„Hetzen kann er. Mehr nicht.“

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Der Schriftsteller Michael Köhlmeier reagierte auf die rassistischen Aussagen des FPÖ-Chefideologen Andreas Mölzer mit einer Anzeige. 23.000 Menschen schlossen sich ihm über Internet an. Mit uns sprach er über die Recken der FPÖ und über seine Identität als Europäer und als Hohenemser.

wina: Ihre Verhetzungsanzeige gegen Mölzer hat binnen einer Woche über 23.000 Unterstützungsstimmen erhalten, hat Sie das überrascht?

❚ Michael Köhlmeier: Ja, allerdings. Die Organisation SOS-Mitmensch und Alexander Pollak haben eine Plattform im Internet eingerichtet. Zuerst dachte ich, ja, gut, wenn 500 oder gar 1000 Menschen auch der Meinung sind, dass man gegen Rassismus die Stimme erheben muss, und dass sie diese Meinung auch kundtun, dann wäre das doch etwas. Es sind viel mehr geworden.

Warum haben Sie gerade jetzt diese Anzeige gegen Mölzer initiiert. Hat Mölzer mit seinen Aussagen für Ihr Empfinden eine rote Linie überschritten?

❚ Die hat er vorher schon öfter überschritten, denke ich. Ich habe viele Anrufe bekommen, und Frauen und Männer haben mich angesprochen. Es war einmal zu viel. Sie sagten: Es war einmal zu viel, jetzt war es einmal zu viel. Genau so ist es mir ergangen. Diese Verächtlichmacherei, dieses Herabsetzen Andersdenkender, Andersaussehender, dieser Zynismus, diese Herrenmenschentümelei! Wo bitte leben wir denn! Diese Diffamierungen! Diese feigen Anspielungen und dann empört tun: Was? 88? Was soll das bedeuten? Das ist doch nur eine Zahl. Darf man nicht einmal mehr eine Zahl irgendwohin schreiben? Sagt einer: Halt! Dann ist er ein Gutmensch. Was für eine Gesinnung, die „Gutmensch“ zu einem Schimpfwort macht.

Haben Sie damit gerechnet, dass Ihre Initiative einen FPÖ-Spitzenkandidaten Mölzer bei den EU-Wahlen verhindert, oder waren Sie über die Reaktion aus der FPÖ überrascht?

❚ Auch wenn die Recken in der FPÖ in ihrem Inneren anders denken, nach außen müssen sie sich ein wenig zügeln. Rassismus kommt eben doch nicht so gut an, wie sie es sich zurechtgelegt haben. Wollen Strache und seine Partei je eine Rolle spielen, das wissen sie jetzt, dürfen sie ihre Zunge nicht nach ihrem Herzen und ihrer Gesinnung plappern lassen.

Bei den EU-Wahlen wird mit einen Rechtsruck gerechnet, und dass auch die extreme Rechte erstarkt. Woran liegt das?

❚ Es gibt viele Menschen, junge Männer, die Angst haben, in der Gesellschaft abzusinken, Verlierer zu werden. Die lassen sich durch Statistiken nicht trösten. Sie fühlen sich gedemütigt. Sie sind jung, stark, haben Ideen, man braucht sie nicht, das ist grausam. Viele von ihnen spüren großen Hass in sich, wissen aber nicht, gegen wen sie ihn richten sollen. Gegen anonyme undurchschaubare Mächte?

Auch scheint es so, dass Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus in Europa wieder zunehmen. Sehen sie das auch so? Und was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

❚ Ein Sündenbock muss her! Und wenn man den schon selbst nicht hauen darf, umso besser, wenn sich einer anbietet, der es stellvertretend für einen zu tun.

Warum ist das Hetzen gegen „Ausländer“ immer wieder und immer noch so ein Stimmengarant bei Wahlen?

❚ Nur sehr wenige, die Strache wählen, trauen ihm zu, Bundeskanzler zu werden. Das kann er nicht. Ich glaube, nicht einmal er selbst traut sich das zu. Das wissen inzwischen wirklich alle: Die können es nicht, und die wollen es nicht. Wo sie an der Macht waren, wie in Kärnten, haben sie in kurzer Zeit ein ehemals blühendes Land vollkommen ruiniert, politisch, wirtschaftlich, moralisch. Und während der schwarz-blauen Zeit haben sie sich aufs Schamloseste bedient. Nein, Konstruktives wird von denen nicht erwartet. Die sollen die Rache führen. Das traut man dem Strache zu. Mehr nicht. Hetzen kann er. Mehr nicht. Aber mehr erwarten die meisten seiner Wähler auch nicht von ihm.

Was wären Ihrer Meinung nach probate Mittel, dem nachhaltig entgegenzutreten?

❚ Wenn es den Menschen wirtschaftlich besser geht, wenn sie keine Angst mehr haben, ins Bodenlose zu fallen, wenn sie sich geschätzt fühlen, wenn sie gebraucht werden – dann empfinden sie die Welt als die ihre, dann haben sie kein Interesse daran, dass einer Feuer legt. Die Politik, so denke ich, so hoffe ich, wird sich in Zukunft zwischen einem großen Ganzen, Europa, und einer kleinen, überschaubaren Einheit, der Region, dem Dorf, dem Bezirk, abspielen. Ich fühle mich als Europäer und als Hohenemser. Die Nation dazwischen ist ein Gaul, den zu lange zu viele Schurken geritten haben.

Sie selbst stammen aus Hohenems, einem Ort mit einer großen jüdischen Tradition und mittlerweile einem weithin bekannten Museum. Wann ist Ihnen die jüdische Tradition in Ihrem Ort bewusst geworden, und hat das für Sie persönlich auch ein prägendes Element?

❚ Das jüdische Museum gehört zum Besten, was Hohenems zu bieten hat. Mit Hanno Loewy haben wir einen Direktor, der in den zehn Jahren, seit er hier ist, unserer kleinen Stadt so viel gegeben hat an Impulsen, Ideen, Festen und Diskursen. Das Museum ist heute das Herz der Stadt. Das ist vor allem sein Verdienst. Meine Mutter stammte aus Deutschland, sie war als junge Frau Sekretärin eines jüdischen Notars gewesen, sie hat mit mir über den Nationalsozialismus gesprochen, den sie aus tiefster Überzeugung verabscheut hat, und wir haben uns früh kundig gemacht, wie es um die jüdische Gemeinde in Hohenems bestellt war. Das war in einer Zeit, in den Sechziger- und frühen Siebzigerjahren, als viele bei diesen Fragen weggeschaut haben. Sie wollte es wissen. Mein Vater war Historiker. Er wollte es auch wissen. Und dann wollten es immer mehr wissen. Es kam eine Generation junger Historiker, die den Finger auf die Wunde legten, viele von denen sind bei uns zu Hause ein- und ausgegangen.

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