Verstörend und meist unsauber verläuft hierzulande die Einordnung des Typus „Mitläufer“ insbesondere, wenn es um die NS-Zeit geht. Es gibt dazu diese kleine wegwerfende Handbewegung, die signalisieren soll, dass es sich dabei nur um unpolitisch Harmlose, arme Verirrte oder unschuldig Verführte handelt. Die teils verächtliche, aber immer unerträgliche Verniedlichung reicht dann noch bis zum „Dummerl“, das es nicht besser wusste oder, faktisch korrekt gesagt: nicht wissen wollte.
Heute wird die Bezeichnung für jene Covid-Leugner, die gedankenlos mit Rechtsextremen und Hooligans mit marschieren, der larmoyante Spruch „DAS muss man doch in dieser Situation verstehen“ aus der Apologetenkiste geholt. Und zwar mit dem Argument, dass die Menschen „einfach frustriert“ sind, die Politik „sie nicht abholt“. Überhaupt ist derzeit „alles eine Zumutung“. Gerade deshalb muss man frühzeitig auf die „nur Mit-Spazierenden“ reagieren, keine verständnisvolle Nachsicht mit diesen verwöhnten Opportunisten üben, wenn sie ihr ausgrenzendes, rassistisches Unbehagen in der Gesellschaft von Neonazis mit deren rechtsextremen und antisemitischen Parolen würzen. „Gerade in der Krise rufen Ängstliche nach einer starken Hand“, erläutert der Extremismusexperte Andreas Peham. Erhallt der Ruf schon wieder in diese Richtung? Ein erschreckender Befund, denn das ist mehr als ein Déjà-vu, es ist vielmehr ein déjà entendu.

Heute wird für die Covid-Leugner der Spruch „DAS muss man doch in dieser Situation verstehen“ aus der Apologetenkiste geholt.

Auch wenn die extreme Rechte meist männlich besetzt ist, sieht es so aus, als würden Frauen nicht nur als Mitläuferinnen stark aufholen. „Sowohl bei der Verhetzung wie auch bei den Verurteilungen nach dem Verbotsgesetz haben wir zunehmend mehr Frauen unter den Verurteilten“, weiß Peham. Das Internet, die sozialen Netzwerke sichern die erwünschte Anonymität und aktivieren zusehend auch Frauen. Als Organisatorinnen der Demos rücken ebenso vermehrt Frauen ins Rampenlicht: Die Zahnarztassistentin Jennifer Klauninger spricht als „Jenny Klaus“ auf sozialen Plattformen über die „globale Weltverschwörung“ gegen das „weiße Volk“. Edith Brötzner erreicht mit ihrer PR-Agentur und mit professionellen Videos ein anfälliges Publikum und ersetzt so für viele die Mainstream-Medien.
Während in Österreich die Anzahl echter, harter Rechtsextremer auf unter zehn Prozent geschätzt wird, rechnet Josef Schuster, seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, mit zwanzig Prozent. „In der Bevölkerung gibt es seit Jahrzehnten denselben Anteil an Menschen mit antisemitischen Vorurteilen. Die Veränderung besteht darin, dass man sich heute viel mehr zu sagen traut“, erzählt Schuster in einem Presse-Interview. Und er räumt gleich mit noch einem Vorurteil auf:
„Mit der Flüchtlingswelle 2015 stieg die Sorge, dass Menschen aus dem arabischen Raum ihre anerzogenen antijüdischen Vorurteile nicht an der Grenze abgeben würden. Aber das Ergebnis nach fünf Jahren zeigt, dass kein erkennbarer Zuwachs des Antisemitismus durch diese Gruppe erfolgt ist. Sicher gibt es Einzelfälle − aber der Rechtsextremismus ist aktuell definitiv die größere Gefahr.“
Das wird der rhetorisch geeichte Einpeitscher der FPÖ gegen Asylanten und Ausländer nicht gerne hören. Denn FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl braucht diese Gruppe ebenso wie die Covid-Leugner und Maskenverweigerer, wie er selbst einer ist. „Wir sind die Stärkeren, wir können uns auf unser Immunsystem verlassen, dieses wird von Tag zu Tag stärker!“ Zielt diese Doppelbödigkeit daraufhin, dass eine indigene Herrenrasse doch widerstandsfähiger ist als die schwächlichen anderen? Jedenfalls versorgt der Vertreter einer Parlamentspartei nicht nur Rechtsextreme und Neonazis mit reichlich Futter, sondern auch die unpolitisch nur frustrierten Mitläufer und Mitläuferinnen.
Wer Masochist genug ist, sich Herbert Kickls Rede bei der jüngsten Praterdemo anzuhören (YouTube), wird überrascht sein. Nein, nicht vom Inhalt per se, den kennt man schon zur Genüge, sondern vom fehlenden Charisma, von der eintönigen, kalten Stimme, vom stumpfsinnigen Staccato – kein Witz, kein Schmäh –, und das wirkt auf die Zuhörerinnen und Zuhörer? Wer immer seine Vorgänger an der FPÖ-Parteispitze gehört und erlebt hat, einen mit diabolischem Lächeln ausgestatteten, aber dennoch charismatischen Jörg Haider oder ein Leichtgewicht wie HC Strache, der aber den Wiener Schmäh beherrscht, muss sich fragen, wie Kickl diese Gefolgschaft in Bann hält. Chefredakteur Rainer Nowak spekulierte jüngst dazu in der Presse: „Das klang wie einer, der sich schon einmal eine Rede von Joseph Goebbels angehört hat und sie vielleicht deswegen unterbewusst imitiert.“ Vielleicht denkt sich so manche und so mancher: Ist nicht schlimm, wir laufen ja nur ein Stück mit.


Bild: Marjan Blan | @marjanblanUnsplash

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