MUT IN DÜSTEREN ZEITEN

Der September 1937 bedeutete für Franziska Löw und viele Juden in Wien den Beginn einer dunklen grausamen Zeit. Durch ihren außergewöhnlichen Einsatz und ihren Mut in dieser Zeit ermöglichte Franzi Löw vielen Menschen, insbesondere Kindern, das Überleben.

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Franziska Löw gehörte zu den wenigen Jüdinnen in Wien, die weiterarbeiten und weiter helfen konnten.

Franziska Löw und ihre Zwillingsschwester Hilde wurden 1916 in eine wohlhabende jüdische Familie geboren. Der Vater, Julius Löw, ein promovierter Jurist, war Direktor der Nordbahn. Die Familie wohnte in der Paulinengasse in Wien-Währing. Franzi Löw besuchte die Volksschule, danach das Realgymnasium und maturierte 1934. Ihr Leben änderte sich jedoch dramatisch, als ihr Vater 1937 schwer erkrankte. Durch den Verlust des Haupteinkommens geriet die Familie in finanzielle Schwierigkeiten, die sie zuvor nicht gekannt hatte. Dies geschah zu einer Zeit, als die politischen Spannungen in Europa immer größer wurden und die jüdische Bevölkerung unter zunehmender Diskriminierung und Verfolgung litt.

Als kürzlich diplomierte Fürsorgerin fand sie im Alter von 21 Jahren eine Anstellung bei der Israelitischen Kultusgemeinde, nachdem ihre Bewerbung bei der Gemeinde Wien als Jüdin nicht angenommen worden war. Franzi Löw arbeitete zunächst in der jüdischen Kindertagesheimstätte in der Leopoldstadt und wechselte dann im November 1938 in die Fürsorgezentrale in der Seitenstettengasse, wo sich auch die Synagoge und die Büros der Kultusgemeinde Wien befanden. Dort war sie für die Betreuung jüdischer Kinder- und Jugendheime in ganz Wien verantwortlich.

Doch die Ereignisse des Novemberpogroms von 1938 veränderten alles. Das NSRegime beschlagnahmte nach und nach die jüdischen Heime, was die Versorgung wegen der Überbelegung in den verbliebenen Heimen sehr schwierig machte. Jüdische Männer wurden in den Wintermonaten 1938 und 1939 in Gefängnisse und Konzentrationslager deportiert, und die Ehefrauen standen mittellos mit ihren Kindern vor dem Nichts. Franzi Löw brachte den Männern Lebensmittel und Kleidung in die Gefängnisse und verschickte Pakete ins Konzentrationslager Dachau. „Da hat es Frauen gegeben, die plötzlich ohne den Mann dagestanden sind. Da hat es Kinder gegeben, die plötzlich keinen Vater gehabt haben, dann keine Mutter hatten. Sie mussten alle untergebracht werden“, sagte Löw 1991 dem Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici, der sie für seine weithin beachtete Doktorarbeit über die IKG interviewte. Später widmete Doron Rabinovici das im Jahr 2000 erschienene Buch Instanzen der Ohnmacht Franzi Danneberg-Löw.

Rettender Ausweis. Franziska Löw erhielt eine Reihe von Sondergenehmigungen, die es ihr ermöglichten, zahlreichen Jüdinnen und Juden zu helfen.

1939 übernahm die Israelitische Kultusgemeinde zusätzlich die Vormundschaft für etwa 200 uneheliche jüdische Kinder, die davor von der Gemeinde Wien in Heimen betreut wurden. Diese Kinder waren besonders gefährdet, da ihre Väter oft nicht aktenkundig waren. Der katholische Priester Ludger Born (Erzdiözese Wien) besorgte auf Bitte von Franzi Löw für die Kinder Taufscheine, indem er verstorbene „arische“ Väter in die Dokumente schrieb. Dadurch wurden die Kinder zu sogenannten „Halbjuden“, was sie vor der Ermordung in den Konzentrationslagern bewahrte. Insgesamt lebten damals etwa 500 Kinder in Heimen der IKG, aber nur 30 von ihnen entkamen der Verfolgung. Unter ihnen waren der österreichischamerikanische Bodybuilder Harry Gelbfarb und der österreichische Autor Robert Schindel. Viele Jahre später, im Jahr 2010, setzte Robert Schindel mit der Figur der Esther in seinem Theaterstück Dunkelstein Franzi Danneberg-Löw ein literarisches Denkmal.

Um diverse Genehmigungen für die Kinder zu erhalten, musste Franzi Löw in ihrer Funktion als Fürsorgerin der IKG zum Wiener Jugendgericht gehen, wo sie ihren späteren Ehemann, Dr. Wilhelm Danneberg, kennenlernte. Später beschrieb sie ihn in Interviews als höflichen, respektvollen und außerordentlich hilfsbereiten Richter. Er unterstützte in seiner Funktion Franzi Löw bis kurz nach Dezember 1938. Dann wurde er wegen seiner „Judenfreundlichkeit“ vom Richterdienst suspendiert.

Vorausschauend begann Franzi Löw kurz nach dem Arbeitsverbot für Juden 1938 mit dem Aufbau eines Netzwerks „arischer“ Unterstützer. Neben der Erzdiözese Wien wurde Franzi Löw auch von einer evangelischen Hilfsorganisation und nichtjüdischen Menschen aus der österreichischen Bevölkerung und der Schweiz unterstützt. Von ihnen erhielt sie Medikamente, Kleidung, Lebensmittelmarken und Geld. Insbesondere Lebensmittelmarken waren für jüdische Menschen überlebenswichtig, und Franzi Löw konnte sie problemlos in ihrer Handtasche bei sich tragen, ohne aufzufallen.

Unvorstellbar, wie diese außergewöhnliche Frau nicht nur verwaiste Kinder, darunter auch 20 behinderte Kinder und ab 1944 auch überstellte ungarische Kinder aus einem aufgelösten christlichen Heim, unterstützen konnte. Untergebracht wurden die Kinder in den bestehenden jüdischen Wiener Heimen in der Bauernfeldgasse und Böcklinstraße. Behinderte Kinder und Jugendliche kamen in eine Anstalt im 19. Bezirk in der Ruthgasse oder ins Rothschildspital „Am Steinhof“, das unter der Leitung von Viktor Frankl stand. Eltern, die nach Amerika, Palästina oder in ein anderes sicheres Land emigrierten, konnten ihre Kinder nicht mitnehmen, da die Länder die Einreise von behinderten Kindern verweigerten. Für Säuglinge gab es ein Heim in der heutigen Tempelgasse. Mit viel Trauer musste Franzi Löw zeitweise hinnehmen, dass ihre Hilfe zu spät kam und Kinder in das Konzentrationslager in Hartheim, Oberösterreich, gebracht wurden, wo sie in den Gaskammern ermordet wurden. Vor allem 1942, als die Nationalsozialisten die Heime in der Bauernfeldgasse und Böcklinstraße schlossen und alle Kinder und das Personal deportierten.

Leben in Angst. Nach dem „Anschluss“ kümmerte sich die Jugendfürsorge der IKG auch um Kindertransporte zu Pflegeeltern in England, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und der Schweiz. Franzi Löw musste für jedes Kind einen kleinen Bericht für die zukünftigen Pflegeeltern verfassen. In Interviews mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) beschreibt sie, wie sie die Kinder auf ihre zukünftigen Pflegeeltern vorbereitet hat und ihnen Fragen gestellt hat, die sie in das Beschreibungsformular aufnahm. „Zum Beispiel habe ich beim Testen ein vierjähriges Kind gefragt: ‚Wozu hast du die Zähne?‘, da hat es gesagt: ‚Zum Zähneputzen.‘ – ‚Und wozu hast du die Ohren?‘ – ‚Zum Hören.‘ – ‚Und wozu hast du die Mutti?‘ Da hat es dann große Augen gemacht und gesagt: ‚Die Mutti habe ich zum Liebhaben.‘“ Die Möglichkeit, Jugendliche mit einer „Alija“ nach Israel zu bringen, war nur für wenige möglich. Franzi Löw unterstützte auch etwa 30 sogenannte U-Boote. Das waren Juden, die von Ariern versteckt wurden. Einige dieser U-Boote verließen ihre Verstecke nie, es gab aber auch Versteckte, die sich frei bewegten. Eines dieser U-Boote war Jakob Passweg, der jeden Tag mutig berichtete, was ausländische Sender verbreiteten.

   „Gewusst haben wir von der SS und von der SA,
dass man daran denkt, Wien ,judenrein‘ zu machen,
und dass wir alle von Wien deportiert werden sollten.“   

   Franzi Löw    

Der bemerkenswerte Einsatz von Franzi Löw und ihr Mut inmitten dieser turbulenten Zeit zeigten sich auch, als sie sich um 600 ungarische Juden und Jüdinnen kümmerte, die 1944 nach Wien deportiert wurden. Im selben Jahr erteilte SS-Obersturmbannführer Alois Brunner nach Vorsprache von Franzi Löw eine Besuchsgenehmigung, um Kleidung, Medikamente und andere dringend benötigte Dinge in die Lager zu bringen, in denen die ungarischen Juden untergebracht waren.

„Ich habe gewusst, wie es in einem KZ zugeht. Ich bin einmal in Mauthausen gewesen. Ich habe leider nur ein einziges Mal die Bewilligung von der Gestapo bekommen, dieses KZ zu besuchen. Warum, kann ich heute nicht mehr sagen. In Mauthausen habe ich gesehen, was ich mir in den kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte. Ich habe einen derartigen Schock bekommen, als ich dieses KZ verlassen hatte, dass ich niemandem gegenüber – auch heute nicht – darüber spreche, was ich dort erlebt habe“, beschrieb Franzi Löw ihre grausamen Beobachtungen in Interviews mit dem DÖW.

Die Angst vor der Deportation war immer und täglich präsent. Franzi Löw riet den Menschen, für den Bahntransport warme Kleidung, feste Schuhe und Schokolade mitzunehmen. Auch sie rechnete täglich mit ihrer Festnahme und hatte in ihrer Wohnung das Notwendigste vorbereitet. Als 1942 fast alle Mitarbeiter der Fürsorgeabteilung der IKG deportiert wurden, übernahm Franzi Löw sämtliche Agenden der Abteilung. Diese Tätigkeit führte sie auch nach der offiziellen Auflösung der Israelitischen Kultusgemeinde Wien fort. Anfang November 1942 wurde von den NS-Behörden zwangsweise der Ältestenrat der Juden in Wien als Nachfolge der IKG eingesetzt, der die Vertretung für die noch in Wien lebenden Jüdinnen und Juden übernahm.

„Gewusst haben wir von der SS und von der SA, dass man daran denkt, Wien ,judenrein‘ zu machen, und dass wir alle von Wien deportiert werden sollten. Ich habe nur mehr bis Juni 1945 die Bewilligung gehabt, als Fürsorgerin zu arbeiten. Es war unser Glück, dass die Russen Wien befreit haben. Es waren ca. 200 Juden, so wie ich Angestellte der Kultusgemeinde, die noch im Jahre 1945 hier waren. Wohin man uns ‚evakuiert‘ hätte, wussten wir nicht. Aber man hat uns jeden Tag zu Bewusstsein gebracht, dass wir in Wien nicht überleben werden“, erzählt Franzi dem DÖW.

   „Aber man hat uns jeden Tag zu Bewusstsein gebracht,   
   dass wir in Wien nicht überleben werden.“   
   Franzi Löw

 

Franziska Löw riskierte sieben Jahre lang jeden Tag ihr Leben, um anderen zu helfen. Sie lebte unter ständiger Bedrohung durch die Nazis, dennoch stand sie gegen einen unmenschlichen Gegner auf und erreichte Übermenschliches. In Interviews führte sie ihr Überleben auf ihre unermüdliche Arbeit für jüdische Menschen in Wien zurück. „Ich bin hinter meinen Schützlingen gestanden und habe versucht, der SA und SS zu zeigen, dass ich trotz der vielen Plagen, die man uns auferlegt hat, immer versucht habe, jedem Bedürftigen eine Hilfe zu sein. Ich bemühte mich, den Nazis zu zeigen, dass ich keine Angst vor ihnen hatte, und ich glaube, das hat ihnen in irgendeiner Form imponiert. Daher ließen sie mich arbeiten, auch wenn ich einsehen musste, dass meine Arbeit immer nur einen kleinen Erfolg zeitigte“ (DÖW).

Franzi Löw überlebte gemeinsam mit ihrer Mutter Hedwig die NS-Zeit in Wien. Nach der Befreiung Wiens kümmerte sie sich im Auftrag der Kultusgemeinde um jene jüdischen Menschen, die in Wien überlebt hatten oder aus den Konzentrationslagern zurückgekehrt waren. Die genaue Zahl der überlebenden Juden in Wien ist nicht bekannt, vermutlich gab es etwa 5.000 Überlebende.

Ab Juni 1945 begann Franzi Löw bei der Stadt Wien im Referat der Körperbehindertenfürsorge des Gesundheitsamts zu arbeiten. 1948 heiratete sie Wilhelm Danneberg, den Richter, der in der NS-Zeit ihre Aktivitäten unterstützt hatte und wegen „Judenfreundlichkeit“ vom Dienst suspendiert worden war. 1979 ging sie als Amtsrätin in Pension und verstarb am 28. November 1997 in Wien. „Ich habe kein Hassgefühl gehabt, und ich kenne auch heute kein Hassgefühl“, beschrieb sie ihre Gefühle. Vergessen, fügte sie hinzu, könne sie die Vergangenheit aber nie.

Verspätete Würdigung. Ihre Verdienste als Widerstandskämpferin wurden über viele Jahrzehnte kaum gewürdigt, auch nachdem sie 1966 das Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich erhielt. Unverständlicherweise erfuhr sie nach dem Krieg Anfeindungen, weil man ihr Kollaboration vorwarf, da sie in Österreich geblieben war und einen Nichtjuden geheiratet hatte. Ein Unterschied zwischen Kollaboration und Kooperation wurde hier nicht gemacht. Sie wurde sogar von einem Überlebenden angezeigt, weil sein Kind nicht auf einen Kindertransport kam und auch seine Frau nicht überlebte. Das Verfahren wurde aber durch die Staatsanwaltschaft eingestellt und es kam zu keinem Prozess.

Erst Ende der 1980er-Jahre erzählte Franzi Danneberg-Löw in Interviews ihre Geschichte. Unter anderem führte das DÖW 1991–1992 ausführliche Gespräche mit ihr, und Doron Rabinovici sprach mit ihr für seine Dissertation und sein später erschienenes Buch Instanzen der Ohnmacht. Für ihn war sie eine wunderbare, klarsichtige, mutige und liebevolle Frau: „Wenn ich zu ihr kam, wurde ich immer mit Butterbroten und Strudeln überhäuft. Es war durchaus ein zwiespältiges Vergnügen, denn die Brote waren so dick bestrichen, als wären wir noch mitten im Krieg und ich einer ihrer Schützlinge, aber ich aß brav, weil sie mich und ich sie so sehr mochte.“

Franziska Danneberg-Löw ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Kraft des menschlichen Geistes in Zeiten von Katastrophen. Ihre Geschichte erinnert daran, dass Menschlichkeit und Mut selbst in den dunkelsten Stunden einen Unterschied machen können. Ihr Handeln inmitten von Ungerechtigkeit und Grausamkeit konnte Hoffnung und Solidarität verbreiten. Franzi Danneberg-Löw war eine mutige, zu wenig beachtete Frau und eine Fürsorgerin aus Überzeugung.

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