chef Chaim Weizmann in die USA, um Geld für die Universität aufzutreiben. Schon lange vor seinem Tod verfügte Einstein, dass seine Schriften an die Universität gehen sollten – deshalb ist der Nachlass eines Geistesgiganten von globaler Bedeutung ausgerechnet im entlegenen, ein bisschen provinziellen Jerusalem gelandet. Das Albert-Einstein-Archiv liegt auf dem Campus der Universität Jerusalem und verwaltet rund 80.000 noch immer nicht vollständig aufgearbeitete Originaldokumente, wie Briefe, Fotos, Manuskripte von wissenschaftlichen Artikeln oder Entwürfe von Reden, aber auch auf lose Blätter gekritzelte physikalische Überlegungen und Berechnungen. Leiter des Archivs ist der Ex-Wiener Roni Grosz, ein Sohn des früheren IKG-Präsidenten Paul (Tuli) Grosz.

„Die Autos werden schwer geschunden.“ In Jerusalem hielt Einstein sich am längsten auf, man fuhr ihn aber auch nach Jericho, Tel Aviv, Rischon-le-Zion, Haifa, Nazareth, Tiberias und an viele andere Orte. In Tel Aviv ernannte ihn Bürgermeister Meir Disengoff zum ersten Ehrenbürger der Stadt – darüber soll Einstein gesagt haben, es mache ihn glücklicher als die zuvor erhaltene Ehrenbürgerschaft von New York. „Landschaft ähnelt Genfersee“, denkt sich Einstein beim Anblick des Sees Genezareth, wo er auch „nach kommunistischer Siedelung“ gebracht wird, wie er Degania, den ersten Kibbuz, bezeichnet. Er findet die „Kolonisten höchst sympathisch, meist Russen. Schmutzig aber von ernstem Wollen und mit Zähigkeit und Liebe ihr Ideal fortsetzend im Kampf gegen Malaria, Hunger und Schulden. Dieser Kommunismus wird nicht ewig dauern aber ganze Menschen erziehen.“

  „Man will mich unbedingt in Jerusalem haben  
  und attakiert mich in diesem Sinne in geschlossener Reihe.  
  Das Herz sagt ja, aber der Verstand nein.“  

Interessiert schaut Einstein sich Einrichtungen wie das Ruthenberg-Kraftwerk, Fabriken, Kellereien, Schulen an, aber eben auch die Menschen – etwa „prachtvolle Beduinen“ und den „Zauber dieser strengen monumentalen Natur mit ihren dunklen eleganten arabischen Söhnen“. Und auch in Palästina schielt Einstein, der kein treuer Ehemann war, auf die Frauen, bemerkt da eine „bildhübsche junge Jüdin“, dort die Frau eines Gastgebers („zart und von scharfer Intelligenz“) und lässt sich von Herbert Samuels „tüchtiger und derbnatürlicher, froher Schwiegertochter“ begleiten.

Einstein genießt die „glänzende Sonne“ und leidet einmal sogar unter „ziemlicher Hitze“, immer wieder berichtet er aber von dem für den israelischen Winter typischen „strömenden Regen“, der vor hundert Jahren Reisenden noch viel mehr zu schaffen machte als heute. „Fürchterlicher Regen mit vermehrtem Straßendreck“ behinderte das Fortkommen in Jerusalem, in Haifa gab es einen „Gang zu Fuss durch riesigen Dreck“, durchs Jordantal fuhr man „auf ungeheuer morastiger Strasse“, und das letzte Stück nach Nazareth „muss Auto von Maultieren durch großen Dreck bis zum Gutshaus gezogen werden“. Fazit: „Die Autos werden schwer geschunden in diesem Lande.“

Bei aller Rückständigkeit der Region weiß der Amateurgeiger Einstein es zu schätzen und auszunützen, dass er sich in einer Enklave europäischer Kultur befindet. „Abends musiziert mit Offizier in S. Samuels Wohnung, viel zu lang, weil ausgehungert nach Musik“, notiert er am vierten Besuchstag, und am Abend darauf nach einer Einladung: „Höchst musikalische Familie. Wir spielten Mozart-Quintett.“ Freilich: Für den Weltbürger und eminenten Forscher war Palästina wohl doch ein bisschen eng. Bei jeder Gelegenheit machten die Gastgeber Anspielungen darauf, dass der große Sohn des jüdischen Volkes sich doch im Lande Israel niederlassen sollte, aber bei allem Zugehörigkeitsgefühl und aller Begeisterung für den Zionismus ging Einstein darauf nicht ein: „Man will mich unbedingt in Jerusalem haben und attakiert mich in diesem Sinne in geschlossener Reihe. Das Herz sagt ja, aber der Verstand nein.“

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