Kampf der Giganten

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Der amtierende aschkenasische Großrabbiner Yona Metzger (li.) im Gespräch mit dem sefardischen Oberrabbiner Schlomo Amar./ © flash 90

Der Kampf um die Führung des Oberrabbinats in Israel wird im Juli entschieden, eine Eskalation ist vorprogrammiert – aschkenasisches Gewohnheitsrecht versus sefardische Tradition. Von Itamar Treves-Tchelet

In diesem Wahlkampf sind die Kandidaten eher unbekannt. Von großen Kampagnen ist hier überhaupt keine Rede. Hier wird Politik fast nur hinter verschlossenen Türen gemacht. Und trotz der scheinbaren Diskretion nach außen handelt es sich dennoch um einen der emotionalsten Wahlkämpfe der jüdischen Welt in den letzten Jahren – der Kampf um die Führung des Oberrabbinats in Israel.

Ursache für die drohende Eskalation ist, dass die Chareidim (Ultraorthodoxen) nach einer 20-jährigen Hegemonie die Stelle des aschkenasischen Großrabbiners voraussichtlich an einen nationalreligiösen Rabbiner verlieren werden. Vor allem nach dem großen Machtverlust in den letzten Knessetwahlen könnte eine „falsche“ Person an der Spitze des Oberrabbinats für die Chareidim weitreichende Konsequenzen haben. Doch bis Juli ist noch Zeit. Alles kann sich noch ändern.

Hauptziel: jüdischer Staat

HaRabbanut HaRaschit (das israelische Oberrabbinat) ist eine vom Staat eingerichtete Behörde und somit die oberste religiöse Autorität in Israel. Ihr Mandat bezieht sich seit 1921 auf alltägliche Angelegenheiten der Gesellschaft: von Entscheidungen, die allgemeinen Kaschrut-Vorschriften für Lebensmittel betreffend, über die Zertifizierung von Dajanim (Richter am Rabbinatsgericht) bis hin zur Einsetzung der Gemeinderabbiner in jeder Stadt. Das Oberrabbinat besitzt das Monopol über die jüdischen Ehen im Land. Ausschließlich vom Rabbinatsgericht werden Scheidungen bestätigt und Übertritte anerkannt. Die Rabbanut kümmert sich des Weiteren um die Implementierung der Schabbat-Regeln in die israelische Gesellschaft und beschäftigt sich mit der Lösung von Fällen, in denen Staat und Religion kollidieren. Für das Ausland spielt die Rabbanut eher eine repräsentative Rolle. So reiste etwa der aschkenasische Großrabbiner Yona Metzger im Rahmen der Beschneidungsdebatte nach Deutschland, um Druck auf die Regierung auszuüben, die Brit Mila weiterhin zu gestatten.

Doch in der Realität sehen die Dinge anders aus. Seit vielen Jahren hat sich über die Rabbanut das Image einer korrupten und veralteten Institution verfestigt. Bürger, die Begegnungen mit der Bürokratie des Oberrabbinats hatten, erzählten danach oft von traumatischen Erfahrungen. Es ist so, als wäre die Rabbanut mitunter ein Grund für die zunehmende Religionsverdrossenheit in Israel geworden. Und genau das möchten die Kandidaten bekämpfen.

Jüdische Demokratie

An der Spitze des Oberrabbinates sitzen zwei Rabbiner, ein aschkenasischer und ein sefardischer. Die Großrabbiner werden demokratisch von einer speziellen Wahlkommission gewählt. Jede Amtszeit dauert zehn Jahre. Die 150 wahlberechtigten Mitglieder der Kommission sind alle Personen des öffentlichen Lebens. Dazu zählen Politiker, einflussreiche Gemeinderabbiner, Bürgermeister und Mitglieder des Publikumsrates.

Letztlich hat die israelische Regierung beide Gruppen, die Aschkenasim und die Sephardim, gebeten, sich noch vor der Abstimmung im Juli für zwei mögliche Großrabbiner zu entscheiden. Dennoch konnte bislang, zwei Monate vor den Wahlen, noch keine Gruppe endgültig einen Kandidaten aufstellen.

Aschkenasischer Salat

Das große Thema dieser Wahlen ist der Kampf um den aschkenasischen Großrabbiner. Je näher der Stichtag rückt, desto heftiger entwickelt sich der Machtkampf zwischen den nationalreligiösen und chareidischen Gruppierungen. Der Grund: Rabbiner David Stav.

Mit seiner offenen und relativ lockeren Einstellung in Bezug auf religiöse Vorschriften machte sich Rabbiner Stav viele Feinde unter den Chareidim. Diese drohten die Verbindung mit der Rabbanut zu beenden, falls er als Spitzenkandidat der Natio-nalreligiösen ernannt werden sollte.

Der chareidische Druck auf die nationalreligiöse Führungspersonen sowie auf die Habait-Hayehudi-Partei, andere, „akzeptablere“ Kandidaten aufzustellen, führte zur Kandidatur von Rabbiner Yaakov Ariel. Sollte dieser zum Spitzenkandidaten ernannt werden, wird Rabbiner Stav, Ariels ehemaliger Schüler, vermutlich seine Kandidatur zurückziehen. Rabbiner Ariel benötigt allerdings aufgrund seines fortgeschrittenen Alters (76) ein Sondergesetz, das ihm die Kandidatur gestattet.

Die aschkenasischen Kandidaten:

Rabbiner David Stav, 53

Nach dem Mord von Premierminister Yitzhak Rabin im Jahr 1995 gründete Rabbiner Stav die Organisation Tzohar mit der Idee, die Kluft zwischen Religiösen und Säkularen zu überbrücken. Als Herausforderer beim Wahlkampf holte er sich große Unterstützung von einflussreichen nationalreligiösen Rabbinern. Stav wird auch von säkularen Parteien wie Yair Lapids Yesch Atid und Avigdor Libermans Israel Beitenu deutlich unterstützt.

Rabbiner Yaakov Ariel, 76

Er gilt als einer der wichtigsten Poskim (Richter) der heutigen Generation. 2003 verlor er die Wahlen zum Oberrabbinat gegen Yona Metzger. Rabbiner Ariel wird, verglichen mit David Stav, als konservativ angesehen und genießt auch bei den Charedim und Nationalreligiösen einen Konsensstatus.

Einer der überraschendsten Namen, über die spekuliert wird, ist der Rabbiner der Stadt Tel Aviv, der ehemalige aschkenasische Großrabbiner Meir-Israel Lau (76). Er hat bis dato seine Nominierung nicht bestätigt, sondern wirbt heftig für einen anderen Kandidaten: seinen Sohn, Rabbiner David Lau.

Darüber hinaus ist die Kandidatur von Rabbiner Eliezer Igra (59), einem der wichtigsten Dajanim in Israel, bekannt geworden. Weitere Kandidaten sind der Rabbiner David Grossmann, dem hohe Chancen zugesprochen werden, falls er kandidiert, und der Rabbiner Yaakov Shapira.

Sefardische Tradition

Die Wahlen für den sefardischen Großrabbiner stellen sich etwas einfacher dar als bei den Aschkenasim. Laut Experten gäbe es heutzutage keinen Rabbiner, der die Dominanz des heutigen sefardischen Großrabbiners, Schlomo Amar, mindern könnte. Allerdings muss seine Kandidatur zuerst gesetzlich durchgebracht werden, um seine Wiederwahl zu ermöglichen. Die sephardische-chareidische Partei Schas übt schon seit einiger Zeit Druck auf Habait HaYehudi aus, um einen Deal zu schließen: Während Schas „Ariels Altersgesetz“ in der Knesset unterstützt, wird Habait HaYehudi bei der Durchsetzung von Schlomo Amars zweiter Kandidatur behilflich sein.

Die sefardischen Kandidaten:

Rabbiner Schlomo Mosche Amar, 65

Während seiner Amtszeit als sephardischer Großrabbiner traf er in vielen Bereichen weitgehende Entscheidungen. Rabbiner Amar empfahl, die Beta Israel aus Äthiopien nach Israel zurückzuholen und sie, nach langen Streitigkeiten über ihren religiösen Status, zu konvertieren. Durch seine Initiative wurde zum ersten Mal gentechnisch-veränderten Produkten ein Hechscher (Koscher-Stempel) gegeben.

Das Oberrabbinat besitzt das Monopol über die jüdischen Ehen und deren Scheidungen im Land.

Falls Rabbiner Amars Kandidatur nicht gestattet werden sollte, wurden bereits einige Namen vorgeschlagen, wobei hier kein Wahlkampf im eigentlichen Sinne zu erwarten ist. Zwei der Kandidaten, über die spekuliert wird, sind Rabbiner Avraham Josef, der Sohn von Schas’ spirituellem Oberhaupt Rabbiner Ovadia Josef, und Yehuda Deri, der Bruder des Knesset-Abgeordneten der Schas-Partei, Rabbiner Arie Deri. Beide Rabbiner sind charedisch.

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