Die Netzwerker

Für Adolf Hitler war die Neue Freie Presse „das Judenblatt“. Damit war das Schicksal des Blattes in der NS-Zeit besiegelt. Der damalige Herausgeber und Chefredakteur Ernst Benedikt (1882–1973) konnte sich nach einer Gestapo-Haft nach Schweden retten. Von dort kam nun ein Kulturschatz zurück nach Österreich: die Korrespondenzensammlung von Ernst Benedikt und seinem Vater Moriz Benedikt (1849– 1920), der zuvor die Neue Freie Presse geleitet hatte.

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Der österreichische Publizist Ernst Benedikt mit seiner Frau Irma und den Kindern, 1927. © OeNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Arnhilt Inguglia-Höfle hat zwei Boxen vor sich liegen. Sie enthalten jene Teile der Korrespondenzensammlung von Vater und Sohn Benedikt, dessen Absender und Absenderinnen die Archivare und Archivarinnen der Nationalbibliothek bereits zuordnen konnten. Eine dritte Box harrt noch dieser Arbeit. Insgesamt umfassen die drei Archivboxen an die 540 Korrespondenzstücke – von Briefen über Postkarten bis hin zu Visit karten, auf die eine kurze Botschaft notiert worden war, erklärt Inguglia-Höfle. Sie ist die stellvertretende Leiterin des Literaturarchivs und Literaturmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB).

Inguglia-Höfle freut sich über diesen Kulturschatz. Einerseits ergänzt er den Nachlass Ernst Benedikts, über den die ÖNB bereits verfügt. Ernst Benedikt war nicht nur Journalist und Publizist, er war vor allem auch Autor und hinterließ eine Vielzahl von Dramen, aber auch Prosa. Andererseits bemüht sich die ÖNB seit vielen Jahren um das Thema Exilliteratur. „Wenn man sich etwa den Nachlass Stefan Zweigs ansieht, ist dieser auf an die 80 verschiedene private und öffentliche Archive, Orte und Institute weltweit verstreut.“ Das sei gerade bei Exilautoren und -autorinnen oft der Fall. „Der ÖNB ist es ein großes Anliegen, diese Bestände wieder zurückzuholen, zusammenzuführen und zusammenzuhalten.“

Deshalb habe man sich über die Schenkung der Familie Kronholm ebenso gefreut wie zuvor über die Schenkung des Nachlasses von Ernst Benedikt durch dessen Nachfahren. Das Schicksal von dessen vier Töchtern hat erst vergangenes Jahr Benedikts Enkel, Ernst Strouhal, im Buch Vier Schwestern. Fernes Wien, fremde Welt (Zsolnay) dokumentiert. Die Benedikts hatten sich im Exil mit den Kronholms angefreundet, in einem Keller wurde das untergebracht, was man mitnehmen konnte. Das Haus in der Himmelstraße 55 in Döbling wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ebenso enteignet wie die umfangreiche Bibliothek und Kunstsammlung der Familie. Die Korrespondenzensammlung muss für Ernst Benedikt jedenfalls einen Wert dargestellt haben – sonst hätte er sich wohl nicht bemüht, die Schriftstücke außer Landes und so in Sicherheit vor dem Zugriff und damit der potenziellen Vernichtung durch die Nazis zu schaffen. Worin besteht aber nun der Wert dieser Sammlung? „Wir haben gerade erst mit der bibliothekarischen Erschließung begonnen“, sagt Inguglia-Höfle.

  Die Absender der Schriftstücke an Vater und Sohn
Benedikt
lesen sich jedenfalls wie ein
Who is Who der Jahrhundertwende.  

 

Die Korrespondenzstücke werden erfasst und in säurefreie Umschläge verpackt. So stehen sie dann der Forschung zur Verfügung. An der ÖNB würde man sich freuen, wenn sich hier dann auch bald Wissenschafter und Wissenschafterinnen der Schriftstücke annehmen.

Was aber bereits nach der ersten Sichtung gesagt werden könne, sei, dass hier ein imposantes Netzwerk abgebildet werde, so die stellvertretende Leiterin des ÖNB-Literaturarchivs. Ähnlich wie im Nachlass Berta Zuckerkandls, über den die Nationalbibliothek ebenfalls verfügt, zeige sich hier die beeindruckende Vernetzung von Vater und Sohn Benedikt. Die Sammlung umfasse nämlich keine vollständigen Briefwechsel, sondern viele einzelne Schriftstücke. Oft handle es sich dabei um Terminbestätigungen, etwa von Politikern oder Künstlern und Künstlerinnen.

Aus jüdischer Sicht interessant ist ein Schreiben Theodor Herzls aus Istanbul. Er kündigt darin Moriz Benedikt einen Beitrag an und bittet um einen Termin in der Redaktion nach seiner Rückkehr nach Wien. Herzl schrieb viele Jahre für die Neue Freie Presse, für die er das Feuilleton leitete. Worüber Herzl in dem Blatt allerdings nie schrieb, war seine Idee des „Judenstaates“. Benedikt sei dem Zionismus skeptisch gegenübergestanden, habe aber gleichzeitig Herzl geschätzt – und ihn auch noch dann finanziell unterstützt, als er gar nicht mehr für die Neue Freie Presse tätig gewesen sei, so Inguglia-Höfle. Sohn Ernst Benedikt wiederum, wie sein Vater stark assimiliert, aber immer noch Mitglied der IKG, habe später aus dem Exil für verschiedene jüdische Medien geschrieben.

Die Absender der Schriftstücke an Vater und Sohn Benedikt lesen sich jedenfalls wie ein Who is Who der Jahrhundertwende, der zu Ende gehenden Monarchie und der Zwischenkriegszeit. Unter den Briefschreibern und -schreiberinnen finden sich so prominente Namen wie Marie von Ebner-Eschenbach, Mark Twain, Gerhart Hauptmann, Arthur Schnitzler, George Bernard Shaw, aber auch Winston Churchill, Lord Chamberlain, Wilhelm Furtwängler, Eduard Hanslick oder Anna Bahr-Mildenburg. Etwas aus dem zeitlichen Rahmen fällt ein Schreiben von Fürst Metternich. Wie dieses in die Sammlung kam, werde noch zu erforschen sein, sagt Inguglia-Höfle.

Die erste Sichtung zeigte: Oft ging es eben um Terminvereinbarungen, aber eben nicht nur. „Es gibt auch vereinzelt kurze Beileidsbekundungen und Glückwunschkarten, was über das rein Berufliche hinausgeht.“ Was aus den Korrespondenzen inhaltlich herauszulesen sein werde – etwa auch über das jüdische Selbstverständnis von Vater und Sohn Benedikt –, wird nun Aufgabe der Forschung sein. Inguglia-Höfle würde sich jedenfalls darüber freuen, wenn die nun zugängliche Korrespondenzensammlung Interesse bei Wissenschaftern und Wissenschafterinnen wecken würde.

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