Keine „b’soffene G’schicht’“

Antisemitische Vandalenakte in Wien erschüttern die Öffentlichkeit. Warum passieren sie hierzulande häufiger als anderswo, und was wird dagegen getan?

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Die zerstörten Bilder am Ring des Fotografen Luigi Toscano wurden teilweise von spontanen Freiwilligen geflickt und von mehreren Mahnwachen nächtelang bewacht. © Schlomo Hofmeister

Es ist kalt geworden im Land. Über Nacht hat sich der Frühsommer verabschiedet und ist dichten Wolken gewichen. Ein grauer Himmel hängt über der Stadt und wirft am Morgen sein weißes Licht auf ein beklemmendes Bild der Zerstörung. Irgendjemand hat über Nacht die Porträts der Holocaust-Überlebenden, die der Künstler Luigi Toscano auf der Wiener Ringstraße aufgestellt hat, beschädigt.
Er hat sich hingestellt vor die Gesichter jener Menschen, die die Hölle gesehen haben und sie überlebten, und sie zerschnitten. Direkt hineingeschnitten in ihre Augen, in ihre Münder, in ihre Köpfe. Bis die Bilder nur noch in Fetzen in den Rahmen hingen.
Was muss in jemandem vorgehen, welche Zerstörungswut in ihm toben, welche Vernichtungsfantasien ihn umtreiben, um so etwas zu tun? Welcher Hass beherrscht einen
Menschen, der zu so einer Tat fähig ist? Aber war es wirklich nur einer? Sind die viel zitierten „Einzelfälle“ nicht in Summe schon wieder sehr viele?
Ist der Protest gegen sie zu leise gewesen, zu zaghaft, zu unbestimmt? Hat die Politik aus Gründen des Machterhalts zu lange geschwiegen? Man fragt sich, welche Priorität
der Kampf gegen Antisemitismus bei den Volksvertretern eigentlich hat. Wie wichtig es ihnen ist, dass Jüdinnen und Juden in diesem Land angstfrei leben können, sich ohne Furcht frei bewegen können. Wie sehr ihnen die Gemeinde abseits von Veranstaltungen, auf denen sie große Reden schwingen, am Herzen liegt.
Vielleicht ist man zu leichtfertig davon ausgegangen, dass ein breiter Konsens in der Gesellschaft dieses Landes existiert, dass „nie wieder“ auch wirklich „nie mehr wieder“ bedeutet. Ein Vorwurf, den man sich schon gefallen lassen muss, wenn man bedenkt, in wie vielen Städten die Ausstellung Toscanos gastiert hat, ohne dass auch nur ein einziger antisemitischer Zwischenfall registriert werden musste.

»Ich möchte hier aufpassen, um
diese Menschen zu beschützen.«

Österreich ist anders. Nur wenige Tage vor der Zerstörung der Porträts der Holocaust-Überlebenden wurden bereits einige mit Hakenkreuzen beschmiert, und auf die
Informationstafel zur Ausstellung hat jemand mit dickem schwarzen Stift „1 Jesus = 6000000 Juden“ geschrieben.
Das macht Angst. Das ist kein dummer Bubenstreich, keine „b’soffene G’schicht’“, das ist brutaler Antisemitismus, ungezügelter Hass auf Juden. Das erinnert an die düsterste Zeit der Geschichte dieses Landes. Die mörderischen Folgen des Antisemitismus sollten eigentlich jedem im Geschichtsunterricht erklärt werden, aber man muss sich angesichts dieser Vorfälle laut fragen, ob das wirklich genügt.
Wie oft werden Formulierungen verwendet, die antisemitische Botschaften in sich tragen, ohne dass laut widersprochen werden würde? Wie schnell schleichen sich in Wortmeldungen von Politikern antisemitische Untertöne, die stehen gelassen werden. Weil man sie, selbst wenn man darauf hingewiesen wird, nicht korrigieren will.
Wie steht es wirklich um das historische Bewusstsein, und was wird konkret abseits von Lippenbekenntnissen unternommen, um es zu schärfen? Viele Gedenkstätten
in Österreich leiden unter chronischer Unterdotierung, der Gedenkdienst kämpft überhaupt um seine Existenz.
Das Bewusstsein für Gedenkstättenarbeit ist weder in der Bevölkerung noch in der Politik so ausgeprägt, wie es die Vergangenheit verlangen würde.
Denn Antisemitismus ist weit mehr als der abstoßende Vandalismus am Wiener Ring. Es ist die „Ostküste“, die verschwörerisch in Reden von Populisten verwendet wird. Es sind die Andeutungen, die im Zusammenhang mit Namen wie Rothschild oder Soros gemacht werden. Es ist der orthodoxe Junge, der auf seinem Roller nach Hause fährt und auf der Gasse von Jugendlichen beschimpft, verlacht, bedroht wird. Antisemitismus kommt von rechts und ja, auch von links, wenn man sich manche Broschüren von Globalisierungskritikern ansieht.
Innerhalb weniger Stunden nach den Vandalenakten haben sich spontan Freiwillige zusammengetan, um die Porträts am Ring zu bewachen. Mitglieder eines Künstlerkollektivs,
Jugendliche aus katholischen und muslimischen Verbänden.
Sie trotzten Regen und Kälte, um ein Zeichen zu setzen gegen Zerstörung, Hass und Antisemitismus. „Ich möchte hier aufpassen, um diese Menschen zu beschützen“, hat eine von ihnen gesagt. Ein Vorsatz, der für uns alle gelten sollte.


Barbara Kaufmann studierte Film in Wien. Sie war bei Ö1 als freie Mitarbeiterin tätig,
drehte Dokumentationen für den ORF und verfasste Drehbücher für ATV. Sie arbeitete
für Datum, Presse, Falter, Standard.at und NZZ.at und lebt heute als freie Autorin und Filmemacherin in Wien.
www.barbarakaufmann.wordpress.com

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