„Manche hoffen darauf, die Netrebko bei uns zu treffen“

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Sissy Strauss verpflanzte ihren New Yorker Künstlersalon in ihre Geburtsstadt. Trotzdem bleibt die Sehnsucht nach dem Job an der Met und im Big Apple.

Sie denkt gar nicht daran, ihre Gefühle, ihre Wehmut zu verbergen. Dafür ist Sissy Strauss viel zu offen und direkt. Bereut sie den Umzug nach Wien? „Ja, natürlich, ständig und täglich“, sprudelt es aus der aparten Frau mit den strahlend blauen Augen hervor. Aber die Sehnsucht gilt nicht nur der Stadt New York, „sondern den beiden Sachen, die ich geliebt habe und die ich jetzt nicht mehr haben kann: meinen Job an der Metropolitan Opera und die Gegend, in der wir gelebt haben.“ Nur zwei Häuserblocks von der Met entfernt lag die Wohnung mit einem atemberaubenden Blick von der Dachterrasse über die Stadt. Aber auch den Doorman, der sie rührend bewacht hatte, vermisst sie. Wenigstens der Fahrstuhlführer, ein Serbe mit Familie in Wien, kam sie bereits zu Silvester hier besuchen.

Schenk & Strauss. Seit einem halben Menschenleben sind sie eng befreundet, und die Verbindung reicht von Wien bis nach
New York – und zurück.

Hier, das ist eine großbürgerliche, gemütliche Wohnung mit charmantem Flair innerhalb des Gürtels. Riesige Ölgemälde der jüdischen und nicht-jüdischen Vorfahren aus der Welt der Großindustrie Brünns umgeben die elegant leger gekleidete Gastgeberin – und genau als solche hat sie sich einen legendären Ruf erworben. Beruflich für die Betreuung der internationalen Künstler an der Met zuständig, wusste sie um deren Einsamkeit in der Riesenmetropole: „Für eine Neuproduktion oder eine Wiederaufnahme sitzen sie sechs bis acht Wochen allein in New York und kennen niemanden“, erzählt Sissy, und Ehemann Max fügt hinzu: „Hier in Europa kann man über das Wochenende nach Berlin oder Paris heimfliegen, von den USA aus ging das gar nicht.“ Mehr als vierzig Jahre stand ihr New Yorker Zuhause unzähligen internationalen Stars aus aller Welt offen: „Auf meinen zwei Riesenherden konnte ich für 80 Gäste leicht Gulasch machen: 40 Pfund Fleisch, 30 Pfund Zwiebel, das ging noch. Aber in den letzen 20 Jahren kamen immer mehr – so bis zu 200 Personen –, und da musste ich auf Pasta Bolognese umstellen. Das war kein Problem, es gab gute fertige Pasta-Saucen, und ein Packerl Nudeln kann man immer noch ins Wasser hauen“, lacht Sissy, die jetzt auch in Wien gelegentlich die berühmt-beliebten „Pasta Partys“ veranstaltet. „Gulasch geht nur mehr für zehn bis zwölf Freunde bei Tisch.“

Der letzte Salon.
Sissy Strauss,
New York – Wien.
Buch & Regie:
Joachim Dennhardt;
Produzent: Mario Hann

Als „Salondame“ oder gar „Salonlöwin“ sieht sie sich nicht gerne tituliert, obwohl auch der jüngst über sie gedrehte Film Der letzte Salon von ihren gesellschaftlichen Aktivitäten in diesem Sinne handelt. Der deutsche Autor und Regisseur Joachim Dennhardt zeichnet ein sehr feinfühliges Porträt der Grande Dame der Metropolitan Opera und verewigt darin jenen „letzten Salon­abend“, den Sissy und Max Strauss vor ihrem Umzug nach Wien im August 2015 für ihre befreundeten Künstler gegeben haben. Spontane großartige Soloarien, Duette und Quartette, die alle als Liebeserklärung an Sissy gedacht sind, bereichern diesen Film, der mit dem Hollywood International Independent Documentary Award 2016 ausgezeichnet wurde. Die Spitzentenöre Juan Diego Flórez und Piotr Beczala, die Mezzosopranistinnen von Weltrang Elina Garanča und Elena Maximova gehören ebenso zu den Stars, die Ständchen für die großzügige Gastgeberin anstimmen, wie Anna Netrebko. „Sie ist ein besonders warmherziger Mensch und lustiger Kumpel“, erzählt Sissy, die sich jetzt in Wien kaum der vielen Einladungen erwehren kann. „Vielleicht hoffen sie dann, irgendwann bei uns die Netrebko zu treffen – und manchmal passiert das sogar“, schmunzelt Strauss. Elina Garanča nannte sie liebevoll „unsere Met-Mama“ und meinte, Sissys Salon in New York sei einer der wenigen Orte in der hektischen Opernwelt gewesen, wo man sich zuhause fühlen konnte. „Die Met ohne sie ist nahezu undenkbar“, sagte Chefdirigent James Levine bei Sissys Pensionierung 2014.

„Ich war eine miserable Studentin, ich habe immer nur die Hetz’ gesucht.“

Von Opernleidenschaft und „Wiener-Brünner jüdischen Mafia“.

Doch wie kommt eine wohlbehütete junge Frau Mitte der 1960er-Jahre allein in die USA? Nach der Matura wusste Sissy nicht, was sie studieren sollte. „Wenn man das nicht weiß, geht man meistens an die juridische Fakultät“, erzählt sie. Ihr Vater hatte zwar Medizin studiert, widmete sich aber dem Theaterbetrieb, u. a. leitete er das Theater in der Liliengasse und später das Ateliertheater am Naschmarkt. „Ich war eine miserable Studentin, ich habe immer nur die Hetz’ gesucht“, gibt sie freimütig zu. Die Musik und die Liebe zur Oper hatte ihr der Vater bereits in die Wiege gelegt, und so arbeitete sie unentgeltlich mit ihren engen Freunden im Büro der Jeunesse Musicale. „Das war eine wichtige Station in meinem Leben: Ich war zwar weder in einem Chor, noch habe ich ein Instrument gespielt, aber die Musik ging mir ans Herz.“ Der unruhige Geist wollte weg aus Wien, weg von der Familie und Englisch lernen.

Die Cousine ihrer Mutter war nach Montreal ausgewandert und lud sie bei ihren Wien-Besuchen immer wieder nach Kanada ein. „Sie war die Tochter des Bruders meiner Großmutter und hat als einzige den Holocaust überlebt, weil sie in Prag und Brünn versteckt war; ihre ganze Familie ist umgekommen. Sie hat nach dem Krieg einen Architekten geheiratet. Als dann die Kommunisten kamen, sind sie nach Kanada ausgewandert.“

Sissy organisierte ihre Reise hinter dem Rücken der Eltern: Sie bekam am kanadischen Konsulat problemlos ein Immigrationsvisum, das Geld für das One-Way-Ticket nach Montreal streckte ihr die Caritas vor. Sie hatte eine Arbeitserlaubnis, konnte kaum Englisch und begann deshalb, in einem schicken Warenhaus Büstenhalter und Korsetts zu schlichten. Bei einem deutschen Flüchtling, der behauptete, Engländer zu sein, nahm sie Privatstunden und besserte innerhalb von fünf Monate ihre Sprachkenntnisse wesentlich auf. „Meine Tante hatte einen großen Freundeskreis, ich habe sie immer die „Wiener-Brünner jüdische Mafia“ genannt. Einen dieser Brünner Freunde lernte ich bei einem Brunch kennen. Er lebte in New York, und als ich ihn dort auf dem Rückweg von eine Europareise besuchte, fragte er mich nach einer Woche, ob ich ihn heiraten wolle.“ Sechs Monate später wurde geheiratet, aus dieser Ehe stammt ein Sohn.

Sissys Salon entsteht. Sissy lebte in einem beschaulichen Vorort von New York, etwa 45 Minuten von Manhattan entfernt, langweilte sich und spielte täglich rund vier Stunden Bridge. „Das habe ich fast drei Jahre so gemacht. Dann sagte ich mir, ich bin nicht einmal 30 Jahre alt, ich will mein Leben nicht so verbringen!“ Freunde, die auch aus Wien emigriert waren, kannten die künstlerische Betriebsleiterin an der Metropolitan Opera – und die suchte einen Volontär. Drei Jahre arbeitete Sissy unbezahlt in diesem Büro: „Ich habe noch Italienisch und etwas Spanisch gekonnt und aus den internationalen Opernmagazinen herausgesucht, wo welcher Künstler welche Partie singt. 1975 gab es ja noch keinen Computer, und ich hatte eine riesige Kartothek angelegt, die für das künstlerische Betriebsbüro sehr hilfreich war.“ So lernte sie mit der Zeit eine große Zahl an Dirigenten, Regisseuren und Sängern kennen. Vier Jahre später bekam Sissy eine neue Chefin, und diese bot ihr einen Vollzeitjob mit Bezahlung an. Da Sissy inzwischen mit ihrer Familie wieder in Manhattan wohnte, nahm sie freudig an.
„Die meisten Sängerinnen und Solisten konnten damals kaum Sprachen. Der Otti Schenk war da eine Ausnahme, der sprach ganz gut Englisch. Ich kümmerte mich um Wohnungen für sie, um Arzttermine und vieles mehr.“ Die ersten kleinen Einladungen zum Abendessen machte Sissy noch, als sie im ländlichen Bronxville lebte. Ihr damaliger Mann war geschäftlich viel gereist, und so begann sie, kleine Essen für die einsamen Großstadtkünstler zu machen. Auch ihren Max hat Sissy indirekt durch die Met kennengelernt. „Jeffrey Tate war 1979 Assistent von James Levine an der Met und vorher auch bei Herbert von Karajan. Max und ich waren unabhängig voneinander sehr befreundet mit Tate. Er hat uns vorgestellt, aber wir waren damals beide verheiratet. Erst als unsere Ehen zerbrachen, haben wir uns näher kennengelernt.“

„ICH BIN EIN SPEZIALIST IN BILLIGEN WEINEN“, BEKENNT MAX SCHMUNZELND. „WENN DIE LEUTE EXQUISIT ESSEN WOLLEN, MÜSSEN SIE INS RESTAURANT GEHEN.“

Zurück in Österreich. In den eineinhalb Jahren in Wien haben Sissy und ihr Mann Max inzwischen zu sechs Kultursalons eingeladen.

Seit 1983 lebt Sissy mit Max Strauss, der in Hamburg geboren wurde, aber in Amerika aufwuchs, wo er als Industrieller erfolgreich war. War er auch so ein Opernfan? „Ich lebte eine Zeit lang in Holland und bin gerne ins Concertgebouw zu Konzerten gegangen, so habe ich auch Jeffrey Tate kennengelernt. Als ich nach New York zurückkam, war Bizets Carmen meine erste und einzige Oper, die ich gehört hatte. Aber da ich ganz nah bei der Met gewohnt habe, bin ich öfter auf gut Glück – auch ohne Karte – hingegangen“, lacht Strauss. Gab es Künstler, um die sie sich gekümmert haben und die sie dann in der Folge menschlich enttäuscht haben? „Nein, Sänger und Sängerinnen sind besonders nette und anhängliche Menschen“, beeilt sich Sissy zu versichern. Dann zählen beide auf, wie tiefgreifend und ausdauernd die Freundschaften mit Größen wie Edita Gruberova, Gwyneth Jones, Placido Domingo oder Christa Ludwig sind. „Für René Pape waren wir seine amerikanischen Eltern.“

In den eineinhalb Jahren in Wien haben Sissy und Max inzwischen sechs große Partys veranstaltet: „Ich habe schon 650 Flaschen Wein in Wien gekauft“, berichtet Max voller Stolz. Ist er so ein Weinkenner? „Nein, ich bin ein Spezialist in billigen Weinen“, bekennt er schmunzelnd. „Wenn die Leute exquisit essen wollen, müssen sie ins Restaurant gehen“, sekundiert Sissy humorvoll. Gesellschaftlich ist das Ehepaar Strauss in Wien angekommen, dennoch schimmert ein wenig verklärter Seelenschmerz nach der ganz großen Weltbühne bei den Erzählungen durch.


Bilder: © Reinhard Engel, medaivilm

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