„Das Zielpublikum bin ich selber“

Der Alt-Neu-Verleger Michael Baiculescu kann bei Marsyas seine literarischen Liebhabereien und seine jüdische Prägung kompromisslos ausleben.

1327
Michael Baiculescu. „Natürlich komme ich von irgendwo her und fühle mich dort wohl.“ © Marsyas Verlag

Inmitten der Mazzesinsel, gleich beim Karmeliter-Markt, wo der leidenschaftliche Hobbykoch gern einkauft, empfängt Michael Baiculescu in seiner Altbauwohnung. Im Vorzimmer stapeln sich Buchpakete, denn „ein Büro habe ich noch nicht“. Als Gründer des Mandelbaum Verlags nach 25 Jahren in Pension gegangen, hat Baiculescu vor Kurzem Marsyas ins Leben gerufen, einen kleinen, feinen literarischen Ein-Mann-Verlag, der mit drei exquisiten Titeln bereits auf der Leipziger Frühjahrsbuchmesse angetreten ist.

WINA: Sie haben Ihr Lebenswerk, den Mandelbaum Verlag, einem Mitarbeiterkollektiv übergeben. Statt sich zur Ruhe zu setzen, haben Sie sich aber kopfüber in ein neues Verlagsprojekt gestürzt. Was war Ihr Motiv?
Michael Baiculescu: Ich habe meine Rolle gewechselt und bin noch freier Mitarbeiter im Mandelbaum Verlag, quasi mein Brotjob, der es mir ermöglicht, einen neuen belletristischen Verlag zu machen. Ich bin in einer privilegierten Situation, bin in Pension, bekomme eine Leibrente vom Verlag und kann daher meine literarischen Liebhabereien richtig schön und kompromisslos umsetzen, wie man es sich sonst eigentlich nie leisten kann.

Wie früher nur reiche Privatiers oder Adelige. Man müsse einen Knall haben, um einen Verlag zu gründen, schreiben Sie in Ihrem Programm. Welchen Knall haben Sie?
I Genau, ich spiel jetzt spinnerter Adeliger! In der Dauerkrise auch im Buchhandel ist es natürlich ein finanzielles Abenteuer. Ich will das machen, was mir allein möglich ist und solange es mich freut. Das heißt, dass ich keine neuen Sachzwänge mit einem größeren Verlag aufbauen will, in dem man immer produzieren muss.

„Marsyas“, benannt nach einem griechischen Satyr, soll „achtlos Weggeworfenes“, Vergessenes oder nie Erschienenes zu Tage fördern. Liegt das nicht auch im Trend gegen die zwanghafte Aktualität der Neuerscheinungen, siehe „Verlag das Vergessene Buch“?
I Ja, da gibt es einige. Ich bin zu diesem Schwerpunkt gelangt, weil ich bemerkt habe, dass viele Sachen, die nicht mehr lieferbar sind und untergehen. Es hat mit meiner Sozialisation zu tun, dass mir diese Dinge wichtig sind.

 

„Das gut ausgestattete Buch wird besser überleben, als die billige Ware.“
Michael Baiculescu


Kann man da aus dem Vollen schöpfen?

I Ja, man kann locker ein großes Verlagsprogramm mit solchen Sachen füllen. Bei diesen drei ersten Titeln handelt es sich um relativ dünne Bände, die Rechtefragen waren leicht zu klären, bei vielen anderen gibt es noch mehrere editorische Fragen. Da ich schon bei der diesjährigen Leipziger Buchmesse präsent sein wollte, war es pragmatisch, vorerst diese drei Bücher zu machen. Sie sind aber nicht prototypisch fürs ganze Programm. Mich interessieren Genre übergreifende Formen, auch Lyrik und Mischformen, wie die Durchdringung von bildender Kunst und Literatur und Experimente aus der Frühzeit der Moderne.

Bereits im Mandelbaum Verlag gab es eine prominente jüdische Schiene. Judaica, Stadtreisen zum jüdischen Europa, Shoah-Titel etc. Nun sind alle drei Autoren Ihres Eröffnungsprogramms Juden. Rein zufällig? Sie sind 1957 in Rumänien geboren, woher kommt Ihre Nähe zum Judentum?
I Ich hab schon auf diese Frage gewartet! Die Auswahl war natürlich kein Zufall, aber auch nicht bewusst herbeigeführt. Es hat mit meiner Familiengeschichte und Sozialisation zu tun. Mein Vater war rumänischorthodox, meine Mutter Jüdin aus einem typischen k.u.k. Haushalt mit Wurzeln im Banat. Von den zehn Geschwistern meiner Großmutter haben nur zwei überlebt. Als ich sechs Jahre alt war, gingen wir nach Deutschland, und ich hab weder übers Judentum noch über unsere jüdische Herkunft etwas gewusst. Als wir in der Volksschule über unseren Glauben befragt wurden und ich meine Mutter danach fragte, sagte sie mir den klassischen Satz: Wir sind Juden, aber das braucht niemand wissen. Das war’s. Meine Mutter hat ihre letzten Lebensjahre in Wien im Maimonides-Heim verbracht, hat aber auch mit jüdischer Vereinnahmung ihre Probleme gehabt.

Die drei Neuerscheinungen des Marsyas-Verlags: Eduardo Pogoriles: Mandls falsche Memoiren. Eine Schurkengeschichte. Aus dem Spanischen von Erich Hackl. 92 S., € 20

Nun zu den Büchern: Walter Mehring, vor dem Krieg einer der bekanntesten Autoren Österreichs, ist nach Amerika emigriert, hat aber nach seiner Rückkehr nicht mehr literarisch Fuß gefasst und ist fast vergessen. Sein Buch Algier, eine Art Scheherazade, ist eine überraschend aktuelle Tourismussatire.
I Ja, es ist einer von Mehrings Versuchen zu experimentieren. Algier ist 1925 erstmals erschienen. Mehring wurde als einer der verbrannten Autoren noch ein bisschen bekannt, aber so böse, kompromisslos und radikal, wie er war, war er für den Nachkriegsliteraturbetrieb im deutschsprachigen Raum wohl zu gefährlich. Anfang der 1980er-Jahre gab es sogar noch eine Werkausgabe, aber das war zu spät für ihn. Er war wohl auch etwas verbittert, hat aber weiter geschrieben und ist 1981 gestorben.

 

 

Jura Soyfer: Streik der Diebe. Ein Filmexposé von Jura Soyfer sowie eine Posse von Georg Mittendrein mit Liedern von Georg Herrnstadt. 156 S., € 24

Jura Soyfer ist als Theaterautor zumindest nicht ganz unbekannt. Sein satirischer Streik der Diebe wurde aber nie auf der Bühne realisiert. Warum?
I Der Text ist ein Filmexposé, und Georg Mittendrein, der daraus ein Theaterstück machte und früher das Jura Soyfer Theater am Spittelberg leitete, bemüht sich darum, ein Theater zu finden. Es wartet also noch auf eine Premiere.

 

Der Argentinier Eduardo Pogoriles ist total unbekannt. Fritz Mandl, dessen „falsche Memoiren“ er als „Schurkengeschichte“ schrieb, ist hier als Exehemann der Schauspielerin Hedy Lamarr bekannt geworden. Wie kamen Sie an dieses Manuskript?
I Das hatte Erich Hackl schon übersetzt und hat mich darauf aufmerksam gemacht. Ich bewundere Hackls Genauigkeit und Präzision. Es war praktisch schon fertig.

Walter Mehring: Algier oder die 13 Oasenwunder.116 S., € 24

An der edlen Ausstattung der Bände bemerkt man Ihre Ausbildung als Buchhersteller und Grafiker. An welches Publikum wenden Sie sich? Bibliophile, literarische Feinspitze?
I Das Zielpublikum bin ich selbst. Irgendwann wird die Vermarktung schon interessant werden, aber ich mach in diesem Verlag jetzt Sachen, die mir gefallen. Wenn ich finde, dass etwas großartig ist, möchte ich es auch anderen zugänglich machen. Mir waren diese marktbeobachtenden Überlegungen nie eine Kategorie, aber ich will mich natürlich nicht nur als Spinner darstellen. Ich glaube, das gut ausgestattete und relativ teure Buch wird besser überleben, als die schnelle, billige Ware. Weil gerade in der Krise das viel lesende Publikum eher bereit ist, dafür auch Geld auszugeben. Ich gestalte die Bücher selbst, und es ist ganz klar, dass diese Ausstattung nicht auf einen schnellen Erfolg gerichtet ist.

 

In welche Richtung soll sich das Programm weiter entwickeln, soll das Jüdische weiterhin ein Schwerpunkt sein?
I Also, da mach ich mir keine Sorgen, es werden genug Juden und Jüdinnen vorkommen! Das passiert, weil gerade in der Epoche, die mich interessiert, einfach viele da sind. Ich habe mich immer gegen den Begriff „jüdische Kultur“ gewehrt, weil mir das zu schwammig war. Aber natürlich komme ich von irgendwo her und fühle mich dort wohl. Mein Verständnis von Literatur und meine Freude an bestimmten sprachlichen Wendungen, das ist eine Prägung. Was davon jüdisch ist, ist noch eine andere Frage, aber damit beschäftige ich mich gar nicht.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here