Dinge sehen dich an

Lothar Müller unternimmt in Freuds Dinge eine kluge und aufschlussreiche Promenade durch die reale und symbolische Dingwelt des Psychoanalytikers.

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Carl Theodor Wagners Haustelefon, das „in Stromkreisen mit 2.500 Ohm kräftig läutet“. © Freud Museum London; privat

Der Nebel war dicht. Der graue Rauch war wie ein Vorhang. Er waberte zwischen den Türen, über dem Tisch und zwischen den Stühlen wie ein träumender Weihrauch. Es war ein dichter, undurchdringlicher Qualm, der formlose Geister auftauchen, sich verwandeln und wieder absinken ließ. Es brodelte von prallem, geheimnisvollem Leben und von Lebensansichten und Seelenbohrungen.

Die Töpler-Holtz’sche Influenzmaschine:
konnte „elektrischen Wind machen“. © Freud Museum London; privat

Doch der Nebel kam nicht auf kleinen Katzenpfoten daher. Der Qualm im Raum kam von Zigarren und Zigaretten, die angezündet, geraucht und ausgedrückt wurden, und von neuen, die rastlos angesteckt wurden. Es wurde ohne Unterlass gepafft von den Männern, die sich versammelt hatten, zwischen den vielen Worten, die vorgebracht, den vielen Kommentaren, die gemacht, den vielen Gedanken, die um- und umgedreht wurden. Einmal, spätabends, warf der älteste Sohn des Hausstandes, Martin, nachdem die Disputationsgesellschaft gegangen war, einen Blick in den Raum. Es erschien ihm wie ein Wunder, dass darin Menschen mehrere Stunden lang gelebt, ja gesprochen hatten, ohne dass einer von ihnen röchelnd und um Luft ringend zu Boden gesunken war. Es war ein Mirakel. Es war eine Freude. Und es war bei Freuds. In der Berggasse. Und es war einer der typischen Abende der so genannten Mittwochs-Gesellschaft, die sich bei Sigmund Freud in seiner Wohnung mit Ordination in der Berggasse traf.

Sein Studierzimmer war zu eng und zu klein, um sich darin zu treffen. Vor allem quoll es über an Büchern, an kleinen bis mittelgroßen Antiquitäten und Kunstgegenständen. Eine durchweg eklektizistische, historistische Kollektion war dies, weniger ästhetisch inspiriert als von einem humanistisch-antikischen Grundzug durchwoben. So benutzte man das Wartezimmer der im Mezzanin, im zweiten Stock des Hauses befindlichen Praxis. Vor lauter Rauch konnte man durch die offene Tür kaum die Dinge im Nebenraum sehen. Dabei waren sie keineswegs unwichtig.
Eben diesen und vielen anderen Dingen widmet Lothar Müller, Literaturredakteur der Süddeutschen Zeitung in deren Redaktionsableger in Berlin, der vor einigen Jahren ein instruktives Buch über die Geschichte des Papiers und also auch des Buches an sich schrieb, nun eine ganze Abhandlung.

Stets sind die Figuren Freuds dem forschenden Blick dessen ausgesetzt, der von ihnen berichtet. Nie bleiben sie, was sie zu Beginn zu sein schienen.
Lothar Müller

Katalog der Symbole. Er nimmt erhellend etwas in den Blick, was wir alle seit mehr als hundert Jahren mit einem Berggassen-Blick erfassen, Sachen, Objekte, Dinge. Die da sind, die etwas bedeuten, die uns mit Bedeutung und alles andere als zufällig aus der Hand fallen, die wir zerschlagen. Symbolisch, bildlich, manifest, im Wort, vor allem in Träumen. Im Winter 1915 auf 1916 stellte Sigmund Freud, damals Ende 50, in seinen „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ ja einen ganzen Katalog symbolischer Dinge vor, die anderes, Psychosexuelles bedeuten würden: Schirme, Stangen, Stöcke, Dolche und Säbel, Pistolen und Lanzen, kontrastierend dazu Schachteln, Dosen, Koffer und Büchsen, Pfirsiche und Blumen, Äpfel und Flaschen.

Götter in Terrakotta.
Der geflügelte Eros aus Freuds Sammlung. © Freud Museum London; privat

Müller arbeitet sich in seiner eleganten Darstellung, die allerdings ein mehr als nur oberflächliches Vorwissen der psychoanalytischen Theorien erfordert, von Gerätschaften der Wissenschaft und des Labors vor zu Hausgegenständen, von dort weiter zu archäologischen Objekten, die Freud bekanntlich mit großer Passion sammelte (Archäologie durchzieht ja als Vergleich oder Verweis sehr viele seiner Aufsätze), zu Dingen der „Dämonologie des Alltags“ (Müller) sowie mit Sinn und Wissen aufgeladenen Gegenständen – Freud als leidenschaftlicher Leser und Mythenkenner – bis zu Stift und Wunderblock und den letzten, pardon: Letzten Dingen. Am Ende ist dies eine aufschlussreiche Würdigung der bisher im freudianischen Kosmos auffällig gern vernachlässigten „Statisten“, wie Müller schreibt.
Zudem ist dieses Buch als „Ding“, als Buchobjekt besonders schön geraten. Nach den letzten, typografisch wie gestalterisch eher enttäuschenden, nüchternen Bänden dieser seit mehr als dreißig Jahre im Erscheinungsbild avancierten Reihe, die einst der Drucker und Buchgestalter Franz Greno sich ausdachte – wobei es allerdings eine noch viel ältere Inspiration in England gab, die Londoner Folio Society –, hat die Grafikerin Katrin Scha­cke aus Offenbach nahe Frankfurt am Main für Freuds Dinge eine ausgesprochen augenschmeichlerische Gestaltung ersonnen. Da gibt es farbige ganzseitige Abbildungen, Bildan- und -ausschnitte, Ornamente und geschmackvoll farbig unterlegte Seiten – allerdings auch ein Literaturverzeichnis, das zweispaltig gesetzt ist, was die Lektüre unnötig erschwert.

Lothar Müller:
Freuds Dinge. Der Diwan, die Apollokerzen und die Seele im technischen Zeitalter. Die Andere Bibliothek 2019,
408 S., 43,20 €

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