„Der Rechtspopulismus ist in der Mitte angekommen“

Ronald Pohoryles ist wissenschaftlicher Leiter der European Association for the Advancement of Social Sciences. Nebenbei beschäftigt sich der promovierte Soziologe intensiv mit Europapolitik.

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© Ronnie Niedermeyer

WINA: Sie haben leitende Funktionen an einer wissenschaftlichen Institution und bei einer europäischen politischen Partei. Was für Synergien sind hier möglich?

Ronald Pohoryles: Meine politische und meine wissenschaftliche Tätigkeiten halte ich strikt voneinander getrennt. Schon Max Weber hat die entscheidenden Unterschiede zwischen dem Beruf des Politikers und dem des Wissenschaftlers beschrieben. Natürlich beschäftigen sich Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler auch mit Fragen der Politik, etwa der Qualität der Demokratie, Formen der gesellschaftlichen Mitbestimmung, Integration und vieles mehr. Aber das Herangehen ist ein gänzlich anderes.

»Ausgestrichenes bleibt trotzdem stehen.«

Wie würden Sie Ihre politische Herangehensweise beschreiben?
Für mich ist Politik eine moralische Verpflichtung; meine Rollen darin habe ich stets ehrenamtlich eingenommen. Hier bin ich hauptsächlich in europäischer Angelegenheit aktiv, derzeit als Präsident der österreichischen individuellen Mitglieder der ALDE Party. Die ALDE ist nämlich die einzige Europapartei, die als Mitglieder nicht nur nationale Parteien – in Österreich etwa die NEOS –, sondern auch individuelle Bürger als Mitglieder aufnimmt. Sie ist derzeit die drittstärkste Fraktion im Europäischen Parlament. In Österreich war ich bei einem der Vorläufer der NEOS aktiv, dem Liberalen Forum, dessen Vorstand ich – mit Aufgaben im europäischen Bereich – angehörte. Im Rahmen der NEOS war ich Leiter der Themengruppe „Europäische Angelegenheiten“ und habe am Programm in diesem Bereich mitgewirkt.

Wo können oder könnten Sie an die aktuelle österreichische Regierung anknüpfen?
Mit der aktuellen Regierung sehe ich für Liberale wenige beziehungsweise gar keine Anknüpfungspunkte. Der Rechtspopulismus ist leider in der Mitte der Gesellschaft angekommen; Islamophobie und Ausländerfeindlichkeit sind ein bestimmendes Merkmal dieser Ideologie. Dabei scheint es egal zu sein, ob eine rechtspopulistische Partei ein linksradikales Wirtschaftsprogramm für Unterprivilegierte wie in Italien vertritt – oder ein radikal wirtschaftsorientiertes Programm, verbunden mit sozialen Härten, die genau jene treffen, die sie zu vertreten vorgeben. Dabei ist die heutige türkise ÖVP nur die FPÖ auf Samtpfötchen, wenn man vom subkutanen Antisemitismus der FPÖ absieht, der immer wieder in „Einzelfällen“ zum Vorschein kommt. Aktuell bewegt mich am meisten die Frage, wie sich dieser Populismus zurückdrängen lässt. Wie kann Politik, die auf Vernunft und auf demokratischen Werten basiert, gegen eine bestehen, die nur auf Angst und Emotion abstellt? Ich hoffe, wir finden darauf eine Antwort.

Der von Ihnen mitverantwortete New Israel Fund setzt sich „für ein besseres Israel“ ein. An welchen Verbesserungen konkret arbeitet der NIF?
Der NIF ist eine Organisation, die sich auf die Vision der Staatsgründung im Jahr 1948 beruft und sich für die vollkommene Gleichheit der sozialen und politischen Rechte aller Einwohnerinnen und Einwohner in Israel einsetzt. Der NIF kämpft für Demokratie und gegen die Benachteiligung von Minderheiten. Er unterstützt den Kampf für soziale, politische und kulturelle Anliegen, etwa den fairen Zugang zu Wohnraum und Gesundheit, den Kampf gegen die Diskriminierung der Geschlechter und gegen den Rassismus. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Rechten der Beduinen und der palästinensischen Bevölkerung. Nach der Verabschiedung des jüngsten israelischen Staatsgrundgesetzes, dass Arabisch als Sprache zweiten Ranges statt als gleichwertige Staatssprache definiert, organisierten wir zahlreiche Protestaktivitäten. Seit 1979 hat der NIF mehr als 900 zivilgesellschaftliche Organisationen mit über 300 Millionen US-Dollar gefördert. Es gibt weltweit Initiativen, die den NIF unterstützen – auch in Österreich.

Sie sind begeisterter Sammler von Füllfedern. Was reizt Sie daran?
Ich pflege noch immer, meine Arbeiten händisch zu entwerfen und dann erst den Computer einzuschalten. Das zwingt mich zum konzeptiven Denken und dauert länger, was positiv anregt. Ausgestrichenes bleibt trotzdem stehen. Beim Computer kann es einfach ausgelöscht werden. Das verführt zu oberflächlicher Arbeit: Man tippt schnell, was einem einfällt – meistens, was man schon früher gelernt und gedacht hat – immerhin lässt der Text sich ja später überarbeiten. Mit der Feder geht das nicht. So begannen sich bei mir Füllfedern anzusammeln. Später interessierte mich deren Geschichte. Dann stellten sich Bezüge zu meinem Beruf her: Industriegeschichte und Entwicklung der Wirtschaftsstruktur.

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