Gute Ausbildung, lange Bürotage, Dienstort Ausland. Das sind die Parameter vieler junger mobiler Jüdinnen und Juden aus Wien. wina hat sechs von ihnen gefragt, wie sie dorthin gekommen sind, wo sie derzeit leben und arbeiten. Von Reinhard Engel
Daniel Kravtschenko, 30
Im Herzen der Schweizer Finanzwelt
Er hat zwei besonders wichtige Kunden: eine der größten Banken der Schweiz und Europas und eine der bedeutendsten Versicherungen. Das Unternehmen, für das Daniel Kravtschenko in Zürich arbeitet, heißt Gartner Research und berät auf globaler Ebene Firmen beim Einsatz von Informationstechnologie: „Wir machen ständig Marktanalysen, untersuchen Best Practices, analysieren Abläufe.“ Auf dieser Basis empfehlen sie dann etwa den Großbanken, welche Computer, welche Programmpakete für ihre Aufgaben notwendig wären.
Kravtschenko, 30, ist von Gartner über eine Internet-Plattform – XING – gefunden und in Wien angesprochen worden. Das Angebot für den Job in Zürich, er heißt Account Executive, war lukrativ, außerdem ist seine Freundin Schweizerin. Seine ersten beruflichen Schritte hatte er bei IBM in Wien gemacht, zuerst Firmen über die Unternehmenssoftware SAP beraten, dann als Verkäufer Mittelbetriebe in ganz Österreich abgeklappert. Am Schluss betreute er einige wenige Großkunden – und wurde zum Ziel der Recruiter von Gartner. Kravtschenko hat Wirtschaftsinformatik am Technikum Wien studiert, davor die Zwi Perez Chajes Schule besucht. In Zürich arbeitet er heute in einem internationalen Team, „aber meine Firma hat mit dem Gründer, Gideon Gartner, einen jüdischen Kern.“ Im Geschäftsalltag spiele das allerdings keine Rolle.
Miriam Feyer, 28
Personalmanagement in Queens
Ihre Alltagsprobleme sind nicht ohne: „Ein Mitarbeiter hat einen Todesfall in der Familie, muss schnell weg und wir brauchen Ersatz für ihn. Dann folgt ein Treffen mit dem Gewerkschaftsvertreter, darauf ein Treffen mit den Küchenchefs, schließlich mehrere Vorstellungsgespräche und dazwischen eine Flut an Mails.“ Miriam Feyer, 28, leitet aktuell die Personalabteilung von Do & Co in New York und ist verantwortlich für 500 Mitarbeiter. Dorthin gekommen ist sie auf der Express-Spur.
Sie hat in Birmingham und Wien Psychologie studiert und sich dann bei Do & Co beworben. „Ich wollte zu einem erfolgreichen und internationalen Unternehmen und bin in der Gastronomie groß geworden. Mein Vater hat 25 Jahre lang das Szenelokal Ma Pitom im Wiener Bermudadreieck betrieben. Do & Co war also naheliegend.“ Sie wurde in der Personalabteilung aufgenommen und übernahm in nur zweieinhalb Jahren immer mehr Verantwortung. Doch dann kam ihre Chance – und Herausforderung.
Vor etwas mehr als einem Jahr erhielt Do & Co den Auftrag zum Catering von zehn täglichen British-Airways-Flügen von New York nach London, man musste innerhalb weniger Wochen 250 neue Mitarbeiter einstellen – vom Koch bis zum LKW-Fahrer. Und Feyer stieg ins Flugzeug, um auszuhelfen, geplant waren drei Monate. Doch aus dem Kurzzeiteinsatz wurde ein Managementjob. Das Unternehmen wächst in den USA weiterhin schnell, mittlerweile werden in der Großküche in Queens unweit vom Kennedy Airport neun große Fluglinien bekocht.
Gefragt, welchen Einfluss ihre jüdische Erziehung auf ihre Einstellung und Karriere gehabt habe, antwortet sie ganz schnell mit den Worten: „Meine Eltern haben mich Toleranz und unternehmerisches Denken gelehrt, es wurde bei uns zuhause sowohl sozial als auch unternehmerisch gedacht. Das habe ich von ihnen mitbekommen.“
Daniel, 27, und Tommy, 25, Kulcsar
Business international
Mit internationaler Wirtschaft wollten sie beide etwas zu tun haben, das war den Brüdern Daniel und Tommy Kulcsar schon am Ende ihrer Wiener Schulzeit klar, auch wenn sie dafür ganz unterschiedliche Wege einschlugen. Daniel studierte Jus mit Schwerpunkt Europarecht, erst in England, dann in Belgien und den Niederlanden. Tommy zog es nach Kanada, seine Fächerkombination war Politik und Management. Heute sind sie beide junge Manager in Unternehmen, die auf europäischer Ebene agieren.
Daniel, 27, arbeitet als Senior Account Executive in Brüssel für die Public-Affairs-Firma G+, die zur globalen Omnicom-Gruppe gehört. „Wir machen klassisches Lobbying und auch europaweite Medienbetreuung für internationale Konzerne.“ Daniel hatte sich schon im Studium darauf konzentriert, wie die EU funktioniert, und genau da setzt auch sein Arbeitgeber an. „Aber es geht alles sehr transparent zu“, erzählt Kulcsar. „Wenn ich jemanden in der EU-Kommission anrufe, muss ich als Erstes nicht nur mein Unternehmen nennen, sondern auch meinen Auftraggeber.“ Er hat sich in Spezialgebiete eingearbeitet, wie den Solarstreit mit China oder Fischereirechte. Vor Kurzem wurde er befördert und wird in das europaweite Team von Gazprom wechseln. Kommentar seines Bruders: „Wahrscheinlich freut er sich schon auf die Fußballtickets von Gazprom.“
Tommy, 25, hat sein Büro im eleganten Londoner Mayfair. Dort arbeitet er für eine amerikanische Private-Equity-Firma. „Wir bekommen von Investoren Geld für Unternehmensübernahmen“, erzählt er. Damit können sie die Firmen zehn Jahre behalten, restrukturieren, mit anderen in Nachbarländern verschmelzen. Es geht um Unternehmensentwicklung, nicht darum, schnell zu kaufen und zu verkaufen. Tommys Aufgabe ist es, in Österreich, der Schweiz und in Teilen Deutschlands interessante Kandidaten zu finden, etwa Mittelbetriebe, wo ein Patriarch keine Nachfolger hat. Die beiden Brüder waren in Wien in der religiösen Misrachi-Gemeinde zuhause gewesen. Im Ausland haben beide wieder jüdische Institutionen gesucht und gefunden, nicht zuletzt als wärmende Anlaufstelle in der Fremde. Tommy arbeitet auch als Freiwilliger in einem Jugendclub, dem Londoner Center for Jewish Life.
Denise Feiger, 30
Design am Zürichsee
Der See ist nur ein paar Blocks entfernt. Rundherum finden sich einschlägige Unternehmen: Druckereien, Architekturbüros und Medienagenturen. Auch das Büro von Felix Partner selbst ist in einer ehemaligen Druckerei untergebracht.
Denis Feiger arbeitet hier als Designerin, mit einem weiteren Kollegen. Felix Partner vereint unter einem Dach ein Architekturbüro, eine Immobilienfirma und ein Designstudio. Entsprechend abwechslungsreich sind die Aufgaben der kleinen Abteilung. Feiger: „Zunächst einmal ist da das Immobilienmarketing. Ich designe Verkaufsbroschüren, Websites und Zeitungsinserate. Aber wir arbeiten auch an eigenen Designprodukten, in den letzten Monaten habe ich etwa an der Fertigstellung einer Bettwäsche-Kollektion gearbeitet.“
Denise ist von Wien über den Zwischenstopp Mailand nach Zürich gekommen. Sie wollte sich nach der Matura im jüdischen Zwi Perez Chajes Gymnasium auf Grafik spezialisieren, aber die Aufnahme an die Werbeakademie des WIFI klappte nicht. Also studierte sie an der Uni Wien Publizistik und besuchte daneben Grafikkurse in Wien und London. „Vieles habe ich mir selber beigebracht, etwa Photoshop, und ich habe auch immer wieder Projekte gemacht. Aber in Österreich ist es eben schwer, ohne Titel einen Job zu bekommen.“
Dann stieß sie im Internet auf das Masterprogramm der Scuola Politecnica di Design in Mailand. Am Ende des Studiums muss ein Praktikum absolviert werden, viele tun das in der Umgebung von Mailand. Denise wollte aber aus persönlichen Gründen nach Zürich und suchte daher dort. Aus den Praxis- und Probemonaten bei Felix Partner wurde übergangslos ein fester Job.
Jascha Widecki, 25
Service für die Superreichen
Widecki arbeitet in einem Londoner Stadtpalais. Nicht weit von seinem Schreibtisch öffnen sich hohe Türen auf den weitläufigen stuckverzierten Ballsaal, den Mitglieder von Quintessentially für ihre Familienfeiern mieten können. Quintessentially ist ein Luxusdienstleister, der Menschen das Leben erleichtert, die „cash-rich and time-poor“ sind. „Wir können ihnen Fußballtickets für ein ausverkauftes Chelsea-Stadion besorgen, einen Privatjet buchen oder einen Tisch in einem exklusiven Restaurant in Barcelona reservieren“, erzählt Jascha, 25, der als persönlicher Betreuer für die ganz wohlhabenden „Elite“-Mitglieder arbeitet.
Widecki hat in England Volkswirtschaft abgeschlossen und bei Do & Co in Wien und London im Eventmanagement gejobbt. Das ausgeklügelte Servicesystem von Quintessentially ließ ihn anschließend in London bleiben. Hier hat der „Lifestyle Service“ seine Zentrale, weltweit gibt es mehr als 60 Büros. Wenn ein Broker in der City 14 Stunden im Büro sitzt, kauft eben jemand anderer ein teures Geschenk für seine Frau oder kümmert sich um ein standesgemäßes Ferienhaus fürs Skifahren in den Alpen. „Bei uns hat man die Krise nicht stark gespürt“, erzählt Widecki. „Wir wachsen nach wie vor. Und auch wenn die wirklich reichen Leute ein bisschen sparen, dann geben sie immer noch sehr viel aus.“
Er selbst ist dabei, sich im Unternehmen weiterzuentwickeln. In den letzten Monaten betreut er etwas weniger Kunden als früher und begleitet stattdessen seinen Chef, einen der Quintessentially-Gründer, zu dessen Terminen. Eventuell öffnet das die Türen zum Management.