Stolz und Vorurteil

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Eigene Wahrnehmungen und Erfahrungen sind stärker als Vorurteile. Wie das Jugenddialogprojekt Likrat die Sicht jüdischer und nicht-jüdischer Jugendlicher verändert. Von Susanne Benizri

Das Jugenddialogprojekt  Likrat stärkt das Selbstbewusstsein jüdischer Jugendlicher und durchbricht stereotype Wahrnehmungen. Mit seinem einmaligen Ansatz erreicht es tausende Jugendliche und ermöglicht einen Dialog auf Augenhöhe.

Likrat macht mich an erster Stelle stolz … Es hat mir persönlich sehr viel gegeben, erstmal, um mich selbst zu finden, meine Identität zu stärken … Und dass man auch wirklich die Leute erreicht, dass man wirklich was bewirkt“, erklärt Michael auf die Frage, was Likrat für ihn bedeutet. Likrat, zu Deutsch „in Begegnung“, ist ein Jugenddialogprojekt, das aus der Schweiz stammt und vor mehr als fünf Jahren nach Deutschland kam. Konzept des Projektes ist, dass jüdische Jugendliche in Zweierteams zu Begegnungen mit nichtjüdischen Jugendlichen in Schulen gehen und ihr Judentum vorstellen. Keine Frontalunterrichtssituation, bei der der nichtjüdische Lehrer über das Judentum spricht; kein Zeitzeugengespräch, das jüdisches Leben und ihr brutales Ende aus der Vergangenheit schildert. Sondern Schilderungen „aus erster Hand“ zu gegenwärtigem gelebtem Judentum, die gleichaltrige jüdische Jugendliche in lockerer Runde geben. Wie dringend dies Not tut, belegt die Aussage einer Schülerin nach einer Lik­rat-Begegnung: „Es wurde gezeigt, dass es nicht so extreme Unterschiede gibt im außerreligiösen Leben, wie uns manche Menschen einzureden versuchen.“ (Nicole, 15 Jahre)

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Fit für den Dialog

Sich vor einer fremden Schulklasse zu präsentieren und über Persönliches wie religiöse Praxis und Einstellung zu Israel zu sprechen, will gelernt sein. Jüdische Jugendliche, die Dialogpartner, im Fachjargon Likratinos/Likratinas, werden wollen, müssen mindestens 15 Jahre alt sein und eine spezielle Ausbildung durchlaufen. Diese beinhaltet Workshops zu Rhetorik und Dialogführung, religiöse Strömungen im Judentum sowie Vortragseinheiten zu Antisemitismus und Antizionismus, zur Beziehung Judentum–Christentum und zum Verhältnis Judentum–Islam.

Begleitet werden die Lerneinheiten von Gesprächskreisen, in denen die jüdischen Jugendlichen Gelegenheit haben, sich über ihre Erfahrungen als Juden in ihrer nichtjüdischen Umwelt auszutauschen. Rasch hat sich gezeigt, dass diese Gesprächsrunden eine essenzielle Funktion erfüllen: Die Jugendlichen stellen fest, dass sie mit ihren Wahrnehmungen und Erfahrungen nicht alleine sind. Sie geben einander Tipps und Ratschläge, was ihr Selbstbewusstsein stärkt. In einem nächsten Schritt begreifen sie, dass das persönlich, manchmal schmerzhaft Erlebte und die individuellen Eindrücke zu etwas gut sind. Diese stellen sozusagen das Kapital von Likrat dar. Lea, Elina und Jonathan, die in unterschiedlichen Städten wohnen, schilderten eine Erfahrung mit ähnlichen Worten: wie man im Geschichtsunterricht beim Thema Schoa plötzlich „wie ein Alien“ zum Außenseiter in der Klasse wird und plötzlich als „Opfer“ angesehen wird, obwohl man ja schon „dritte Generation ist“.

Wer am Ende der Ausbildung tatsächlich fit für den Dialog ist, entscheidet das Projektteam gemeinsam mit einer Psychologin, die die Ausbildung begleitet.

Likrat in der Praxis

Finanzierung, Reichweite, Qualität

Das Projekt wurde 2006 in Deutschland installiert, angebunden an die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, gefördert vom Zentralrat der Juden in Deutschland und der Hopp-Stiftung. Das Konzept von Likrat überzeugte auch auf Bundesebene, und so kam das in Deutschland einmalige Jugenddialogprojekt in den Genuss einer dreijährigen Förderung durch das Bundesprogramm „Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“.

Am Beginn gestaltete es sich mühsam, die Lehrer an Gymnasien, Haupt- und Realschulen davon zu überzeugen, dass eine Likrat-Begegnung ein Mehrwert für ihren Religions-, Ethik- oder Geschichtsunterricht ist. Aber bereits nach einem Jahr entwickelte sich Likrat zu einem „Selbstläufer“. Viele Lehrer haben Likrat-Begegnungen als feste Größe in ihren Unterricht aufgenommen. In 40 bis 50 Begegnungen jährlich werden mehr als 1.000 Schüler erreicht. Eine interne Evaluation sichert die Qualität und gibt Auskunft über den Erfolg des Projekts.

likrat.de

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