Zehn Frauen schauen auf das junge Land

Palästina/Israel im Blick vergessener deutsch-jüdischer Avantgarde-Fotografinnen beleuchtet Anna Sophia Messner in ihrer mit 100 Bildern illustrierten Forschungsarbeit.

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Anna Sophia Messner: Palästina/Israel im Blick. Bildgeographien deutsch-jüdischer Fotografinnen nach 1933. Wallstein 2023, 376 S., € 47

Sie kamen, wie manchmal süffisant bemerkt, nicht aus Überzeugung, sie kamen aus Deutschland. Als Töchter aus liberalen, aufgeschlossenen jüdischen Familien hatten sie Kultur, Bildung und Ausbildung genossen, bevor sich ihre beruflichen und persönlichen Aussichten in den 1930er-Jahren immer mehr verdunkelten und sie schließlich zur Auswanderung zwangen. Wie viele Jeckes, also assimilierte deutsche Juden, empfanden sie Palästina, in dem sie schließlich nach mehr oder minder gefährlichen Schiffspassagen landeten, eher als Exil denn als zukünftige Heimat. Dem zionistischen Aufbauwerk standen sie oft ideologisch fern, dennoch dokumentierten sie es mit den ihnen eigenen künstlerischen Mitteln.

Werbefotos. Die Rede ist von zehn deutschjüdischen Fotografinnen, deren Lebenswege bzw. „Bildgeographien“ die deutsche Kunst- und Kulturhistorikerin Anna Sophia Messner zunächst in ihrer Dissertation und nun in dem daraus entstandenen Buch nachzeichnet. Als Quelle dienten ihr vor allem die Nachlässe dieser größtenteils vergessenen Künstlerinnen, die zum Teil auf abenteuerlichen Wegen ans Licht gelangt waren.

Auf einem Müllhaufen in Haifa fand sich vor über 15 Jahren ein brauner Lederkoffer mit deutschsprachigen Dokumenten, Briefen und thematisch geordneten Pappschachteln voller Fotografien: das Archiv der deutschen Fotografin Alice Hausdorff. Sie war 1939 nach Palästina emigriert, hatte in Tel Aviv und Haifa Fotoateliers betrieben und im Auftrag zionistischer Organisationen wie z. B. der WIZO Motive aus dem Leben der Pionier:innen in Kibbuzim oder von Haushaltskursen für Frauen eingefangen. Auch viele andere ihrer Kolleginnen arbeiteten eigentlich als Werbefotografinnen für das zionistische Projekt, porträtierten prominente Persönlichkeiten oder, je nach Interesse, die ethnische Vielfalt des Landes, fingen Details des Alltagslebens oder der aufkeimenden Kunstszene ein.

Willentlich oder unwillentlich trugen sie mit ihrer Kamera
zum „Nation Building“-Prozess des jungen Staates bei, aus dem
einige bereits nach wenigen Jahren wieder weiterzogen …

 

Allen gemeinsam ist, wie Messner aufzeigt, die weibliche Perspektive und eine an der Ästhetik der Neuen Sachlichkeit geschulte Bildsprache. Diese hatten sie vor dem Nationalsozialismus im Deutschland der Weimarer Republik zum Beispiel am Bauhaus in Dessau studiert. Dort waren auch Ricarda Schwerin und ihr Ehemann Heinz Schwerin, die Eltern des Publizisten Tom Segev, tätig gewesen, die sich als Kommunisten im jüdisch-nationalistisch geprägten Umfeld wenig zu Hause fühlten. Wie die meisten Jeckes hatten sie extreme Anpassungsschwierigkeiten und lebten zunächst in sehr prekären wirtschaftlichen Verhältnissen. Davon zeugen zahlreiche, von Messner ausführlich zitierte Briefe an die daheim Gebliebenen.

Zwar erlaubten die handlichen Kleinbildkameras den Fotografinnen mobile Unabhängigkeit, als Frauen kamen sie jedoch schwieriger an Aufträge als ihre männlichen Kollegen. Für Ricarda Schwerin und deren Bildband über Jerusalem setzte sich ihre Freundin Hannah Arendt, die sie in mittlerweile ikonischen Fotos porträtiert hatte, in Amerika ein, ein Beispiel für das „transatlantische Netzwerk zwischen Jerusalem und New York“.

Alles neu. Viel Anfang kennzeichnete diese Generation der deutsch-jüdischen Avantgarde-Künstlerinnen, wie sich aus den im Band immer wieder angeführten Begriffen wie Neues Sehen, Neue Sachlichkeit, Neue Frau, Neue Jüdin ablesen lässt. Willentlich oder unwillentlich trugen sie mit ihrer Kamera zum „Nation Building“- Prozess des jungen Staates bei, aus dem einige bereits nach wenigen Jahren wieder weiterzogen, aus dem Heiligen Land, das ihnen nur spärliche Möglichkeiten bot, in das, wo sie unbegrenzte Möglichkeiten erwarteten. Wie zum Beispiel Lou Landauer, die in Jerusalem gegen große Widerstände die Abteilung für Fotografie an der Bezalel-Akademie begründet hatte. Ihr Fotomanuskript dieses Projekts wurde 2015 von einer Reinigungskraft der Akademie gefunden! In jahrelangen Recherchen hat Anna Sophia Messner derlei Verschollenes, Vergessenes und Vergrabenes zutage gefördert und die Geschichte des deutsch-jüdischen „Exils“ durch die Optik des weiblichen Auges beleuchtet.

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