Wohin mit dem „Nazi-Dreck“?

Wenn bei der Räumung eines Hauses plötzlich NS-Devotionalien und Familienerinnerungsstücke aus der Zeit des Nationalsozialismus auftauchen, wollen viele Menschen nur eines: diese Sachen möglichst rasch loswerden. Doch dann stellt sich die Frage: einfach wegwerfen? Verkaufen? Oder wohin kann ich solche Dinge quasi in Obhut übergeben?

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"was man mit dieser Ausstellung nämlich auch anstoßen wolle, sei der innerfamiliäre Diskurs, wie künftig mit solchen Objekten umgegangen werden soll"

Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum heißt die neue Ausstellung im Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ), die diesen Sonntag (12. Dezember) ihre Pforten öffnet und dazu einen Diskussionsprozess anstößt. Die Schau begrüßt die Besucher mit drei Fragen: „Aufbewahren? Verkaufen? Zerstören?“ Auf Kärtchen sind dazu typische Dinge aufgezeichnet, die immer wieder in Verlassenschaften auftauchen: eine Armbinde des „Volkssturms“ zum Beispiel, ein Teller mit einem „Reichsadler“-Stempel auf der Unterseite, „Reichsmark“-Münzen oder ein Fernglas der „Wehrmacht“. Die Besucher können dann ankreuzen, ob sie dieses Objekt eben entsorgen, behalten oder verkaufen, und auch ergänzend dazuschreiben, warum sie so entscheiden würden.

Das Plakat zur Ausstellung ziert eine Glühbirnenverpackung, auf die mit Edding „NAZI-Dreck“ geschrieben wurde. In ihr befanden sich viele kleine Abzeichen und Anstecker aus der NS-Zeit. Foto: Markus Wörgötter

 

Die Ausstellungsmacher wiederum weisen dann daraufhin, welche Implikation jede der drei Entscheidungen mit sich bringt: was etwa darf ich zu Hause aufbewahren und was fällt unter NS-Wiederbetätigung? HdGÖ-Direktorin und Mitkuratorin der Schau, Monika Sommer, erzählt hier etwa von einem Anruf an einem späten Nachmittag, mit dem sich Erben an das Museum wandten mit der Frage, was sie mit einer Lade voller „SA“-Dolche tun sollten. Solche Waffen privat zu besitzen ist verboten. Dürfte man sie oder andere Dinge verkaufen? Auch darüber wird in der Ausstellung aufgeklärt. Und wo kann ich Dinge, die ich nicht zerstören, aber auch nicht behalten möchte, abgeben?

Genau hier kommen Museen wie das HdGÖ ins Spiel. Bei 35 Prozent der Schenkungen an das HdGÖ handelt es sich um Objekte aus der Zeit des Nationalsozialismus, erklärt Sommer. Immer wieder würden auch NS-Devotionalien zum Kauf angeboten, doch hier gebe es eine klare Linie ihres Hauses: „Wir wollen für NS-Objekte kein Steuergeld ausgeben und damit auch den diesbezüglichen Markt nicht weiter bedienen.“ Dass es diesen Markt durchaus weiterhin gibt, haben die Ausstellungsmacher penibel recherchiert: Der Marktwert einer Ausgabe von „Mein Kampf“ beträgt zwischen 30 und 240 Euro, der des Bildbandes „Mit Hitler in Polen“ zwischen 50 und 75 Euro. Es gibt aber auch Objekte, die noch viel mehr einbringen können: so werden „Ehrenbürgerbriefe“ – also Urkunden, mit denen Adolf Hitler zum Ehrenbürger eines Ortes gemacht wurde – um bis zu 10.000 Euro gehandelt. „Und die gibt es zu Tausenden“, sagt Co-Kurator Stefan Benedik.

Angenommen werden vom Haus der Geschichte also nur Schenkungen. Allerdings sagt Sommer auch klar: nicht alles, was hier angeboten würde, könne auch in die Sammlung des Museums übernommen werden. Basis der Entscheidung, ob ein Objekt angenommen werde oder nicht, ist auch die Geschichte, die es dazu nach der NS-Zeit zu erzählen gibt. Ein Flohmarktfund ohne Provenienzgeschichte interessiere das Museum nicht. Wenn eine Familie aber erzählen könne, wie und warum das Objekt aufbewahrt wurde und warum man sich nun davon trennen wolle, dann erzähle das auch viel über den Umgang mit dem Nationalsozialismus in den Jahrzehnten nach 1945. Und das seien die Geschichten, für die sich das Museum interessiere.

In der Schau stellte das Kuratorenteam die Situation der Übergabe und Begutachtung eines Objekts nach. Jedes ausgestellte Objekt steht auf einem Tisch, daneben wurde die Verpackung (vom Koffer bis zum Plastiksackerl) platziert. Foto: Klaus Pichler / hdgö

 

Das Plakat zur Ausstellung ziert eine Glühbirnenverpackung, auf die mit Edding „NAZI-Dreck“ geschrieben wurde. In ihr befanden sich viele kleine Abzeichen und Anstecker aus der NS-Zeit. Die Schachtel ist nun ebenso in der Ausstellung zu sehen wie viele anderen Verpackungen. Warum? In der Schau stellte das Kuratorenteam die Situation der Übergabe und Begutachtung eines Objekts nach. Jedes ausgestellte Objekt steht auf einem Tisch, daneben wurde die Verpackung (vom Koffer bis zum Plastiksackerl) platziert, auf Kärtchen wird die Relevanz des Gegenstands für die Sammlung des Museums erklärt. Fünf Fragen werden dabei beantwortet: „Was ist dieses Objekt? Wofür steht dieses Objekt? Wer verwendete dieses Objekt und wie? Was wird über dieses Objekt erzählt? Wie kann dieses Objekt im Museum verwendet werden?“

Wer hier bei einer der Stationen ein Haken- oder Mutterkreuz erwartet, liegt falsch. „Die Zeit dieser so plakativen Objekte scheint vorbei zu sein“, erläutert dazu Sommer. Was aber gibt es zu sehen? Ein Liederbuch etwa mit Melodien für die „Jungmädchen“, das von einer Dame bis in die 1980er Jahre im Flötenunterricht eingesetzt wurde, wie die Nichte nun dem Museum erzählte. Die Überschrift „Liedgut für Jungmädchen“ habe die Tante aber überklebt.

Auf Kärtchen, die neben dem Objekt und dessen Verpackung platziert sind,wird die Relevanz des Gegenstands für die Sammlung des Museums erklärt. Foto: Klaus Pichler / hdgö

 

Ins Auge sticht auch ein Puppenwagen. Gefertigt wurde er aus einer Feldpostkiste, mit dem ein Soldat aus Frankreich Raubgut nach Hause geschickt und dann später, nach seiner Rückkehr, eben einen Puppenwagen gezimmert hatte. Das Adressfeld aber, das beließ er bei der Verwandlung der Kiste, und es ist bis heute im Inneren des Wagerls zu sehen. Damit habe er die Erinnerung an diesen Feldzug bewusst belassen, so Sommer. Ausgestellt ist nun auch ein Foto, das zeigt, wie eine der Töchter mit dem Puppenwagen spielt. Auf dieses Objekt stieß Benedik bei den Recherchen für eine frühere Ausstellung, inzwischen stimmte die Familie zu, es dem Museum nicht nur als Leihgabe, sondern gänzlich zu überlassen.

Und dann sind da noch die zwei Hitlerköpfe, die bei den Umbauarbeiten des Parlaments in einem Kammerl gemeinsam mit anderen Gegenständen, darunter weitere NS-Devotionalien, aber auch etwa eine Architekturzeichnung von Theophil Hansen gefunden wurden. Was Sommer daran besonders spannend findet? Das Parlament habe die Objekte mit NS-Bezug an das HdGÖ übergeben – nicht aber die Hansen-Zeichnung. Ähnliches passiere auch immer wieder mit Fotoalben. Familien würden da zum Beispiel Aufnahmen des Großvaters in ziviler Kleidung herausnehmen und behalten, aber Fotos in „Wehrmachts“-Uniform weggeben wollen.

 

Hier hakt auch Benedik ein: was man mit dieser Ausstellung nämlich auch anstoßen wolle, sei der innerfamiliäre Diskurs, wie künftig mit solchen Objekten umgegangen werden soll. Denn es sei zu hinterfragen, ob das Entsorgen oder Weggeben immer der beste Weg sei. Sich der Familiengeschichte stellen, diese aufarbeiten und reflektieren: erst damit finde auch Akzeptanz statt. Und dann stelle sich die Frage: warum eben zum Beispiel nicht auch das Fotoalbum mit dem Groß- oder Urgroßvater in NS-Uniform behalten und auch diese unliebsame Zeit in die Familiengeschichte integrieren, ohne sie aber zu verharmlosen oder zu erhöhen.

Sowohl Sommer als auch Benedik ist klar, dass es sich hier um eine Gratwanderung handelt. Andererseits macht Sommer auch klar: das HdGÖ kann auf lange Sicht nicht als Depot für all die NS-Devotionalien, die sich noch auf heimischen Dachböden und in heimischen Kellern befinden, dienen. Jedes Objekt müsse inventarisiert und dann auch entsprechend konserviert und gelagert werden, dazu fehlen dem Museum die Ressourcen. Daher nehme man eben auch nur Gegenstände an, die eine Geschichte über die NS-Zeit hinaus erzählen.

Dennoch ist es Sommer wichtig, niemanden abzuschrecken, der nicht weiß, was er nun mit einem solchen Objekt machen soll. Oft kann je nach Art und Geschichte eines Objekts auch an andere Einrichtungen – etwa das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, an das Heeresgeschichtliche Museum, an das Jüdische Museum Wien oder andere Jüdische Museen – verwiesen werden. Anzufragen ist also immer eine gute Idee, eine Garantie, unliebsame Dinge auf diesem Weg loszuwerden, gibt es aber nicht.

Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum

12. Dezember 2021 bis 9. Oktober 2022
im Haus der Geschichte Österreich am Heldenplatz in Wien

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