Gefahren neu denken

Das Attentat von Halle zeigt: Es braucht neue Strategien in der Abschätzung von Gefährdungspotenzialen. Und neue Strategien in der Prävention von solchen Anschlägen.

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Der Schock über den Anschlag in Halle sitzt tief. Was wäre passiert, wenn die Türe nicht gehalten hätte? Wie hätte das Attentat geendet, wenn der Täter über Geld verfügt hätte, um professionelle Waffen zu kaufen, anstatt sich selbst welche zu bauen? Hätte die Türe der Synagoge die zu Jom Kippur Betenden auch noch geschützt?
Am Versöhnungstag wurde in Halle wahr, wovor jüdische Gemeinden in Deutschland und in ganz Europa seit Jahren warnen. Ja, der Antisemitismus von muslimischer Seite ist eine große Gefahr. Aber den Rechtsextremismus darf man dabei nicht außer Acht lassen. Und der wurde kräftig befeuert, auch von Parteien, die teils in Regierungen sitzen, die in Parlamenten vertreten sind. Und die sich darin überschlagen, vor der Judenfeindlichkeit von Muslimen und Musliminnen zu warnen.
Nun fühlte sich ein Deutscher, dem die Ermittler rechtsextremes Gedankengut attestieren, berufen, Juden zu töten. Er fühlte sich berufen wie der Attentäter in Pittsburgh oder jener von Christchurch. Treffen soll es einmal Muslime, einmal Ausländer, einmal Juden. Der Geist, der sich hinter diesen Taten vereint, ist derselbe. Die Vorherrschaft „der Weißen“ soll einzementiert werden. Das ist auch dem kruden Manifest zu entnehmen, das der Attentäter aus Halle ins Internet stellte.

Im Internet fühlt man sich von Gleichgesinnten bestärkt und kann sich mit diesen –
zum Beispiel auch in dark rooms – austauschen. 

Stichwort Netz. Vielfach war nach dem Anschlag von Halle von einem Einzeltäter die Rede. Ich möchte das in Frage stellen. Der Täter von Halle mag seinen Plan alleine in seinem Zimmer gefasst und an dessen Umsetzung gearbeitet haben. Doch das war ihm nur möglich, weil es weltweit Gleichgesinnte gibt. Im Internet finden Täter wie jener von Halle Vorbilder wie die Terroristen, die in Utoya, in Christchurch, in Pittsburgh mordeten. Im Internet finden Täter wie jener von Halle Anleitungen, wie man zu Hause mit Hilfe eines 3-D-Druckers Waffen baut. Im Internet fühlt man sich von Gleichgesinnten bestärkt und kann sich mit diesen – zum Beispiel auch in dark rooms – austauschen. Im Netz findet man aber auch Kanäle, in die man solche Taten live streamen kann und dabei auch noch auf Zuseher stößt, die einem Attentat zuschauen, ohne es sofort der Polizei zu melden.
Solche Menschen sind Mittäter. Und ohne solche Menschen würde sich ein Täter von Halle nicht berufen fühlen, loszumarschieren, um Juden zu ermorden. Der Begriff Einzeltäter wird da relativ. Ohne das Gefühl, sich hier im Recht zu befinden, würden wohl weniger dieser lone wolves, wie sie auch gerne genannt werden, zu Mördern werden. Dieses Gefühl erhalten sie aber auch durch die vielen, vielen Ansagen von rechten (und auch teils konservativen) Parteien, die nun seit Jahren die Angst vor Geflüchteten, vor Migranten, schüren. Wenn dann auf verschwörungstheoretischen Seiten Juden als Fadenzieher hinter Fluchtbewegungen dargestellt werden, ist die Gruppe der vermeintlichen Feinde, der vermeintlichen Schuldigen, wenn man sich selbst ins Hintertreffen geraten fühlt, komplett: Muslime, Juden, Ausländer. Die (vermeintlich) Fremden also.
Einzeltäter also, die keine sind, weil sie nur innerhalb eines Systems aktiv werden können – aber eben in völlig neuer Form und nicht als Teil einer lokal verankerten Gruppe. Das erschwert auch die Arbeit der Polizei. In einer Pressekonferenz am Tag nach dem Attentat von Halle betonte ein Polizeiverantwortlicher, es sei nicht möglich, tausende mögliche Angriffsziele – Synagogen, Moscheen, aber zum Beispiel auch türkische Kulturvereine – zu überwachen. Es sei aber auch nicht möglich, alle tausenden bekannten Extremisten rund um die Uhr im Blick zu haben. Und dazu kämen dann jene wie der Attentäter von Halle, der zuvor nicht auffällig wurde. Der Beamte bekannte, die Gefährdungsanalysen, wie sie derzeit vorgenommen werden, taugen ganz offenbar nichts mehr. Gefahren müssen also neu gedacht werden. Wie? Der Schlüssel kann meiner Meinung nach nur darin liegen, hier ebenfalls im Netz nach Antworten zu suchen. Da sind nun zum Beispiel Datenanalysten gefragt. Aber auch striktere Regulierungen, was im Netz erlaubt ist und was nicht.

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