„Bäume sind die Klimaanlage unserer Stadt“

Wien gilt als grüne Stadt – doch innerstädtisch heizt es sich an heißen Tagen enorm auf. Der Klimawandel verschärft dieses Problem zusehends. WINA sprach dazu mit der Stadtplanerin und Stadt-Wien-Mitarbeiterin Eva Kail. Sie plädiert dafür, Straßen nicht nur grüner zu gestalten, sondern sie auch wieder mehr als Aufenhaltsort für Menschen zu verstehen statt als Park- und Verkehrsfläche für Autos.

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EVA KAIL, geb. 1959 in Wien, ist studierte Stadtplanerin. Sie ist in der Stadt Wien in der Magistrationsdirektion im Geschäftsbereich Bauten und Technik für Gender Planning zuständig. Kail koordinierte über 60 gendersensible Pilotprojekte im Bereich Wohnbau, Städtebau, Mobilität sowie Gestaltung öffentlicher Räume und Parks. © Jana Madzigon

WINA: Wien ist knapp 415 Quadratkilometer groß. Knapp die Hälfte dieser Fläche ist nicht versiegelt, sondern besteht aus Wäldern, landwirtschaftlichen Flächen und Parks. Damit gilt Wien als im internationalen Vergleich sehr grüne Stadt. Die durch den Klimawandel ansteigenden Temperaturen haben allerdings in den vergangenen Jahren das allgemeine Bewusstsein dafür geschärft, dass es dennoch Stadtteile mit geringem Grünanteil gibt, die sich im Sommer stark aufheizen. Wie kann Stadtplanung hier dagegenwirken?
Eva Kail: Wien hat sich mit dieser Problematik relativ früh auseinandergesetzt und in Zusammenarbeit mit der Universität für Bodenkultur mit dem Heat Island Strategieplan mögliche Maßnahmen aufgezeigt. Inzwischen gibt es auch die Klimastrategie der Stadt Wien mit einem konkreten Aktionsplan. Angesetzt wird dabei auf verschiedensten Ebenen. Bei Neubauten werden beispielsweise Dachbegrünungen vorgeschrieben, und es werden Fassadenbegrünungen forciert. Wir wissen aber, dass Baumpflanzungen die beste Klimaanlage sind. Bäume beeinflussen das Mikroklima am stärksten. Das größte Potenzial liegt dabei im Straßenraum. Und genau das wird auch laufend gemacht. Beispiele sind die Otto-Bauer-Gasse im sechsten Bezirk oder die Zollergasse im siebenten Bezirk. Dabei geht es nicht nur um Baumpflanzungen, sondern auch darum, den Straßenraum, der nicht nur Bewegungsraum, sondern auch Aufenthaltsraum ist, zurückzuerobern. In westlichen Städten nehmen Autos viel von der Fläche in Anspruch. Hier ist der größte Spielraum für Begrünungen. Man muss aber auch sagen: Wien hat im Vergleich mit anderen Großstädten eine Vielfalt an Stadtlandschaften vom Wiener Wald über das flache Marchfeld bis zu den Donauauen. Das ist etwas ganz Besonderes. Gleichzeitig haben wir innerstädtisch überwiegend einen Gründerzeit-Raster, in dem zwar einzelne Blöcke für kleine Parks ausgespart wurden, aber das Grünflächenangebot insgesamt eher gering ist. Die Ziegelbarone haben damals alles parzelliert. Hier kann man in der Regel nicht hergehen und großflächig Häuserblöcke abreißen. Aber auf dem Areal des früheren Sophienspitals im siebenten Bezirk, wo eine neue Quartiersentwicklung stattfindet und neue Wohnprojekte entstehen, da wird auch ein neuer Park geschaffen. Hier ist es leichter, mehr Grünflächen und Bäume vorzusehen.

Eva Kail setzt sich vor allem auch für eine geschlechtersensible Stadtplanung ein. © Jana Madzigon

Jungbäume müssen aber auch die ersten Jahre gut überleben. Manche tun dies in den inzwischen heißen Sommern mangels Wasser nicht. Wie kann dieses Problem gelöst werden?
I Ja, das ist ein großes Problem. Je jünger die Bäume sind, desto schwieriger ist es, dass sie hochkommen. Es wurden Gießsäcke entwickelt, die das Wasser langsam abgeben. Automatische Bewässerungen werden eingebaut. Baumstandorte werden durch vergrößerte Wurzelräume verbessert. Und es werden Baumarten verwendet, die mit den Standortbedingungen besser zurechtkommen. Es muss aber auch gelingen, der Bevölkerung zu vermitteln, dass Bäume die Klimaanlage unserer Stadt sind.

In innerstädtischen Lagen werden nun auch vermehrt Pflanzenbeete angelegt, die aber statt mit Erde mit einem speziellen Substrat arbeiten, das ähnlich wie Kies aussieht, zum Beispiel am Petersplatz oder am Neuen Markt in der Inneren Stadt. Das kommt bei vielen Menschen nicht gut an. Warum ist es aber sinnvoll, Beete so anzulegen?
I Wien wächst, und es wachsen auch die Aufgaben, allerdings bei nicht gleich schnell wachsenden Budgets. Man muss also Ressourcen gezielt einsetzen. Steigende Temperaturen im dicht verbauten Stadtgebiet und länger anhaltende Hitzeperioden sind eine enorme Herausforderung für Stadtpflanzen. Die Wiener Stadtgärten reagieren auf sich ändernde klimatische Rahmenbedingungen mit der Pflanzung von Gräser- und Staudenbeeten. Üblicherweise brauchen Gräser und Stauden zwei bis drei Vegetationsperioden, um ihre volle Größe zu entwickeln – abhängig von den jeweiligen Standortbedingungen. Man muss solchen Beeten also auch ein bisschen Zeit geben: Gerade jetzt, nach der langen Regenperiode, blühen viele Beete sehr üppig, die vor Kurzem noch nach Kiesfläche mit Unkraut ausgesehen haben. Was übrigens bei vielen Menschen sehr gut ankommt, ist das „Garteln um Eck“ auf Baumscheiben. Auch bei den Nachbarschaftsgärten gibt es lange Wartelisten. Urban Gardening ist total im Trend. Daran sieht man auch, dass sich die Einstellung zur Natur gewandelt hat.

Auch bei bestehenden Grünanlagen wie dem Donaupark sollen nun Teile der asphaltierten Wege wieder zurückgebaut werden. Warum?
I Asphalt heizt sich stark auf, das kann an heißen Tagen sehr unangenehm sein. Es ist daher sinnvoll, Wege auf die nötige Breite zu reduzieren.

 

„Heute bemüht man sich, vor allem dort, wo
es eine hohe Nutzungsdichte gibt, speziell
für Kinder und Jugendliche um Bewegungsangebote.“
Eva Kail

 

Die Parklandschaft in Wien ist vielfältig. Es gibt die alten Anlagen, wie etwa den Türkenschanzpark, oder Projekte wie den erst 2023 eröffneten Stadtpark Atzgersdorf in Liesing, der auf dem Areal des früheren Campingplatzes Wien Süd entstanden ist. Wie hat sich über die Jahrzehnte die Gestaltung von Parks wie auch von Spielplätzen verändert? Welche Rolle spielen hier Sicherheit, Gendersensibilität, das Schaffen von konsumfreien Räumen, aber eben auch der Klimawandel?
I Historisch gesehen gab es einerseits diese Art englischer Landschaftsparks, wie eben den Türkenschanzpark oder auch den Stadtpark. Da stand das bürgerliche Flanieren im Mittelpunkt, und die Kinderspielplätze waren doch relativ überschaubar. Diese Parks wurden für den gesitteten Aufenthalt und das Verweilen konzipiert. Dann gab es die Beserlparks; sie boten meist nur Sitzbänke und eine kleine Ecke für Kinder, vor allem jene in den Arbeitervierteln. Heute bemüht man sich, vor allem dort, wo es eine hohe Nutzungsdichte gibt, speziell für Kinder und Jugendliche um Bewegungsangebote. Der Park auch als Sportzone also. Die Motorikparks im 22. Bezirk oder auch der Helmut-Zilk-Park sind zum Beispiel echte Erfolgsgeschichten. Klein und Groß tummeln sich dort. Und dann gibt es Parks wie den Draschepark, der auch ein alter Park ist, der aber heute so vielfältig gestaltet ist, dass Jogger dort ihre Runden drehen, es großzügige Ballkäfige gibt, eine Hundewiese und eine davon abgetrennte Kinderwiese, auf der man picknicken kann. Wien hat hier insgesamt viel entwickelt. Beim Gender Planning wird darauf geachtet, dass sich nicht mehr, wie zuvor in Studien festgestellt, zum Beispiel in den Ballspielkäfigen das Dschungelgesetz des Verhaltensstärkeren durchsetzt. Dabei werden die kleineren Buben von jungen männlichen Erwachsenen verdrängt, und für Mädchen ist überhaupt wenig Platz da. Mädchen brauchen Kommunikationsräume, spielen aber auch gerne Volleyball oder balancieren. Sitzmöglichkeiten in den Ballkäfigen stärken ihre Aneignungsmöglichkeiten. Wenn man außen noch Basketballkörbe anbringt, gibt es zusätzliche Angebote, die auch gerne genutzt werden. Und wenn man die Zugangsmöglichkeiten vergrößert, wirken die Käfige auch einladender. Migrantische Bevölkerungsgruppen haben eine spezifische Art der Parknutzung mitgebracht, wie das Flanieren und sich dabei unterhalten. Daher sind Rundwege wichtig. Es ist aber auch Übersichtlichkeit wichtig – das berücksichtigen wir bei der Wegeführung. Da geht es auch um Sicherheit. Grundsätzlich bemühen wir uns um ein vielfältiges Angebot – ein Beispiel dafür sind auch verschiedene Sitzgelegenheiten. Ältere Personen tun sich manchmal schwer, sich niederzusetzen und dann wieder leicht aufzukommen. Sie brauchen Sessel mit Armstützen, wo sie sich beim Aufstehen aufstützen können und damit eine Hebelwirkung zum Aufstehen erzielen. Es geht bei all dem um die Sorgfalt im Detail und den Blick auf die Bedürfnisse einzelner Gruppen.

 

„Sobald der Verkehrslärm, an den sich schon viele
gewöhnt haben, weg ist, sind Menschen plötzlich sehr
geräuschempfindlich.“
Eva Kail

 

Im Alltag muss es aber oft gar nicht der große Park sein, auch Fußgängerzonen tragen dazu bei, dass Menschen sich wieder den öffentlichen Raum zurückerobern. Wo wird es in Wien in absehbarer Zeit neue Fußgängerzonen geben?
I Es geht gar nicht immer nur um reine Fußgängerzonen. Bewährt haben sich auch Begegnungszonen wie etwa am Anfang und Ende der inneren Mariahilfer Straße. Es gibt da etwa das Stadterneuerungsprogramm WienNeu+, mit dem Grätzelprojekte entwickelt werden. Ein Beispiel ist hier die Laxenburger Straße, wo ein Radweg gebaut wird und entlang dieses Weges Bäume gepflanzt werden. Insgesamt geht es aber auch im Sinn des tactical urbanism darum, Dinge auszuprobieren. Wie kann ich Verkehrsberuhigung und Attraktivierung erreichen? Da gibt es dann Mitbestimmungsverfahren, bei denen sich die Anrainer und Anrainerinnen einbringen können. Für die Gumpendorfer Straße läuft gerade so ein Verfahren. Ziel ist immer, attraktive Aufenthaltsräume zu schaffen, den Autoverkehr auf ein Minimum zu reduzieren und das Mikroklima zu verbessern.

Selbst ein paar Bänke im Fußgängerbereich einer stark befahrenen Straße – ich denke da etwa an die Praterstraße – können zu Kommunikationsorten werden. Wie entscheidet die Stadtplanung, wo neue Bänke aufgestellt werden?
I Die Partizipationskultur ist hier inzwischen stark ausgebaut. Es gibt kaum mehr Straßenumbauten oder -umgestaltungen, wo nicht in der Bezirkszeitung aufgerufen wird, Vorschläge einzubringen, wo es keine Informationsveranstaltungen gibt. Das läuft dann über die Bezirksvorstehungen vor Ort. Oft gibt es auch Einladungen zu gemeinsamen Begehungen. Zu Bänken ist allerdings zu sagen: Die einen schätzen Bänke total, und sie sind auch für bestimmte Menschen Voraussetzung für Mobilität. Personen, die Herzbeschwerden haben oder gebrechlich sind, planen ihre Wege so, dass sie sich zwischendurch niedersetzen können. Auf der anderen Seite gibt es auch das Ruhebedürfnis. Und gerade dann, wenn Bänke als Kommunikationsorte gut funktionieren, kommt es oft zu Lärmbeschwerden. Und wenn sich die diesbezüglichen Anrufe bei der Bezirksvorstehung häufen, ist die Bank wieder weg. Interessanterweise gibt es dieses Problem häufig in verkehrsberuhigten Straßen. Sobald der Verkehrslärm, an den sich schon viele gewöhnt haben, weg ist, sind Menschen plötzlich sehr geräuschempfindlich.

Braucht es hier auch einen Kulturwandel in der Bevölkerung?
I Es ist ein Paradoxon, dass dort, wo Verkehrsberuhigung stattfindet und Angebote im öffentlichen Raum gut angenommen werden, sich die Beschwerden der Anrainer und Anrainerinnen erhöhen. Das ist also ein ständiger Aushandlungsprozess. Am Ende geht es um faire Chancen für die verschiedensten Bedürfnisse. Bei der Umgestaltung wird darauf Wert gelegt, Platz und Raum für alle zu schaffen.

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