Eine Künstlerin erinnert sich

Angekommen – eine Heimkehr nennt die beliebte Schauspielerin und Liedautorin Lena Rothstein ihre biografischen Aufzeichnungen.

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Biografisches von Lena Rothstein: Angekommen – eine Heimkehr. new academic press 2023. 252 S., 28,79 €

Das schöne Gesicht, vom ereignisreichen Leben modelliert, strahlt jetzt eine kindlich entzückte Aura aus: Die Schauspielerin und Sängerin Lena Rothstein liest im Jüdischen Museum Wien aus ihrem Kindertagebuch – und der volle Saal lauscht ihr gebannt. Dieses frühe Tagebuch hat die 1943 in Glasgow geborene Künstlerin in ihre soeben publizierte Lebensgeschichte jeweils zeitlich passend eingeflochten. Und so wechselt sie bei der Präsentation auch gekonnt den Gesichtsausdruck, die Intonation, je nachdem, ob die kleine oder die erwachsene wuschelköpfige Lena erzählt.

In Angekommen – eine Heimkehr. Biografisches von Lena Rothstein nimmt uns die Autorin mit auf eine stürmische Reise. Bereits mit drei Jahren, Ende 1946, folgt der erste Heimatwechsel von London in das zerbombte Nachkriegs-Wien, aus dem ihre blutjungen jüdisch-linksorientierten Eltern 1938 geflohen waren. Schon im sechsten Lebensjahr erfährt Lena in Wien den nächsten gravierenden Einschnitt: Ihre Heimkehr bringt das Ende der Ehe ihrer Eltern mit sich. „Von Seiten meiner Mutter hieß es, ‚Die KPÖ hat unsere Ehe zerstört‘“, schreibt Rothstein, die ihre alleinerziehende, schöne, elegante und lebenstüchtige Mama über alles liebt und achtet. Diese führt dem Kind zwar neue Familienmitglieder zu, dennoch vermisst Lena, das Einzelkind, ihren Vater schmerzlich, den sie nur sporadisch trifft. Bewusst erinnern kann sie sich nur an einen Großvater, die anderen nahen Angehörigen wurden alle Opfer der Schoah.

Obwohl Kindergarten und Schule dem kontaktfreudigen Mädchen schnell zu engen freundschaftlichen Bindungen verhelfen, sind diese nur bedingt hilfreich: Die finanziellen Umstände erfordern ständige Wohnungswechsel zur Untermiete – auf das ersehnte, lang angezahlte Eigentum müssen Mutter und Kind dreizehn Jahre warten. Das bedeutet immer wieder das jähe Ende der frisch geknüpften sozialen Kontakte. Schadlos hält sich Lena, indem sie viel liest und vor allem von Klassik bis zum Schlager reichlich Musik hört und aufsaugt.

„Niemand sprach gerne über Zeiten, in denen
die Menschenwürde Mangelware gewesen war.“

Lena Rothstein

 

„Niemand sprach gerne über Zeiten, in denen die Menschenwürde Mangelware gewesen war“, resümiert die rückblickende Erwachsene. „Wir lachten viel, vielleicht war man auch überlustig?“ Lena Rothstein, geborene Schwarz, entschied sich erfreulicherweise gegen das tragische, traurige Sich-Fallen-Lassen: Statt Depression wählte sie das Weitergehen, das in die Zukunft Schauen, etwas Aufbauen und vor allem Dazugehören. Dennoch ist das Gefühl des „Anderssein“ ein ständiger Begleiter, so schreibt sie im ersten Eintrag des Kindertagebuchs: „Ich bin anders als die anderen Kinder. Ich brauch deswegen in der Schule auch nicht beten, in der Früh. Mein Religionsunterricht ist ein paar Gassen weiter, in der Novaragasse, die ist auch im zweiten Bezirk, wo wir wohnen. Jeden Donnerstag um 5 Uhr Nachmittag. Dort lerne ich von Adam und Eva und dem ,Heiligen Land‘ und Hebräisch lesen und beten. Meine Mama kennt sich da nicht aus, weil sie hat nie Religion gelernt, und so weiß sie auch nie, wann die Feiertage sind, trotzdem sie auch Jüdin ist wie ich und deswegen aus Österreich weggelaufen ist, aber da war sie schon 17 Jahre alt.“

„Ihre Liebe zum Puppenspiel führte später zur Ehe mit einem der größten Puppenspieler der 1960er und 1970er-Jahre, Arminio Rothstein, aus dem ORF-KinderFernsehen als Clown Habakuk bekannt. Mit seinem Zirkus bin auch ich aufgewachsen“, schreibt die Journalistin Renata Schmidtkunz im Vorwort. Nach einigen Jahren auf deutschsprachigen Bühnen – und der Scheidung von Rothstein – gründete Rothstein mehrere Musikensembles, mit denen sie CDs mit sephardischen, jiddischen sowie, als Schülerin des Lycée français de Vienne, eigenen französischen Lieder produzierte. Zahlreiche Tourneen führten sie um die Welt und beeinflussten ihr Schaffen: 1990 gründete sie S.P.H.A.R.A.D.I.M., ein internationales Ensemble, das Konzerte in Österreich, Deutschland, Belgien, Holland, Israel, Ungarn, Slowakei, Dänemark, Schweden und Finnland gab.

Rothstein absolvierte eine Ausbildung als Schauspielpädagogin und unterrichtete am Wiener Volkstheater sowie von 2007 bis 2011 am Max Reinhardt Seminar. Wirklich zur inneren Ruhe kam die Vielseitige, als sie einer Jugendbekanntschaft wiederbegegnete: Tony Scholl, der auch als Kind jüdischer Österreicher im britischen Exil geboren wurde. Die beiden stehen nun gemeinsam auf der Bühne und ernten große Erfolge, u. a. mit ihrer Produktion Mein Bruder Vagabund, einer Hommage an den im KZ-Buchenwald ermordeten Dichter Jura Soyfer. Anhand einer Kartenpartie, gespickt mit jüdischen Witzen und Liedern, mit dem Titel Tränen weinen – Tränen lachen erzählen die beiden einfach die Weltgeschichte.

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