Vom Höselberg nach Hollywood

Musikalischer Schwerpunkt der Festwochen Gmunden zum 125. Geburtstag von Erich Wolfgang Korngold, dem Wunderkind aus Brünn und Wien.

2652
Sommerfrische. Erich Wolfgang Korngold mit seiner Ehefrau beim Flanieren in Alt-Aussee, 1924. © ullstein bild - Ludwig Boedecker / Ullstein Bild / picturedesk.com

„Wir glaubten immer noch – mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand – , daß wir eine Heimat hatten, in die wir zurückkehren konnten, die wir nicht verlassen wollten“, erinnert sich Luzi Korngold. „Es war Selbstbetrug, eine holde Täuschung: das naiv-zuversichtliche ‚Uns-kann-nichts-Geschehen‘ glücklicher Menschen. So träumten wir im Winter bei strahlender kalifornischer Sonne von unseren regenfeuchten Wiesen daheim.“*
Dieses melancholisch, sehnsuchtsvolle Zitat gleicht so vielen, die wir von jüdischen Menschen kennen, die 1938 aus Österreich vertrieben wurden. Aber in diesem Fall handelt es sich um das Künstlerehepaar Luzi und Erich Wolfgang Korngold, das glücklicherweise bereits ab 1934 wenigstens ein Standbein in den USA, konkret in Hollywood, hatte. Das realistische bis verklärte Bild der Sängerin, Schauspielerin, Pianistin und Schriftstellerin Luzi Korngold beschreibt als Heimat das Gut Höselberg in Gschwandt bei Gmunden, wo die 1900 in Wien geborene Luise von Sonnenthal, Enkelin des berühmten Schauspielers und Theaterdirektors Adolf Ritter von Sonnenthal, unvergessliche fünf Sommer verbrachte.

1924 heiratet Luise Sonnenthal jenen Mann, der sich ab 1933 den Ankauf dieses Hauses leisten kann: Erich Wolfgang Korngold, geboren am 29. Mai 1897 in Brünn, aufgewachsen in Wien, konnte mit 36 Jahren bereits auf eine höchst erfolgreiche Karriere als angesehener und erfolgreicher Komponist und Dirigent zurückschauen. Heuer jährt sich der 125. Geburtstag von Erich Wolfgang, Sohn des jüdischen Musikkritikers Julius Korngold, der für die Neue Freie Presse schrieb.

„Am 4. Februar 1938 erreichen die Korngolds Amerika – nicht wissend, aber ahnend, dass dies die Rettung ist.“
Marie-Theres Arnbom in Die Villen vom Traunsee

 

Dieser Geburtstag wird in der Nähe der ehemaligen Sommerresidenz des Ehepaars Luzi und Erich Wolfgang Korngold gebührend und würdig gefeiert: „Den Salzkammergut Festwochen Gmunden ist es ein großes Anliegen, Komponisten mit Bezug zur Region besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Das geschieht am besten, in dem wir ihre Werke aufführen“, lacht Christian Hieke, seit 2019 künstlerischer Leiter der Festwochen Gmunden. Der Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie mit Praxis in Wien wuchs in einer stark kultur- und musikaffinen Familie auf: Seine Mutter und Schwester führen die Kunstgalerie Hieke in der Grünangergasse. „Die Eltern haben uns seit Jugendtagen ins Theater und in die Oper mitgenommen. Auch neben meinem Studium galt mein größtes persönliches Interesse der Kultur, aber vor allem der Oper als unübertroffenes Gesamtkunstwerk.“ Die Verbundenheit zum Salzkammergut entstand sowohl in den sommerlichen Ferien wie auch durch die Ehe mit einer Gmundnerin, deren Vater sogar zu den Gründungsmitgliedern der Festwochen vor 35 Jahren zählt.

„Viele Details über die illustre Vergangenheit des Traunsees habe ich erst von der Historikerin Marie-Theres Arnbom erfahren. Auch über Erich Wolfgang Korngold hat sie Neues entdeckt und in ihrem 2019 erschienen Buch Die Villen vom Traunsee – Wenn Häuser Geschichten erzählen** festgehalten und so dem Vergessen entrissen“, freut sich Hieke. Der Vater von vier Kindern leistet sich – nach eigenen Angaben – einen rund 20-Stunden-Job zusätzlich zur Arztpraxis für die künstlerische Gestaltung der Festwochen. „Es ist gleichzeitig faszinierend und berührend zu wissen, dass Korngold 1937 seine letzte Oper Die Kathrin in seiner Sommerfrische in Gschwandt, im Schloss Höselberg komponiert hat.“ Die Oper sollte im März 1938 an der Wiener Staatsoper uraufgeführt werden. Doch nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland war das nicht mehr möglich. „Erst am 7. Oktober 1939 ist das Werk erstmals zu hören, und zwar an der königlichen Oper in Stockholm unter der Leitung von Fritz Busch“, schreibt Arnbom. Zur österreichischen Erstaufführung in Wien gelangte Korngolds Die Kathrin erst am 19.Oktober 1950.

Ankunft in New York. 1934 reist Erich mit seiner Frau Luise in die USA, um die Musik für Max Reinhardts Sommernachtstraum-Film zu komponieren. © AP / picturedesk.com

Korngold galt in Wien nicht zu Unrecht als Wunderkind: Mit elf Jahren macht er bereits auf sich aufmerksam, seine Komposition des pantomimischen Balletts Der Schneemann wird 1910 an der Wiener Hofoper uraufgeführt. Zu seinen Lehrern zählten neben anderen Alexander von Zemlinsky und Hermann Grädener. Mit dreizehn Jahren schreibt er Klaviersonaten; es folgen eine Schauspiel-Ouvertüre und eine Sinfonietta. Die Aufführungen seiner Jugendwerke erfolgen häufig durch prominente Musiker des frühen 20. Jahrhunderts, wie Bruno Walter, Artur Schnabel, Arthur Nikisch, Wilhelm Furtwängler, Felix Weingartner oder Richard Strauss. Korngolds Opernkompositionen Der Ring des Polykrates und Violanta (beide 1916), Die tote Stadt (1920) und Das Wunder der Heliane (1927) hatten zu seiner Zeit großen Erfolg und ließen ihn – neben Richard Strauss – zum meistgespielten Opernkomponisten Österreichs und Deutschlands werden. Sein wohl bedeutendster Erfolg war die Oper Die tote Stadt. Obwohl er sich als ein Vertreter der Moderne empfand, verließ er nie die Tonalität. Seine G-Dur-Violinsonate op. 6 wurde dennoch im März 1919 in Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen gespielt.

Julius Korngold war äußerst dominant, und sein Sohn litt nicht wenig darunter. Trotzdem übernahm Erich in den 1920er-Jahren zusehends die Ansichten seines Vaters, der ein ausgesprochener Gegner der musikalischen Moderne war. 1931 komponierte er die Vier kleinen Karikaturen für Kinder op. 19, in denen er die Musikstile Schönbergs, Igor Strawinskys, Béla Bartóks und Paul Hindemiths karikierte.

Max Reinhardt – der Retter aus Hollywood. 1934 folgt Korngold der Einladung Max Reinhardts nach Hollywood, um für dessen Film A Midsummer Night’s Dream (Ein Sommernachtstraum) die Filmmusik anhand Mendelssohns Schauspielmusik zu arrangieren. Korngold und Reinhardt waren bereits in Europa durch die Bearbeitung der Operetten Die Fledermaus und La Belle Hélène miteinander befreundet. Mit der Arbeit am Sommernachtstraum setzte Korngold neue Maßstäbe in der noch jungen Geschichte der Filmmusik: Er vergrößert das Orchester von Tanzbandstärke auf Symphonieorchestergröße. Er griff teilweise in die Regie ein, um die Sprache der Schauspieler an den Rhythmus der Musik anzupassen. Und er passte Mendelssohns Musik an Reinhardts Dramaturgie an und fügte sogar eigene Dialoge hinzu. Während der Film Reinhardts von der Kritik zerrissen wird, erntet Korngolds Musik viel Lob.

In den nächsten Jahren verbringt der ideenreiche Musiker die Winter in Kalifornien als Filmkomponist der Warner Brothers. Korngold wird zweimal mit dem Oscar ausgezeichnet: Einen bekommt er für den 1936 entstandenen Film Anthony Adverse, den zweiten 1938 für The Adventures of Robin Hood. Diese und seine anderen Werke sollten für die gesamte Branche prägend werden, sie beeinflussten noch Jahrzehnte später die Musik von Hans Zimmer und John Williams zu Star Wars. In der Zeit von 1935 bis 1946 entsteht die Musik für 19 Filme.

„Im Jänner 1938 erreicht Korngold in Wien ein Telegramm mit der dringlichen Frage, ob er innerhalb von zehn Tagen in Hollywood sein könne, um die Musik zu Robin Hood zu komponieren“, schreibt Marie-Theres Arnbom. „Er sagt zu und reist mit Frau und Sohn nach Le Havre, von wo ihn das Schiff ,Normandie‘ nach New York bringt. An Bord befindet sich auch der große Sängerstar Jan Kiepura, der eigentlich in der Uraufführung von Die Kathrin singen sollte. Am 4. Februar 1938 erreichen die Korngolds Amerika – nicht wissend, aber ahnend, dass dies die Rettung ist.“

Ab 1946 beendet Korngold die Arbeit beim Film und wendet sich wieder der klassischen Orchestermusik zu. Es entstehen das Cellokonzert op. 37 und das Violinkonzert D-Dur. Zwischen 1949 und 1951 hält er sich in Österreich auf, wo er vom Publikum, aber nicht von der Musikkritik positiv empfangen wird. In dieser Zeit werden die Symphonische Serenade BDur op. 39 von den Wiener Philharmonikern unter Wilhelm Furtwängler sowie die Stumme Serenade op. 36 in Wien uraufgeführt. Während einer zweiten Europareise 1954/1955 kommt es zur Premiere seiner einzigen Symphonie in Fis-Dur op. 40. Der Versuch, nach 1946 zur klassischen Musik zurückzufinden, beschert keine großen Erfolge. Die Kompositionen Korngolds geraten zunehmend in Vergessenheit. Erst die Neuauflage seiner Werke in den USA ab 1972 führt zu einer internationalen Renaissance.

Klaus Maria Brandauer zu Korngolds Leben. „Obwohl Korngolds wunderbare Oper Die tote Stadt in meiner Jugend selten gespielt wurde, hat sie mich gleich fasziniert, sodass ich mich schon damals auf die Musik dieser Epoche, also auf Alexander Zemlinsky und Viktor Ullmann gestürzt habe“, erzählt Christian Hieke, der mit einem kleinen Team die Gmundner Festwochen heuer von Anfang Juli bis 21. August 2022 veranstaltet. Bereits am 8. Juli kann man Orchestermusik des Jubilars Korngold hören: Das Bruckner Orchester Linz mit Markus Poschner als Dirigent und Startenor Pjotr Beczala werden ein Open air-Konzert geben. „Im Toscanapark Gmunden haben wir eine Tribüne mit 1.600 Sitzplätzen errichtet, ganz ähnlich der in Schönbrunn“, freut sich Hieke. „Da wird an vier Abenden musiziert.“

Dem Geburtstagskind Korngold wird nicht nur auf musikalischem Wege gratuliert: „Ich freue mich sehr, dass Korngold jetzt auf so vielfältige Art wieder das Interesse weckt“, sagt Marie-Theres Arnbom, die auch mit den Nachkommen des jüdischen Musikers in Kontakt ist. „Die freuen sich sehr darüber. Es entsteht gerade auch ein Korngoldbuch, ich werde dazu einen Vortrag in Gmunden halten. Außerdem darf ich die Dramaturgie für einen Leseabend mit Klaus Maria Brandauer machen“, so die Historikerin und Autorin. Unter dem Titel Alles nur ein böser Traum? Erich Korngold – Von Brünn über Wien und Gmunden nach Hollywood gibt der Schauspieler am 13. August 2022 anhand bekannter und unbekannter Quellen Einblicke in diese faszinierende Künstlerpersönlichkeit.

Korngolds Werke beeinflussten noch Jahrzehnte
später die Musik von Hans Zimmer
und John Williams zu Star Wars.

 

Das junge siebenköpfige Festwochenteam hat seit 2020 mit großem Engagement eine neue Programmierung und Positionierung erarbeitet, deren Ziel es ist, verstärkt Jung und Alt in den Genres Klassik, Literatur, Crossover und Jazz, Bühne, Architektur und bildende Künste einzubinden. „Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation bemühen wir uns um künstlerische Vielfalt, achten aber trotzdem darauf, dass die Qualität die Quantität bestimmt“, erklärt Hieke, dem die kaufmännische Geschäftsführerin Johanna Mitterbauer tatkräftig zur Seite steht. „Es ist uns eine große Freude, dass wir Karin Bergmann, die ehemalige Burgtheater-Direktorin für Gmunden gewinnen konnten. Sie wird bereits heuer das Literatur- und Theaterprogramm verantworten.“

Am 12. April 1941 wurde in Los Angeles unter der Leitung Korngolds sein Passover Psalm op. 30 Come, let us hail Him (Lasset uns preisen) als Auftragswerk von Jacob Sonderling uraufgeführt. Der Text stammt aus der PessachHaggada, die Komposition ist ein Chorwerk für Sopran, gemischten Chor, Orgel und Orchester. Auftraggeber Korngolds war niemand Geringerer als der deutsch-amerikanische Rabbiner Sonderling: Er war der väterliche Freund der deutschsprachigen Migrantenszene in Los Angeles, wo er Komponisten zu Aufträgen für Musikstücke verhalf, zu denen er großteils die Texte schrieb.

Am 18. April 1941 wird im Gau Oberdonau das Gut Höselberg bei Gmunden dem „Deutschen Reich – Reichsarbeitsdienst“ einverleibt. Von der Gestapo beschlagnahmt wurde der Besitz des Ehepaares Korngold schon kurz davor. Dazu recherchierte Arnbom akribisch: „Die Rückstellung des Besitzes erfolgt mit Beschluss vom 12. Mai 1949 – doch verbringen die Korngolds keinen Sommer mehr in ihrem einstmals so schönen Besitz, sondern kommen nur noch ein einziges Mal nach Gmunden.“ Darüber schreibt Luzi Korngold: „Erich hätte Europa nicht verlassen, ohne von seinem Höselberg Abschied zu nehmen.“

* Luzi Korngold: Erich Wolfgang Korngold. Ein Lebensbild. Wien: Lafite 1967.
** Marie-Theres Arnbom: Die Villen vom Traunsee. Wien: Amalthea 2019.

1 KOMMENTAR

  1. Ich komme als Historiker und Journalist zwar von der Literatur her, bin aber ein großer Musiklieb-habe. Das half mir bei der musikalischen Untermalung meiner weit übe 1oo ORF- Dokumentationen sehr.
    Für Klaus Maria Brandauer hatte ich auch aus Arthur Schnitzlers Tagebüchern dessen sämtliche Anmerkungen über den jungen Korngold gesammelt. Dass Marie Theres Arnbom eine großartige
    Autorin nach perfekter Recherche ist, sagte ich ihr schon einmal, besitze auch ihre Bücher.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here