Anatevka kommt diesen Sommer an den Neusiedlersee, das ukrainische Schtetl nach Mörbisch. Ein Welthit des klassischen Musicals mit fünfzigjähriger Bühnengeschichte basierend auf den jiddischen Geschichten von Scholem Alejchem. Eine sensible Inszenierung versprechen Intendantin und „Golde“ Dagmar Schellenberger und „Milchmann Tewje“ Gerhard Ernst. Von Anita Pollak
Die jüdische Großmutter kommt bald zur Sprache, wenn man Intendantin Dagmar Schellenberger zu Anatevka befragt. Und sie bekommt sichtbare Gänsehaut, wenn sie über „Tewjes“ traurigen Abschied von seiner Tochter spricht. Man merkt schnell, ihre zweite Produktion in Mörbisch ist der gebürtigen Ostdeutschen eine echte Herzensangelegenheit und sie will, dass „der Fiedler auf dem Dach“ so authentisch, sprich so jüdisch wie möglich auf der Seebühne aufgeigt.
Nach dem Bettelstudent im Vorjahr hat sie sich Anatevka ausgesucht, weil der Wechsel zum Musicalgenre auf neue Publikumsschichten hoffen lässt, und weil sie glaubt, dass das ostjüdische Schtetl gut in die ländliche Gegend des Burgenlandes passt, vor allem aber, weil sie dieses Musical seit Walter Felsensteins legendärer Inszenierung in der Komischen Oper Berlin in den frühen 70er-Jahren geradezu liebt. „Das hat mich geprägt, und ich frage mich oft: Wo hört Operette auf und wo fängt Musical an?“ Und der Vorverkauf, der sehr gut läuft, gibt ihrer Wahl recht.
Noch einen Herzenswunsch hat sie sich erfüllt und sich selbst als „Golde“, „Tewjes“ leidgeprüfte Ehefrau, besetzt. Die passe zu ihr, schließlich sei sie selbst Mutter und sogar schon zweifache Großmutter, sie wisse, „wie es mit Töchtern ist“, und könne sich daher gut in die Rolle einleben. Und plötzlich beginnt sie mitten im Café Landtmann, wo sie seit Stunden ihre Wiener Termine absolviert, das bekannte Duett Ist es Liebe? anzusingen. Ihre Liebe für „Golde“ erklärt sie außerdem mit der „irren Geschichte“ ihrer eigenen Mutter, die diese „mit ins Grab genommen hat“. Erst nach deren frühen Tod habe sie erfahren, dass diese als Säugling von ihrer Mutter, Dagmars jüdischer Großmutter, zum Schutz bei einer katholischen Pflegefamilie abgeben wurde und ihre leibliche Mutter erst als nahezu erwachsenes Mädchen kennen lernte. Getauft wurde sie allerdings nie, und auch sie selbst ist nicht getauft worden.