Hass und Hetze im Netz

Rassismus und Judenhass sind alte Hüte und begleiten die Menschheit seit jeher mit unterschiedlicher Brutalität. Neu ist derzeit die wachsende Intensität, mit der sie im anonymen virtuellen Raum auftreten.

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Doron Rabinovici / © APA Picturedesk/ Marko Lipus

Im Juli dieses Sommers wurde der deutschen Öffentlichkeit eine neue Studie über Antisemitismus vorgestellt. Wer – wie etwa der Präsident des Zentralrates, Josef Schuster, und der Beauftragte der deutschen Bundesregierung für jüdisches Leben und Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein – meinte, es hätten die Vorfälle gegen Juden in den letzten Jahren zugenommen, konnte sich angesichts der Ergebnisse bestätigt sehen. Aber manche Wissenschaftler, so etwa der Altmeister der Vorurteilsforschung, Wolfgang Benz, hatten dagegen gehalten: Die Ressentiments wären auf dem Rückzug.

Tatsächlich kann es niemand leugnen: Antisemitismus war einst ein stolzes Bekenntnis und ein gesellschaftlicher Konsens. Den alten Klischees wird nicht mehr öffentlich gefrönt. Wer heute Vorwürfe gegen Juden vorbringen will, leugnet zunächst am besten, etwas gegen sie zu haben. Besonders gefinkelt wird es, wenn jene, die hetzen, erklären, sie seien nun die neuen Juden, und so auf zynische Weise Täter und Opfer kurzerhand austauschen. Wir kennen das ja zur Genüge von Heinz-Christian Strache.

Ist es nicht gerade die historische Erfahrung,
die zur erhöhten Alarmbereitschaft berechtigt?
Es gilt, aufmerksam zu bleiben, weil wir wissen,
wie mörderisch der Judenhass werden kann.

Zweifellos ging es den Juden im Europa der letzten Jahrzehnte besser denn je zuvor in ihrer Geschichte. Die Klage, die Situation werde seit 1945 immer nur schlimmer, klingt ein wenig schräg: Die jüdische Sehnsucht nach den Tagen von Auschwitz ist doch eher gering.

Aber ist es nicht gerade die historische Erfahrung, die zur erhöhten Alarmbereitschaft berechtigt? Es gilt, aufmerksam zu bleiben, weil wir wissen, wie mörderisch der Judenhass werden kann.

In der neuen Langzeitstudie der Technischen Universität Berlin belegten die Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel und ihre Mitarbeiter die starke Zunahme antisemitischer Äußerungen im Netz, doch ebenso auf den Kommentarseiten von Qualitätszeitungen. Das internationale Pilotprojekt fußt auf einer Datenbasis, die alle bisherigen Dimensionen sprengt. Eigens entworfene Programme durchsuchten 66.000 Websites und mehr als eine Viertelmillion Userkommentare. Als Vergleichskorpus wurden 20.000 E-Mails an den Zentralrat der deutschen Juden und an die israelische Botschaft in Berlin hergenommen.

Die Untersuchung kam zum Schluss, die Muster des Vorurteils hätten sich nicht so sehr verändert, wie oft vermutet wird. Die alten Feindbilder tauchen immer wieder auf. Die analytische Differenzierung nach den unterschiedlichen Formen des Antisemitismus wird von der Realität teils widerlegt, da das Teilen und Weiterleiten von einer Seite zur nächsten so schnell funktioniert.

Im Netz zählt redaktionelle Verantwortung wenig. Die Tabus werden nicht beachtet. Der Antisemitismus kann hier unkontrolliert wuchern und brutal werden. Von einer Zunahme des Ressentiments sprechen die Forscher.

Die Methodik der Studie mag kritisch beleuchtet, die Interpretation auch diskutiert werden. Umstritten bleibt immer, wie Antisemitismus definiert werden soll. Klar ist jedoch: Judenhass und Rassismus gewinnen im Netz an neuer Intensität, und dieses Hetzklima untergräbt das Vertrauen in kritische Medien und die Demokratie. Aber eben deshalb ist es wichtig, der Frage nachzugehen, wie dem Hass und der Hetze im Zeitalter digitaler Revolution entgegengetreten werden kann. 

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