Bühnenreife Resilienz

Wie jüdische Jugendliche in Deutschland sich auf und vor der Bühne stark für ihre Gemeinschaft machen. Eine Reportage über die 20. Jewrovision.

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And the winner is: das Jugendzentrum Olam Berlin. © Gregor Zielke /Zentralrat der Juden in Deutschland

Klimakrise, bedrohte Demokratien, Krieg in der Ukraine, immer wiederkehrende Wellen des Antisemitismus – diese Themen beschäftigen jüdische Jugendliche wohl auf der ganzen Welt. Wie sie sich diesen Themen stellen, dürfte unterschiedlich sein. Einen künstlerischen Einblick in die Perspektiven jüdischer Jugendlicher in Deutschland gab es am 19. Mai, als die Jewrovision, der Singund Tanzwettbewerb der jüdischen Jugendzentren in Deutschland, zum 20. Mal in der Festhalle auf dem Messegelände in Frankfurt am Main unter dem Motto „Don’t stop believing“ stattfand.

Die diesjährige Jewrovision war nicht nur durch ihr Motto geprägt von politischen Botschaften. Allein der Ort der Veranstaltung war nicht unumstritten. Denn acht Tage nach dem jüdischen Sing- und Tanzwettbewerb sollte Roger Waters, ein bekanntermaßen antisemitischer Künstler, in der Festhalle in Frankfurt auftreten. Und das, obwohl die Stadt und das Bundesland dies zunächst verboten hatten. In einem Gerichtsurteil nach einem Eileinspruch gegen besagtes Verbot wurde Waters schließlich Recht gegeben. Allerdings wurde bei der Rechtsprechung auf den besonderen historischen Kontext der Festhalle verwiesen. Von hier aus fanden 1938 Deportationen statt, weshalb der Auftritt von Waters, der sich nationalsozialistischer Symbolik bedient, „als besonders geschmacklos zu bewerten“ sei, wie es der Richter ausdrückte. In seinem Grußwort erklärte Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Entscheidung, die Jewrovision trotzdem, oder gerade deswegen, in der Festhalle stattfinden zu lassen: „Wir werden dem Hass auf Jüdinnen und Juden mit einem Fest des Jüdischen begegnen. Wir werden nicht schweigen.“ Auf diese Worte der Resilienz und des Selbstbewusstseins reagierte die Halle voller Jugendlicher mit tosendem Applaus. Wie dieses „nicht schweigen“ aussieht, zeigte sich rasch im Verlauf des Abends. Bei ihrem Grußwort zur Jewrovision 2023 wurde Kulturstaatsministerin Claudia Roth vom Publikum lautstark ausgebuht. Die Grünen-Politikerin war in der Vergangenheit wegen ihrer Position gegenüber der Anti-BDS-Resolution, der sie 2019 nicht zustimmte, und ihren verhaltenen Reaktionen auf die antisemitischen Werke in der Documenta 2022 immer wieder negativ in der jüdischen Gemeinschaft aufgefallen. In einer Stellungnahme im „Tagesspiegel“ solidarisierte sich der Zentralrat mit den Buhrufen der Jugendlichen und bezeichnete diese als „Konsequenz der Entwicklungen im deutschen Kulturbetrieb der vergangenen Jahre“.

Jewrovision:
Die Jewrovision ist, nach dem Vorbild des
Eurovision Song Contest, ein Sing- und
Tanzwettbewerb der jüdischen Jugendzentren in Deutschland. Entstanden ist sie vor 21 Jahren, damals mit rund 120 Teilnehmenden. Seit zehn Jahren wird sie offiziell vom Zentralrat der Juden in Deutschland ausgetragen. Mitmachen dürfen jüdische Jugendliche, die Teil eines Jugendzentrums und zwischen zehn und neunzehn Jahren alt sind. Bewertet wird mit Punkten von eins bis zwölf durch eine prominente Fachjury, in diesem Jahr unter anderem bestehend aus dem Komponisten Alex Christensen, dem Popsänger Jay Khan und den Jugendzentrumsleitern der teilnehmenden Zentren.
jewrovision.de

Für die eigenen Werte einstehen, der „Glauben an den Zusammenhalt der jüdischen Gemeinschaft und nicht zuletzt an euch selbst“, das ist nach Dr. Josef Schuster der Kern der Jewrovision. Und der Grund für deren Erfolgsgeschichte. Aus einem kleinen Wettbewerb zwischen wenigen Jugendzentren und 120 Teilnehmenden vor 21 Jahren entwickelte sich ein jährliches Kultereignis, das aus der jüdischen Welt Deutschlands nicht mehr wegzudenken ist. In diesem Jahr nahmen dreizehn Jugendzentren und mehr als 1.500 Jugendliche aus ganz Deutschland teil.

Die Jewrovision bietet Vernetzung. Die Jewro-Gemeinschaft entwickelt sich stetig weiter, wird in jedem Jahr größer und vernetzter. So nehmen neben den großen Jugendzentren aus Berlin und Düsseldorf seit Jahren auch Zusammenschlüsse kleinerer Jugendzentren aus dünner besiedelten Regionen Deutschlands teil. In diesem Jahr hatte „We.Zair Westfalia“, ein Zusammenschluss zehn kleiner Jugendzentren des Landesverbands WestfalenLippe, Premiere. Zwölf Monate habe die Koordination aus Fahrgemeinschaften und Probeterminen gebraucht, doch die Aussicht an der Jewrovision teilzunehmen, sei diese Mühen wert gewesen – ganz im Sinne des Mottos „Don’t stop believing“.

Das Motto mit seinen vielen Facetten in einen Auftritt zu bekommen, dürfte in diesem Jahr für die Jugendlichen eine Herausforderung gewesen sein. Denn die thematischen Vorgaben erstreckten sich von „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen“ – 75 Jahre Israel, über den jüdischen Glauben als Quelle der Inspiration bis hin zum Einsatz für den Frieden in unruhigen Zeiten. Dem Motto sowie dem Zeitgeist entsprechend, zogen sich politische Botschaften dann auch durch den Performance-Teil des Abends. „Weil wir wieder sehn / Wie sie Liebe nehmn / Und in Kriege gehen / Unsren Frieden stehln“ rappten Jugendliche aus dem Zusammenschluss mehrerer Jugendzentren aus Baden „JuJuBa“ (Jüdische Jugend Baden). „Wir haben sehr darauf geachtet, dass jeder er/sie selbst sein kann. Zum Beispiel als wir diese Messages gemacht haben – ich habe gekniet (gemeint ist ein Kniefall, aus der „Black Lives Matter“ Bewegung stammend), Miri hat die LGBTQIA+ Community Flagge hochgehalten, Marina die Ukraine-Flagge. Alles das, was einen selbst widerspiegelt, und so haben wir versucht, das zu verbinden“, erzählt Leon, 15, aus Mannheim begeistert über das Performance-Konzept von „JuJuBa“. Den Jugendlichen und ihren Belangen eine Bühne bereiten und ihnen dadurch eine Stimme geben, dafür steht die Jewrovision. Und am Beispiel von „JuJuBa“ mit vollem Erfolg: „Ich hatte Spaß und habe mich so unglaublich frei gefühlt“, strahlte Dina, 11, nach ihrem Auftritt.

Glaube und Hoffnung: Die Performance Let me Believe vom Jugendzentrum Chasak aus Hamburg (o.). „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ – Jugendliche des Jugendzentrum Olam aus Berlin feiern ihren Sieg mit Hoffnung (u.). © Nelly Z. Graf

Die Liedtexte gaben insgesamt Einblicke in die vielfältigen Quellen der Hoffnung und Stärke der Jugendlichen. „Auch du, mein Israel, bist von Konflikt geplagt. Auch hier demonstrieren Menschen noch Tag für Tag. Zu deinem Jubiläum wünsch ich mir nur eines: Frieden und Einheit schickt mein Herz an deins!“, hieß es beim Auftritt von „Emuna“ Dortmund. Das Jugendzentrum „Halev“ aus Stuttgart interpretierte das Motto sehr wörtlich und sang über die Kraft, die aus dem Glauben geschöpft wird: „Denn, wenn du an dich glaubst […] erreichst du alles, was du willst […] Denn Haschem, er tut es auch“.

© Nelly Z. Graf

Bei der Punktevergabe bekräftigten die Juror*innen einhellig, dass alle Teilnehmenden des Abends Sieger seien. Den Pokal für den ersten Platz gab es dann aber doch nur für einen Auftritt, für das Jugendzentrum „Olam“ aus Berlin für eine mitreißende Performance mit 70 Jugendlichen auf der Bühne. Auf dem zweiten Platz landete die Gastgeberstadt Frankfurt. Den dritten Platz konnte sich der Verbund „We.Zair Westfalia“ aus Westfalen-Lippe sichern – die lange Vorbereitung hatte sich also ausgezahlt. Über den Abend war immer wieder der Geist der Jewrovision, wie Dr. Schuster ihn in seinem Grußwort skizziert hatte, in der Halle zu spüren. Denn am Ende ist die Jewrovision viel mehr als ein Sing- und Tanzwettbewerb. Sie ist eine Quelle der Freude und des Selbstvertrauens für die jüdische Jugend geworden. Und diese neue Generation macht eine Sache sicher: Sie hört nicht auf, an eine Zukunft mit farbenfrohem, selbstbewusstem jüdischen Leben in Deutschland zu glauben.

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