Israel ist einer der westlichen Staaten mit den höchsten Abfallquoten. Mit der neuen Besteuerung von Plastikgeschirr will das Ministerium für Umweltschutz nun eine Umerziehung der Konsumenten und damit ein Einbremsen im Verbrauch dieser so umweltschädlichen Materialien bewirken. Naturgemäß rief diese Entscheidung bei Herstellern und Vertrieben Unmut hervor. Einige große Plastikhersteller bevorzugen andere Lösungen, wie zum Beispiel die vermehrte Wiederverwertung ihrer Produkte. Takeaway–Unternehmen sind ratlos und berufen sich auf die nötige Hygiene, die ihrer Meinung nach im heißen israelischen Klima und noch dazu in der Zeit von Corona mit herkömmlichen Gläsern nicht gewährleistet ist. Die Idee der Besteuerung sei vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht genug durchdacht, lautet der allgemeine Konsens der betroffenen Branchen. Da bräuchte es noch zusätzliche Maßnahmen, wie etwa Erziehung und Recycling. Im Moment erschwere die Abgabe den weniger zahlungsstarken Konsumenten den Kauf von Wegwerfgeschirr, während die besser Betuchten weiterhin im Verbrauch von Plastiktellern schwelgen können. Ein empörter Aufschrei über die durch die Steuer entstandene Verteuerung kam auch von Konsumenten aus den religiösen Communitys, die eine wichtige Zielgruppe für Wegwerfgeschirr bilden.

© Flash 90/Yonatan Sindel

„Da heißt es schon in Beresheet (Genesis), ‚Gedenkt der
Erschaffung unserer Welt.‘ Und während diese Worte am Freitagabend beim Kiddusch gesprochen werden, sitzt dann oft eine Familie mit 13 Kindern vor mindestens 15 Sets von Plastiktellern.“
Rabbiner Golan Ben-Chorin

Viele der kinderreiche Familien behelfen sich regelmäßig bei Feiertags– und Schabbatmahlzeiten mit Plastiktellern und -bechern, um sich so das Leben ein wenig zu erleichtern. Das Umweltbewusstsein ist dabei oft etwas getrübt, oder, wie Rabbiner Benayahu Tavila es in einem Beitrag mit dem Titel Was ist unsere Pflicht gegenüber der Umwelt beschreibt: „Die Thora-Studienhallen befassen sich nicht mit diesen Themen […]. Der durch das Plastik entstandene Schaden an der Umwelt entzieht sich unserem Blickfeld, das oft nicht über den Mistwagen, der die Abfälle abholt, hinausgeht.“ Haben also die religiösen Texte gar keinen Bezug oder Standpunkt zum Thema Umwelt – ist der Naturschutz denn kein Imperativ oder sogar eine religiöse Pflicht? „Die jüdischen Schriften, wie die Thora und die Halacha sprechen sehr wohl über dieses Thema“, meint der Lehrer und Umweltaktivist aus Jerusalem und verweist auf die Bibel, wo es schon in der Genesis heißt, wir Menschen seien ein Teil der Welt und dürfen sie nicht zerstören. „Die Lebensweise in den charedischen Gemeinden belastet die Umwelt eigentlich kaum, die Leute leben bescheiden, reisen wenig, konsumieren nicht viel, haben meist keine Autos. Aber was den Verbrauch von Plastikgeschirr betrifft, da zeichnen wir uns nicht aus. Es fehlt in unserer religiösen Gemeinde an Bewusstsein für den Umweltschutz. Die Menschen, sind damit beschäftigt, durch den Tag zu kommen, und verlassen sich, was größere Themen wie die Natur betrifft, auf unseren Schöpfer – ‚der wird sich schon um die Welt kümmern.‘“ „Die Reformbewegung in Israel hat sich schon immer mit diesem Thema auseinandergesetzt, zum Teil auch deswegen, weil sie sehr mit der Kibbuzbewegung verbunden ist“, erklärt hingegen Rabbiner Golan Ben-Chorin. Dabei würden auch die Texte mehr in ihrer wörtlichen Bedeutung verstanden, und da gäbe es sehr viele Hinweise zur Bewahrung und Schätzung der Natur: „Da heißt es schon in Beresheet (Genesis), ‚Gedenkt der Erschaffung unserer Welt.‘ Und während diese Worte am Freitagabend beim Kiddusch gesprochen werden, sitzt dann oft eine Familie mit 13 Kindern vor mindestens 15 Sets von Plastiktellern.“

„Die Lebensweise in den charedischen
Gemeinden belastet die Umwelt eigentlich kaum, die Leute
leben bescheiden, reisen wenig, konsumieren nicht viel,
haben meist keine Autos. Aber was den
Verbrauch von Plastikgeschirr betrifft, da zeichnen wir uns nicht aus.“
Rabbiner Benayahu Tavila


Synagoge im Grünen.
Natürlich müsse jeder seine persönlichen Entscheidungen zum Thema Konsum und Umweltschonung treffen, meint der Rabbiner. Er selbst fühlt sich der Natur verbunden und verpflichtet. Er hat noch vor über einem Jahrzehnt in Rosh Pina im Norden Israels eine „Synagoge im Grünen“ gegründet, einen ökologischen Garten, in dem die Betenden der Natur und auch den Naturphänomenen, die in den religiösen Texten beschrieben werden, näher sein können. Und weil wir seiner Meinung nach alle einfach Menschen sind – ohne Grenzen, hielt er dort auch oft G-ttesdienste gemeinsam mit christlichen oder muslimischen Gemeinden ab. Stolz verweist Ben-Chorin auch auf den Tu-Bishvat Seder, die Mahlzeit zum Neujahrsfest der Bäume, der in seiner Gemeinde dieses Jahr wieder ganz im Zeichen der Natur stand. Und er betont die Aktualität des Schmitta-Jahres, das gerade begonnen hat, und die Wichtigkeit dieser Einrichtung für die Umwelt. Dabei soll laut der religiösen Gesetze die Erde alle sieben Jahre ruhen und darf nicht bebaut werden. Was dann dennoch auf den Feldern wächst, wird den Armen überlassen. Mit dieser Auszeit soll eine Ausbeutung des Bodens verhindert und gleichzeitig ein soziales Anliegen erfüllt werden. Damit ist die Schmitta eine wichtige religiöse Vorschrift, um die Erde und ihre Ressourcen zu bewahren. „Im übertragenen Sinn stellt sich damit für jeden von uns auch die Frage, worauf er oder sie persönlich in seinem Leben verzichten kann, um in besserer Harmonie mit der Natur zu leben“, fügt Ben-Chorin noch als weitere Interpretation hinzu. Der Rabbiner, der sich auch als „spiritueller Entrepreneur“ bezeichnet, bewertet die Erziehung zum Umweltschutz und gegen unnötigen Konsum als sehr wichtig und hat auch bei seiner eigenen Familie immer grossen Wert darauf gelegt. So gäbe es bei ihm zuhause beispielsweise keinen Fernseher, „um nicht noch einen unnötigen Bildschirm zu kaufen“. Sein Sohn habe sich dann dennoch einen gewünscht, lebe aber seinen Bezug zur Umwelt auf andere Art: Er verwendet kein Plastik und schuf am Anfang der CoronaEpidemie mit recycelten Möbeln und Accessoires am Rande der Carmel-Wälder neben Haifa einen „gemütlichen Ort im Grünen“ für sich und seine Freunde, aber auch für jeden Vorbeikommenden, der dort verweilen wollte. Für die traditionelleren Gemeinden hingegen sieht der orthodoxe Rabbiner Benayahu Tavila den Zugang nicht so sehr in der Erziehung zum Naturschutz, sondern in einem verstärkten Umweltbezug über die religiösen Texte: „Bei vielen Charedim gibt es großes Misstrauen den Wissenschaften gegenüber, Wissenschaft und Glaube vertragen sich nicht immer. Deswegen ist der wissenschaftlich belegte Zugang zum Umweltschutz in unseren Gemeinden nicht so erfolgreich.“ Er setzt darauf, dass sich bei seiner Gemeinde durch den religiösen Aspekt, also durch vermehrte Diskussionen der relevanten Stellen in der Thora, vielleicht etwas in Richtung Bewusstsein für unsere Welt bewegen lässt.

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