Mehr als zehn Jahre später wird nun im Oktober die neu gestaltete österreichische Schau eröffnet. Die Neukonzeption erfolgte prozesshaft unter Einbindung zweier Beratungsgremien – einem wissenschaftlichen Beirat und einem gesellschaftlichen Beirat, der die Anliegen betroffener Interessenvertretungen, Opferverbände und Religionsgemeinschaften vertrat – und wurde vom Nationalfonds koordiniert. Bei der Ausschreibung konnte sich das Kuratoren- und Kuratorinnenteam unter der Gesamtleitung von Hannes Sulzenbacher und der wissenschaftlichen Leitung von Albert Lichtblau durchsetzen, dem Birgit Johler, Christiane Rothländer und Barbara Staudinger – sie wird im Sommer 2022 Direktorin des Jüdischen Museums Wien – angehören. Für die architektonische Ausstellungsgestaltung zeichnet Martin Kohlbauer verantwortlich.

Titel der neuen Ausstellung ist Entfernung. Österreich und Auschwitz. Sie setzt sich mit den Schicksalen österreichischer Opfer im KZ Auschwitz auseinander, zeigt aber auch die Mittäterschaft und Verantwortung von Österreichern an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Sichtbar wird dabei der Bruchzwischen der damaligen Realität von Leben und Sterben in Auschwitz-Birkenau und dem vorher und außerhalb des Lagers geltenden Bezugssystem in Österreich. Was im KZ passierte, ist nun im Museum in Form realer Objekte präsentiert, was damals in Österreich passierte, erfahren die Besucher in einem virtuellen Ausstellungsraum. So werden das „Hier“ und „Dort“ miteinander verknüpft.
Die folgenden Fotos beleuchten den Prozess der Neukonzeption und zeigen, was den Besucher in der neu gestalteten Ausstellung erwartet. WINA bat zudem Menschen, die an diesem Prozess der Neupositionierung Österreichs an diesem historisch so wichtigen Ort beteiligt waren, um ihre Gedanken zu den hier gezeigten Aufnahmen.

 

Hannes Sulzenbacher,
Leiter des Kuratoren- und Kuratorinnenteams

Thema Entfernung. Aus Österreich, aus dem Leben und schließlich aus dem Bewusstsein der Bevölkerung. © Hannes Sulzenbacher

Die neue österreichische Ausstellung in der Gedenkstätte von Auschwitz-Birkenau trägt den Titel Entfernung. Österreich und Auschwitz. Entfernung bedeutet in diesem Zusammenhang erstens die räumliche Distanz zwischen Österreich und Auschwitz, die Teil der nationalsozialistischen Verheimlichungsstrategie des Massenmordes war. Zweitens findet sich das Prinzip der Entfernung in der Geschichte, die in der Ausstellung erzählt wird: Die Anfänge dieser Geschichte liegen in Österreich, sie endet in Auschwitz. Damit erschließt sich die dritte Dimension der Entfernung: Sie bedeutete für die Verfolgten des NS-Regimes ihre Entfernung aus Österreich, aus dem Leben und schließlich aus dem Bewusstsein der Bevölkerung.
Um die „Entfernung“ nicht nur intellektuell begreifbar, sondern auch visuell und sinnlich erfahrbar zu machen, besteht der Hauptteil der historischen Ausstellung im Block 17 der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau aus zwei einander bedingenden und miteinander verbundenen Visualisierungs- und Inhaltsebenen: „Hier“ (Auschwitz) und „Dort“ (Österreich). Im „Hier“ werden reale Gegenstände aus Auschwitz, Zeugnisse nationalsozialistischer Verfolgungs- und Vernichtungspolitik in großen Vitrinen, gezeigt. Sie sind eingebettet in ihren unmittelbaren räumlichen Zusammenhang – also im „Hier“, dem Ort des Terrors. Mit ihnen wird von den österreichischen Opfern und Täter*innen ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in Auschwitz erzählt.

Sichtbar wird dabei der Bruch zwischen
der damaligen Realität von Leben und Sterben
in Auschwitz-Birkenau.

Die zweite Ebene der Ausstellung widmet sich den Inhalten, die den Nationalsozialismus in Österreich, seine Vorgeschichte, den „Anschluss“, den Aufbau und die Struktur des Terrorregimes, die darin eingebundenen Akteurinnen und Akteure sowie das Schicksal der Verfolgten vor ihrer Deportation nach Auschwitz betreffen. Dieser Ausstellungsteil „Dort“, der ebenfalls durch Objekte in Vitrinen präsentiert wird, ist nicht real vorhanden, sondern wird als Film auf vier Wänden gezeigt. Die Dokumente und Gegenstände auf diesem Film sind also nicht real vorhanden. Dies soll verdeutlichen, dass die politischen Entwicklungen in Österreich, aber auch alle persönlichen Beziehungen, alle Dinge, die einmal persönlich von Bedeutung waren, für die nach Auschwitz Deportierten nicht mehr greifbar und im Zusammenhang mit dem täglichen Überlebenskampf ohne Bedeutung waren. Alles, was für sie einmal Österreich war, war nun nur mehr Erinnerung. Nur mehr, was Auschwitz war, war von Bedeutung.

 

Hannah Lessing,
Generalsekretärin des Nationalfonds

Die Transportkarte ihrer Großmutter, die Hannah Lessing lange vergeblich gesucht hatte. © Yad Vashem

Viele Jahre habe ich bei meiner Arbeit im Nationalfonds Geschichten über die Schicksale anderer gehört. Bis ich dann eines Tages eine Transportkarte gefunden habe – die Transportkarte meiner Großmutter von Theresienstadt nach Ausschwitz.
Davor hatte ich in Theresienstadt oft nach Hinweisen gesucht – vergeblich. Ich hatte immer diesen Traum, dass ich mit den Archiven, die uns zur Verfügung standen, herausfinden würde, dass meine Großmutter noch lebt, dass ich sie meinem Vater zurückbringen könnte.
Nun, mit der Transportkarte, versuchte ich, in Auschwitz mehr über ihr Schicksal und die Umstände in Erfahrung zu bringen: Doch sie war nirgendwo als Häftling registriert worden. So wurde mir klar, dass meine Großmutter – falls Sie die Deportation überlebt hatte – direkt nach ihrer Ankunft in Auschwitz in der Gaskammer ermordet wurde.
In den vergangenen Jahren habe ich viele Berichte über diese Transporte von Theresienstadt nach Ausschwitz gelesen. 2005 besuchte ich schließlich zum ersten Mal das heutige Museum Ausschwitz-Birkenau. Ich musste mir vorstellen: Dies ist der Ort, an dem irgendwo die Asche meiner Großmutter ruht. Seit der Nationalfonds die Koordinierung der Neugestaltung der Österreich-Ausstellung übernommen hat, habe ich viele weitere Reisen nach Ausschwitz gemacht. Jedes Mal lege ich an einem anderen Platz einen Stein für meine Großmutter nieder und sage für sie Kaddish, das Totengebet. Margit Lessing, meine Großmutter. Möge ihre Erinnerung immer ein Segen sein.

Sussmann-Fenster. Heinrich Sussmann war selbst Auschwitz-Überlebender. Seine Fenster zeigen, was für die Häftlinge Auschwitz bedeutete, ohne dass es viele Worte braucht. © BF/MINICH

Herta Neiß,
Vorsitzende des gesellschaftlichen Beirats

Das für mich zentrale Objekt in unserer neuen Länderausstellung ist der Zyklus der Sussmann-Fenster. Heinrich Sussmann, selbst Auschwitz-Überlebender, hat mit den Glasfenstern Von Rauch und Flammen geschwängerter Himmel, In Flammen betender Jude, Gaskammer, Schreiende Not und Das bittere Ende das Unbegreifliche in Form dieser Fenster darzustellen versucht. Für uns als Lagergemeinschaft bleiben sie als Teil der ersten Ausstellung, die 1978 eröffnet wurde, erhalten, was wir sehr begrüßen. Es waren die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz, die Mitglieder der Lagergemeinschaft, die an der ersten Ausstellung noch maßgeblich mitgearbeitet und auch Objekte ihr persönliches Schicksal betreffend eingebracht haben. Die SussmannFenster stellen dabei ein Bindeglied zwischen diesen beiden Ausstellungen dar und beziehen damit meinem Empfinden nach symbolhaft die ehemaligen Häftlinge ein. Die Sussmann-Fenster zeigen, ohne dass es viele Worte braucht, was für die Häftlinge Auschwitz bedeutete. Und letztlich soll dieser Ort neben der Wissensvermittlung auch jener sein, an dem Überlebende und deren Familien der Opfer gedenken.

Vielfältige Freizeitgestaltung. Für SS-Angehörige fanden regelmäßig Theateraufführungen und andere Veranstaltungen statt. Zum Wiener Abend kamen Künsterlinnen und Künstler der Wiener Staatsoper, des Burgtheaters und des Volkstheaters. © Archive of the Auschwitz-Birkenau State Museum, Oświęcim

 

Claire Fritsch,
Leiterin der Koordinierungsstelle im Nationalfonds

Man würde heute intuitiv die Entfernung zwischen Wien und Auschwitz als ziemlich groß einschätzen. Das stimmt auch mit dem Konzept der Nationalsozialisten überein, dass der Massenmord möglichst abgeschirmt von der Welt stattfinden sollte. Doch besteht diese Distanz mehr im Kopf als auf der Karte – zwischen den beiden Orten liegen nur knapp 400 Kilometer. Die Ausstellung mit dem Titel Entfernung. Österreich und Auschwitz erinnert daran, dass die beiden Orte durchaus miteinander verknüpft waren. Während die Häftlinge – manchmal auch nur zur Belustigung der Wachen – gepeinigt, gedemütigt, ausgehungert und getötet wurden, erfreute sich die SS an einem vielseitigen Unterhaltungsprogramm, unter anderem auch aus Wien. So gaben etwa am 23. Mai 1944 Mitglieder der Staatsoper, des Burgtheaters und des Volkstheaters ein Gastspiel für die SS. Dieser „Wiener Abend“ beendete einen Tag, an dem Selektionen der Transporte aus Italien, Ungarn und Frankreich stattgefunden hatten. So „entfernt“ war Auschwitz.

 

Martin Kohlbauer,
Architekt

Gedenkbereich. Das „Hier“ (Auschwitz) und das „Dort“ (Österreich) sind der Ausgang für den minimalistischen Gestaltungsansatz.

Das komplementäre Bespielen zweier Ausstellungsorte, das „Hier“ (Auschwitz) und das „Dort“ (Österreich), hier physisch und dort virtuell, ist der Ausgangspunkt für den minimalistischen Gestaltungsansatz. Mit einem sehr klaren und einfachen Raum-im-Raum-Konzept habe ich den inhaltlichen Vorgaben und Ideen wie auch dem gänzlich unfassbaren Ort mit seinen mannigfachen Bezügen Rechnung getragen.

 

 

Was im KZ passierte, ist nun im Museum in Form realer Objekte präsentiert,
was damals in Österreich passierte,
erfahren die Besucher in einem virtuellen Ausstellungsraum. 

 

Barbara Staudinger,
Co-Kuratorin

Fenster in der Baustelle. Die
Metamorphose von Lager zu
Museum wurde als künstlerische Forschung begleitet. © Ruth Anderwald + Leonhard Grond

Das ehemalige Konzentrationsund Vernichtungslager Auschwitz ist heute Friedhof, Gedenkstätte und Museum. Die ehemaligen Häftlingsblocks im so genannten Stammlager Auschwitz I wurden durch Umund Einbauten in museale Räume umgestaltet. Auch im Block 17 wurden die Einbauten der alten österreichischen Ausstellung entfernt, ein „originaler“ Zustand wiederhergestellt, um schließlich durch den Einbau einer inneren Verschalung eine Distanz zur Außenwelt und damit einen Museumsraum zu schaffen. Diese Metamorphose, der Übergang von einem Zustand in den anderen, wurde als künstlerische Forschung durch Ruth Anderwald und Leonhard Grond begleitet. Baustelle Erinnerung lautet der Titel.

 

Brigitte Halbmayr,
Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats

Karteien von Hermann Langbein (1912–1995) zu ehemaligen KZ-Häftlingen und zum KZ-Personal.

Hermann Langbein war politischer Häftling im „Stammlager“ Auschwitz I, Schreiber des SS-Standortarztes Eduard Wirths sowie Mitglied des internationalen Lagerwiderstands. Nach 1945 sammelte er systematisch Berichte von ehemaligen Häftlingen und Informationen über das KZ-Personal. Diese Karteien bildeten eine wichtige Grundlage für Langbeins jahrzehntelange Arbeit an der Dokumentation der Verbrechen in Auschwitz. Er unterstützte damit wesentlich die Justiz bei der Verfolgung von NS-Tätern und -Täterinnen. Als Biografin von Hermann Langbein freue ich mich besonders darüber, dass er gleich zu Beginn der Ausstellung mit den von ihm angelegten Karteien vertreten ist. Sie zeigen, wie umfangreich, systematisch und genau Langbein bei der unermüdlichen Suche nach den Tätern und der Unterstützung der Opfer vorging. Hermann Langbeins Bedeutung für unser heutiges Wissen über die Verbrechen von Auschwitz und das Funktionieren der Todesmaschinerie, aber auch über die Teilnahme von Österreicher*innen an der Verfolgung und Tötung von unzähligen Menschen ist nicht hoch genug einzuschätzen.

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