Das Judentum lässt sich nicht definieren

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Peter Landesmann promovierte in Judaistik sowie in evangelischer und katholischer Theologie. Er verantwortet den Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit und die Gesellschaft der Freunde der hebräischen Universität Jerusalem. Als Autor zahlreicher Sachbücher über Christen- und Judentum tritt er regelmäßig bei den Wiener Vorlesungen im Rathaus auf. Redaktion und Fotografie: Ronnie Niedermeyer

WINA: Der Islam ist in Österreich ein aktuelles und umstrittenes Thema. Wie könnte der christlich-jüdische Dialog in einen Trialog mit den Muslimen erweitert werden?
Peter Landesmann: Im Rahmen der Wiener Vorlesungen habe ich viele Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens getroffen, die sich für die Freundschaft zwischen den beiden Gruppen einsetzen. Der andauernde israelisch-palästinensische Konflikt erschwert aber diese Zusammenarbeit. Die Lösung des Konfliktes könnte weltweit signalisieren, dass man sich mit dem Gegenüber vertragen und zusammenleben kann.

Was sind die Tätigkeiten und Ziele der „Freunde der hebräischen Universität“?
| Aufgrund der Schoah haben viele Israelis Vorurteile gegen Deutsche und Österreicher. Durch die wissenschaftliche Zusammenarbeit sollen diese Ressentiments gemildert werden. Jährlich bringen wir an die fünfzig Studenten zu Sommerkursen nach Österreich. Da die meisten und wichtigsten Werke zur Judaistik auf Deutsch verfasst wurden, wollen wir die Studenten auch dazu ermutigen, die Sprache zu lernen.

Du stammst aus einer jüdischen Familie. Wie kam es also zum Doktoratsstudium der evangelischen und katholischen Theologie?
| Nach dem Abschluss des Judaistikstudiums besuchte ich weiterhin Vorlesungen und entschloss mich, auch evangelische Theologie zu studieren. Bei der Promotion kam mein Doktorvater an das Podium und sagte: „Wir hatten es nicht leicht mit Ihnen. Sie sind der erste Jude, der für unsere Studienrichtung inskribiert hat. Damit Sie Doktor werden konnten, mussten zuerst unser Senat und unsere Religionsgemeinschaft befragt werden. Dann kam aber das Schwierigste: Die althergebrachte Eidesformel beim Ablegen des Studiums musste geändert werden, weil wir Ihnen nicht zumuten wollten, einen Eid auf die heilige Dreifaltigkeit abzulegen.“ Mit einem Blick auf Kardinal König, der mich durch seine Anwesenheit beehrte, fuhr er fort: „Bei den Katholiken wäre das nie möglich gewesen.“ Nach diesem Gespräch war ich neugierig und fragte den Kardinal, ob ein Jude an der katholisch-theologischen Fakultät ein Doktorat ablegen könne. Er war etwas verlegen, überlegte und antwortete: „Eigentlich nicht. Aber ich werde darüber nachdenken.“ Meine Frage war theoretischer Natur, weil ich eigentlich schon habilitieren wollte. Ich erwartete mir also nichts dabei. Zwei Monate später kam jedoch ein unerwarteter Anruf: Seine Eminenz lädt mich zu einem Kaffeeplauscherl ein. Ich erschien, und nach wenigen einleitenden Worten sagte er: „Ich habe mit dem Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, gesprochen. Bei seinem nächsten Rom-Besuch wird er den heiligen Vater dazu befragen.“ Nach weiteren zwei Monaten bekam ich die Nachricht, ich dürfe studieren und auch promovieren. Nun gab es keinen Weg zurück. Also studierte ich auch katholische Theologie – und hatte eine große Freude damit.

„Rabbiner aus Wien“ ist eines deiner bekannteren Werke. Kam es für dich jemals infrage, selbst Rabbiner zu werden?
| Überhaupt nicht. Mich hat die Judaistik als Wissenschaft interessiert. Es ist eine wunderschöne Bereicherung, die Überlegungen zum Judentum, zur Tradition, zur Bibel, zum Talmud zu kennen. Dennoch hat meine Professur an der Judaistik eine Art pastorale Tätigkeit beinhaltet – weil ich meine Studenten auch mit dem Ziel unterrichtet habe, sie dem Judentum näher zu bringen.

Das Judentum wird als Volk, Tradition und Religion bezeichnet. Welcher dieser drei Ansätze definiert deinen Zugang zum Judentum?
| Das Judentum lässt sich nicht definieren. Durch die Aufklärung sind wir es gewohnt, immer alles in Kasterl aufteilen zu müssen. Man muss auch akzeptieren, dass dieses Kasterlsystem, in dem wir unsere Logik und unsere Gedanken immer orientieren wollen, etwas ganz Künstliches und in der Realität nicht vorhanden ist.

Aber nehmen wir doch einmal an, ein Außerirdischer landet auf der Erde und fragt dich: „Du bist Jude, was ist das?“
| Dann würde ich sagen, er soll zuerst einmal konvertieren, dann wird er es erfahren.

 

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