Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen: Was wird dagegen getan?

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Bislang war in der deutschen Nachkriegsgeschichte der militante Antisemitismus ein Phänomen rechts- und linksradikaler Kreise. Das änderte sich 2000 mit dem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge. Von Manja Altenburg   

Damals verübten zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik muslimische Jugendliche einen Anschlag auf eine jüdische Gemeinde. Nur sechs Tage später zerstörte eine Gruppe Libanesen zahlreiche Fenster der Alten Synagoge in Essen. Beiden Straftaten lag ein israelbezogener Antisemitismus zugrunde. Sie standen in Zusammenhang mit der so genannten Zweiten Intifada. Die Täter empörten sich damit gegen das Vorgehen der israelischen Streitkräfte: „Für die jungen Muslime sind die Proteste eine legitime Art, ihre Aggressivität auszuleben. Seit ihrer Kindheit wurde diesen jungen Menschen das Feindbild mitgegeben, unter anderem durch ihre Eltern, Freunde und Bekannte, aber auch in Moscheen und Koranschulen“, erzählt der Diplompsychologe Ahmad Mansour, der Initiativen im Umgang mit Antisemitismus bei Muslimen berät.

„Besonders für die Jüngeren ist Facebook die wichtigste Informationsquelle. Das ist zum Teil reine Hetze, die da betrieben wird.“ Ahmad Mansour

Judenfeindliche Aggressionen steigen

Übergriffe Jugendlicher aus muslimischen Sozialisationskontexten stellen heute in Deutschland eine prob­lematische Größe dar. Vor allem in großen urbanen Siedlungsräumen mit einem hohen Anteil an Zuwanderern. Erneuten Auftrieb erhielt dieser israelbezogene Antisemitismus durch den Gaza-Konflikt im Sommer. Bundesweit kam es bei Gaza-Protesten immer wieder zu antisemitischen Parolen, Molotowcocktails flogen auf die Wuppertaler Synagoge. Auch im Internet steigt die Aggression gegenüber Juden. „Wir beobachten eine riesige Flut antisemitischen Schreibens“, so die Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel von der Technischen Universität Berlin. „Besonders für die Jüngeren ist Facebook die wichtigste Informationsquelle. Das ist zum Teil reine Hetze, die da betrieben wird“, bestätigt Mansour. Handgreifliche Attacken mehren sich. Erst vor Kurzem verletzten Palästinenser einen Israeli in Berlin schwer.

Jugendhilfe in Kinderschuhen
Ausschnitt aus einem Plakat mit dem Titel „Gib Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit keine Chance“ auf Initiative des IGMG.
Ausschnitt aus einem Plakat mit dem Titel „Gib Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit keine Chance“ auf Initiative des IGMG.

Obwohl heute Schule, Jugendhilfe und Gemeinden das Problemfeld erkannt haben, setzt hier noch keine systematische Präventionsarbeit ein. Keine, die alle relevanten Akteure einschließt. Lediglich an einigen ausgewählten Standorten existieren Dialogprojekte mit professioneller Moderation. Wie z. B. die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIGA) in Berlin. KIGA bemüht sich durch Studienreisen zur Gedenkstätte Auschwitz und mit lokalen Projekten, Jugendliche mit Migrationshintergrund für das Thema „Judenhass“ zu sensibilisieren. Das Bildungsprogramm Dialog macht Schule der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), das in Stuttgart und Berlin durchgeführt wird, geht direkt an Schulen. Auch das Düsseldorfer Projekt Ibrahim trifft Abraham setzt hier an. Dabei verschränken sie klassische und neue Bildungsformate der Dialogarbeit miteinander. Ihre Zielgruppe sind Migranten aus bildungsbenachteiligten Milieus. Vorurteile bemüht sich auch das Jugenddialogprojekt LIKRAT (hebr. für „auf einander zu“) abzubauen, das aus den Reihen der jüdischen Gemeinschaft initiiert ist. Es richtet sich an alle Schüler und will einen unbefangenen Zugang zum Thema Judentum ermöglichen. Hierzu besuchen junge Juden bundesweit Schulen und erzählen aus ihrem Alltag.

Nicht genug
Ibrahim trifft Abraham: neue Formate der Dialog- und Bildungsarbeit mit Jungen aller Herkünfte. ibrahim-trifft-abraham.de
Ibrahim trifft Abraham: neue Formate der Dialog- und Bildungsarbeit mit Jungen aller Herkünfte.
ibrahim-trifft-abraham.de

Zu wenige Aktivitäten sind nach wie vor auf der Gemeindeebene zu verzeichnen. Es fehlt hier unter anderem an Dialoginitiativen der Moscheegemeinden, aber auch der jüdischen Gemeinden. Mehrfach hat der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, in den vergangenen Monaten den muslimischen Religionsgemeinschaften vorgeworfen, nicht genug gegen die Bekämpfung von Antisemitismus in den eigenen Reihen zu tun. Das findet auch Mansour. „Antisemitismus ist in den meisten Moscheen und Jugendgruppen seit Jahren vorhanden. Ich war Mitglied der Islamkonferenz und habe das Problem immer wieder angesprochen. Der Hass ist völlig außer Kontrolle geraten.“ Muslimische Spitzenvertreter beurteilen die Lage anders. „Für uns Muslime ist Antisemitismus immer wieder ein Thema in Schulungen, Vorträgen und Projekten“, sagt Ali Kızılkaya, Vorsitzender des Islamrates und aktueller Sprecher des Koordinationsrates der Muslime (KRM). Die Vertreter bekräftigen, dass sie viel Aufklärungsarbeit zum Thema Antisemitismus leisten. Aber eben nicht im Rampenlicht und „ohne großes Tamtam“. Mustafa Yeneroğlu, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), beteuert: „Die Ablehnung und Bekämpfung von Antisemitismus erfolgt in aller Deutlichkeit, wird jedoch von der Öffentlichkeit nicht registriert.“ Er verweist auf den Kreativwettbewerb zum Thema Antisemitismus vor zwei Jahren, bei dem Jugendliche Plakate gegen Antisemitismus entwarfen. Auch mit dem Projekt Kunst verbindet: muslimische und jüdische Kalligraphie sollten Gleichheiten aufgezeigt und Vorurteile abgebaut werden. Vereinzelt unternehmen Moscheegemeinden Studienreisen zur Gedenkstätte Auschwitz.

bpb macht Hoffnung

Auch wenn einige dieser Projekte die Prävention gegen Antisemitismus unterstützen, wissen Schulen, Jugendhilfe und ähnliche Träger, dass diese bisher nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind. Benötigt wird eine gezielte Prävention, die möglichst viele Jugendliche mit Migrationshintergrund erreicht. Genau an diesem neuralgischen Punkt setzt demnächst die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) an. Sie wird direkt in der Schule aktiv. Denn laut bpb zeigen bisherige Unterrichtserfahrungen, dass der schulische Islamunterricht vor allem in der Sekundarstufe I der Vorurteilsbildung aktiv entgegenwirken kann. So baut die Zentrale auf künftige Präventionsmaßnahmen im islamischen Religionsunterricht. In einem ersten Schritt wird dieses Präventionsprogramm in den kommenden Jahren in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen flächendeckend ausgebaut. ◗

Projekte gegen Antisemitismus
☛ KIGA – Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus in Berlin handelt lokal und reist  – wie auch einige Moscheegemeinden – mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund zur Gedenkstätte Auschwitz.
☛ Bildungsprogramme für Migranten an Schulen bieten die bpb – Bundeszentrale für politische Bildung mit Dialog macht Schule in Stuttgart und Berlin sowie die Aktion Gemeinwesen und Beratung (AGB e. V.) mit dem Düsseldorfer Projekt Ibrahim trifft Abraham.
☛ Jungen Juden besuchen im Rahmen des Projekts LIKRAT Jugend & Dialog bundesweit Schulen.
☛ Kreative Projekte zum Thema Antisemitismus initiierte die IGMG – Islamische Gemeinschaft Millî Görüş.

© dialogmachtschule.de; ibrahim-trifft-abraham.de

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