Ein starkes weibliches „Echo“

Alle Jahre wieder erscheint das von Leon Zelman 1951 gegründete Jüdische Echo, und immer beleuchtet es von verschiedenen, nicht nur jüdischen Blickwinkeln ein großes Thema. Dem „Jahrhundert der Frauen“ ist die aktuelle Ausgabe gewidmet, und die größtenteils prominenten Autoren sind dementsprechend überwiegend Innen, sprich Autorinnen. Ja, auch die Frage des Genderns wird angesprochen, wie Chefredakteur Erhard Stackl im Gespräch erzählt.

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Erhard Stackl. „Dieses Mal haben wir eher die Verbindung zu Menschen, die in Wien aufgewachsen sind, gesucht.“© Robert Newald/picturedesk.com

WINA: Es ist das sechste Heft, das Sie als Chefredakteur verantworten, und das erste mit einer Co-Chefredakteurin. Inwieweit ist das dem aktuellen Thema geschuldet?
Erhard Stackl: Ich habe mir das sehr gewünscht, denn die Herausgeberschaft wird von einem Mann, Leon Widecki, repräsentiert, und ich habe die Redaktion über, und deshalb bin ich an die junge Journalistin Anna Goldenberg herangetreten, ob sie mich bei diesem Thema unterstützen möchte.

Wie kam es zu diesem Schwerpunkt?
❙ 1918 wurde das Frauenwahlrecht beschlossen, 1919 fand erstmals eine Wahl statt. Im letzten Jahr gab es bereits mehrere Veranstaltungen und Ausstellungen, und da hat sich herausgestellt, dass etliche Künstlerinnen aus jüdischen Familien kamen, weil das eben eine Gesellschaftsschicht war, in der die ersten Frauen auch schon studierten. Diese Künstlerinnen haben in der Nazizeit Verfolgungen erlitten, sind danach meist völlig vergessen worden, und erst in den vergangenen Jahren wurde wieder an sie erinnert. Das war ein Ansatz für das Thema, im Einklang mit dem Urprinzip des Jüdischen Echo, ein Dialog zwischen Juden und Nicht-Juden zu sein und auch das jüdische Leben in Österreich widerzuspiegeln. Zum Beispiel waren auch einige der ersten weiblichen Abgeordneten im österreichischen Parlament aus jüdischen Familien. Geschichtlich ziehen sich unsere Themen bis Nationalsozialismus, Verfolgung und weiblichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Es gibt also eine Reihe von Bezügen, die mit unserer Zeitschrift zu tun haben, und das Thema hat sich im Laufe der Arbeit wie eine Blüte entfaltet.
Fast alle Beiträge kommen aus weiblicher Hand, es gibt nur ganz wenige Quotenmänner. Können nur Frauen kompetent über dieses Themenfeld schreiben?
❙ Früher hat man im Journalismus gemeint, alle können über alles schreiben, aber bei diesem Thema hat es sich sinnvoll so ergeben. Die meisten Autorinnen haben schon früher für uns geschrieben, und eigentlich haben alle, die wir angefragt haben, gleich ja gesagt. Am Titelbild sind lauter Frauenköpfe drauf, aber der Grafiker ist ein Mann.

»Ein Urprinzip des Jüdischen Echo ist,
ein Dialog zwischen Juden und Nicht-Juden

zu sein.«
Erhard Stackl

Der Journalismus ist ja seit Längerem nicht mehr nur männerdominiert, es gibt auch da etliche Frauen in Führungspositionen. Sie sind selbst mit einer Journalistin verheiratet. Wie hat sich das aus Ihrer Sicht im Laufe Ihres Berufslebens verändert?
❙ Bei der Gründung des Profil 1970 war das noch sehr schwierig, aber bereits ein paar Jahre später kam schon eine Reihe von hervorragenden Kolleginnen wie Sigrid Löffler und Elizabeth T. Spira, und die haben auf Machoverhalten ganz heftig reagiert. Bald war das Zahlenverhältnis in der Profil-Redaktion fast halb halb, und die Kolleginnen haben sich ihre Gleichberechtigung in kurzer Zeit erkämpft.

Wieweit spielt die weibliche Sicht auf unsere Wirklichkeit, Welt und Gesellschaft im Judentum eine Rolle? Gibt es da auch berühmte Feministinnen?
❙ Wir haben im Heft Beispiele von religiösen Frauen, die auf verschiedene Weise damit umgehen, z. B. Rachel Freier. Sie ist Richterin aus einer ultraorthodoxen Umgebung und hat einen ambulanten Rettungsdienst für Frauen durchgesetzt. Eine Frau aus chassidischem Milieu in den USA hat sich geweigert, ihre Haare abzurasieren, ihr Mann hat dafür Verständnis gehabt, und sie haben eine andere religiöse Gruppe für ihre Wertvorstellungen gefunden, ohne einen Bruch zu machen. Wir haben ein sehr schönes Beispiel der Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak, die über die Genderpolitik schreibt, im Gegensatz zum klassischen Feminismus, der von Trautl Brandstaller vertreten wird, bei dem es um soziale Fragen und Teilhabe geht, ihr geht das Gendern eher auf die Nerven.

DAS JÜDISCHE ECHO. Ausgabe 2019/20 – 5780, Falter Verlag, € 19,90

Was mir ein bisschen fehlt, ist die besondere Stellung der Frau in der israelischen Gesellschaft, schon dadurch, dass Frauen auch Wehrdienst leisten.
❙ Das haben wir voriges Jahr im Israel-Schwerpunkt ausführlich behandelt und daher jetzt weggelassen. Dieses Mal haben wir eher die Verbindung zu Menschen, die in Wien aufgewachsen sind, gesucht.

Es kommen mehrere Frauengenerationen zu Wort, von Renate Welsh, die noch vor dem Krieg geboren wurde, bis zu einer jüdischen Hochschülerin, die knapp vor dem Ende des 20. Jahrhundert geboren wurde. Ist das insgesamt eher ein Heft für Leserinnen?
❙ Es war meine Bemühung, auch junge Stimmen zu Wort kommen zu lassen, aber eben auch mehrere Generationen, damit wir einen Bogen durch das Jahrhundert spannen.
Hoffentlich werden dieses Heft auch Männer lesen. Es gibt so viele Bereiche in der Wissenschaft und Kultur, in denen Frauen eine Rolle gespielt haben und manchmal Männer die Produkte ihrer Arbeit gekapert haben, und manchmal sind ihre Leistungen aus verschiedenen Gründen missachtet worden. Es war uns auch ein Anliegen, diese wieder hervorzuholen.

Da sich dieses Frauenjahr bald dem Ende zuneigt, könnte man sagen, das Thema ist vorerst abgehandelt. Hat das einen Fortschritt für die Agenda der Frauen gebracht?
❙ Ich glaube, dass diese Agenda eher auf ein neues Level erhoben wurde, und von da an geht es weiter. Wir haben z. B. eine Bundeskanzlerin, und kein Mensch kann mehr sagen, in Österreich geht so etwas nicht. Und auch in anderen Bereichen der Gesellschaft ist ein gewisses Level erreicht worden. Man hat zurückgeschaut: Wie weit sind wir gekommen, und wo gibt es noch Benachteiligungen und Probleme. Doch das Selbstbewusstsein ist gesteigert worden.

Es ist also eine Bewusstseinserweiterung im wahrsten Wortsinn?
❙ Ja, genau, und auch jene, die davon nicht begeistert sind, nehmen es zur Kenntnis. Es gibt natürlich auch Rückzugsgefechte. Es ist eben ein gesellschaftlicher Wandel, und ein solcher ist immer träge. Auch das haben wir in unserem Heft angedeutet.


Erhard Stackl
1948 in Mödling geboren, studierte Erhard Stackl in Wien und war als Journalist bei Trend, Profil und Standard in führenden Positionen tätig. Als Auslandskorrespondent bereiste er über 60 Länder und berichtete als „Friedensjournalist“ aus zahlreichen Krisengebieten. Seit 2013 leitet er als Chefredakteur Das Jüdische Echo.

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