„Dieses Start-up war in Wien“

Den beiden großen Zionistenkongressen in Wien in den Jahren 1913 und 1925 und ihren Folgen hat die Historikerin Evelyn Adunka einen erhellenden Band gewidmet.

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Evelyn Adunka: Zionistenkongresse in Wien. Der XI. Zionistenkongress 1913 im Musikverein mit der Gründung der Hebräischen Universität und der XIV. Zionistenkongress 1925 im Konzerthaus. Edition INW, € 19,90

Blau-weiße Fahnen wehten vom Hauptportal des Musikvereins. Im Großen Saal fanden hunderte jüdische Delegierte aus aller Welt und insgesamt rund 9.000 Besucher zusammen. Mehrere Tage lang wurde vorgetragen und debattiert und letztlich die Gründung einer Hebräischen Universität als verbindlich angenommen.
106 Jahre später wurde wiederum im Musikverein, diesmal im kleineren Steinernen Saal, bei der hochkarätigen Buchpräsentation von Evelyn Adunkas Band, erschienen in der Edition der Illustrierten Neuen Welt, an dieses historische Ereignis erinnert.
„Der Start-up der Start-up-Nation Israel ist die Hebräische Universität in Jerusalem, und dieses Start-up war in Wien“, stellte Menahem Ben-Sasson, Kanzler der Hebräischen Universität Jerusalem, in seinem Einleitungsvortrag fest, nachdem auch Botschafterin Talya Lador-Fresher auf die Bedeutung beider Wiener Kongresse hingewiesen hatte.
Chaim Weizmann, der spätere erste Präsident Israels, und Chaim Nachman Bialik, der bedeutendste hebräische Dichter der jungen Nation, waren die prägenden zionistischen Persönlichkeiten beider Veranstaltungen, zwischen denen der Erste Weltkrieg und die Eröffnung der Universität am Mount Scopus im April 1925 lagen. Aber die Teilnehmer- und Gästelisten lesen sich insgesamt wie das Who is Who der jüdischen Geistesgrößen dieser Zeit. Auch Franz Kafka schaute 1913 vorbei, sein gegenüber Max Brod festgehaltener Eindruck, er sei „wie bei einer gänzlich fremden Veranstaltung dagesessen“, muss auf Kafkas persönliche Befindlichkeit zurückzuführen sein, denn die meisten Teilnehmer waren nahezu durchgängig euphorisch, die wenigsten kritisch, denn allesamt waren sie ja Zionisten aus ganzer Seele.

»Blau-weiße Fahnen wehten
vom Hauptportal des Musikvereins«

 

Hochgefühle. Diese Aufbruchstimmung, die Hoffnungen und Hochgefühle, den Zukunftsglauben der Delegierten spiegeln die von Adunka zitierten Protokolle der Sitzungen und der wichtigsten Reden. Gerade in der ausführlichen Wiedergabe ergeben sie in ihrer Gesamtheit ein beeindruckendes Zeitdokument. Ein „Strom von Licht und Helligkeit“ , eine „neue Kraft zum Vorwärtsstreben“ fühlten sie und waren überzeugt, „daß alle Regierungen und Völker unser Friedenswerk mit Wohlwollen betrachten“.
In der Debatte über die geplante Gründung einer Hebräischen Universität gab es 1913 viele pathetische Befürworter, aber auch vehemente Gegner, vor allem von religiöser Seite, was letztlich darin gipfeln sollte, dass der Tag ihrer Eröffnung im April 1925 vom orthodoxen Rabbiner der Schiffschul in Wien zum Fasttag bestimmt wurde.
Auch bei der eigenen Frauenversammlung des Kongresses wurden im Beethovensaal Brüche zwischen Orthodoxie und verbreiteter Assimilation spürbar. „In Westeuropa ist meistens die Tatsache, Jüdin zu sein, ein unbequemer Geburtszufall“, beklagte etwa die Hauptreferentin, Johanna Simon Friedberg, was „nichtzionistische Frauen“ als Angriff empfanden.
Dem Echo der Veranstaltungen in der jüdischen und nichtjüdischen Presse geht Adunka in eigenen Kapiteln nach, ebenso der „Ignorierung oder Wahrnehmung bei Zeitgenossen der literarischen Moderne“. Stefan Zweig und Richard Beer-Hofmann gehörten offenbar zu diesen Zeitgenossen, wiewohl sie dann viel später, 1936, gemeinsam mit der intellektuellen Elite des jüdischen Wien, unter anderen auch Sigmund Freud und Franz Werfel, einen Aufruf des neu gegründeten Vereins der Freunde der Hebräischen Universität, der bis heute besteht, unterzeichneten.

Besonders wertvoll und erhellend sind die von der Autorin angefügten Biografien der Protagonisten der Kongresse und anderer zionistischer Aktivisten, und nicht nur insofern ist Evelyn Adunkas zeithistorischer Band ein Nachschlagewerk ebenso wie ein durchaus lesbares, ja sogar spannendes Buch, wenn man ein Grundinteresse an der zionistischen Idee mitbringt. Denn so viel Zukunftsglaube wie bei den geschilderten Kongressen sollte das jüdische Wien danach nie wieder erleben.

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