Politischer Widerstand kräftigte Körper und Seele

Der polnische Automechaniker Stanisław Zalewski landete bereits mit 18 Jahren in Gestapo-Haft und anschließend im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Über seine Erfahrungen sprach er mit Marta S. Halpert.

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© Marta Halpert

Seine tiefblauen Augen strahlen mit dem gleichfarbigen Hemd um die Wette. Vor der Fotoaufnahme zückt er flink einen kleinen Kamm und fährt ordnend durch das weiße Haar. Vor dem Gespräch möchte Stanisław Zalewski noch unbedingt seinen Tee trinken und das Tortenstück fertigessen, das ihm das freundliche Team im Polnischen Institut vorbereitet hat. Geschätztes Alter? Nicht mehr als 75. Aber der rüstige ehemalige polnische Widerstandskämpfer ist Jahrgang 1925 – und somit stolze 97 Jahre jung.

Die Einladung Stanisław Zalewskis nach Wien erfolgte auf Initiative der geschichtsbewussten und umtriebigen Direktorin des Polnischen Instituts, Monika Szmigiel-Turlej, die im Status einer Gesandten schon zwischen 2014 und 2019 an der Polnischen Botschaft in Wien tätig war. Als Enkelin eines Widerstandskämpfers hat sich Szmigiel-Turlej unter anderem um deutsche Übersetzungen polnischer Erinnerungskultur* verdient gemacht. Sie organisierte zahlreiche Gedenkveranstaltungen, jüngst brachte sie den Film Marek Edelman … Und es gab Liebe im Ghetto (Polen/Deutschland 2019) zum Jahrestag des Beginns des Warschauer Ghetto-Aufstandes am 19. April 1943 zur Aufführung in Wien. Marek Edelman (1919– 2009) war einer der letzten Überlebenden und Anführer des heldenhaften Aufstands. „Die Regisseurin Jolanta Dylewska drehte diesen Film kurz, bevor Edelman starb. Er erzählt darin unglaublich berührend über seine Jugend im Ghetto, über die Liebe und seine tiefsten Gefühle“, erzählt SzmigielTurlej. „Gemeinsam mit dem mittlerweile verstorbenen Regiealtmeister Andrzej Wajda hat Dylewska die Liebesgeschichten in poetische Bilder gekleidet und virtuos mit Archivmaterial kombiniert.“ Der Film zeigt die Kraft der Liebe, die es auch in dunklen Zeiten vermag, zumindest für Augenblicke Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln.

„Zuerst hofften wir,
dass unsere Situation leichter
werden würde,
doch Gusen wurde zum Vorraum der Hölle.“

Stanisław Zalewski

Im Frühsommer jähren sich jeweils jene Jahrestage, die an historisch bedeutende Ereignisse in Polen, Österreich und ganz Europa erinnern: Symbolisch zu Pessach, dem Fest der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, erhoben sich am 19. April 1943 die jüdischen, vollkommen unzureichend bewaffneten Aufständischen im Warschauer Ghetto und lieferten der deutschen Besatzungsmacht mehrere Wochen lang erbitterte Gefechte.

Am 16. Mai 1943 meldete Jürgen Stroop, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei, als Befehlshaber der Nazi-Truppen die Niederschlagung des Aufstands. Angeführt von polnischen Intellektuellen kam es von 1. August bis 2. Oktober 1944 zur militärischen Erhebung der Polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa – AK) gegen die deutsche Besatzungsmacht: Diese Gegenwehr ging als Warschauer Aufstand in die Geschichtsbücher ein.

Stanisław Zalewski mit der Direktorin des
Polnischen Instituts, Monika Szmigiel-Turlej,

die den ehemaligen Widerstandskämpfer
nach Wien eingeladen hat. © Marta Halpert

Sabotageakte. Aber das Frühjahr markiert auch positive Daten der Befreiung: Am 5. Mai 1945 erreichten US-Truppen die Lager Mauthausen und Gusen. „Es gibt kaum mehr lebende Zeitzeugen der KZLager Mauthausen, Gusen und des Stollensystems Bergkristall“, gibt die Direktorin des Polnischen Instituts zu bedenken. „Bei unserer Lesung aus dem Sammelband Gedichte hinter Stacheldraht (NAP Verlag 2020) haben Kinder und Enkel der polnischen KZ-Häftlinge deren Erlebnisse in literarischer Form vorgetragen.“ Die geschichtliche Einführung an diesem Leseabend, der gemeinsam mit der Mauthausen-Gedenkstätte, Moriah und der Polnischen Botschaft veranstaltet wurde, übernahm der Gast aus Warschau, Stanisław Zalewski, der als ehemaliger Häftling des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, der Konzentrationslager Mauthausen, Gusen I und Gusen II sowie als Aktivist und Vorsitzender der Polnischen Vereinigung der ehemaligen politischen Gefängnisse und Konzentrationslager, viel zu erzählen hatte.

Stanisław Zalewski wurde im Dorf Sucha Wola im Südosten Polens geboren; ab 1930 lebte die Familie in Warschau, wo Stanisław eine Lehre in einer Autowerkstatt begann. Nach der Errichtung des Warschauer Ghettos am 2. Oktober 1940 befand sich diese Werkstatt innerhalb der Ghetto-Mauern. „Ich bekam einen Spezialausweis, damit ich mich frei bewegen konnte – und vor allem erhielt ich mehr Lebensmittelkarten. So konnte ich auch einigen jüdischen Kollegen, die mit deutscher Erlaubnis bei uns arbeiten durften, helfen. Sie waren genauso hungrig und ausgemergelt wie viele andere, die ich auf der Straße zusammenklappen sah“, berichtet Zalewski. „Mein Bruder Józef schmuggelte Reisepässe ins Ghetto, die von südamerikanischen Konsulaten für Insassen des Ghettos ausgestellt wurden. Er rühmte sich auch nach dem Krieg nie dieser Taten.“

Was der junge Stanisław nach dem deutschen Überfall auf Polen miterlebte, motivierte ihn und drei seiner engsten Freunde, sich dem polnischen Untergrund, also dem Widerstand anzuschließen. Diese Entscheidung, die er mit 18 Jahren traf, brachte ihm zuerst die Gestapo-Haft und in der Folge eine qualvolle 545-tägige Odyssee bis zum Ende des Krieges. „Wir waren vier Freunde, die als Gruppe laufend kleinere und größere Sabotageakte durchgeführt haben.“ Am 12. September 1943 flog Stanisław auf und wurde im berüchtigten Gestapo-Gefängnis Pawiak inhaftiert, drei Wochen später befand er sich bereits auf einem Transport nach Auschwitz-Birkenau.

„Da ich zu den politischen Gefangenen zählte, wurden wir ‚nur‘ zur schweren Arbeit angetrieben, nämlich zum Entladen von Baumaterialien und Reinigungsarbeiten. Dabei wurde ich aber Zeuge der schrecklichen Brutalität an den jüdischen Häftlingen. Es war grauenhaft anzusehen, wie die Selektion der Frauen vor sich ging, und bald darauf rauchten die Schornsteine.“ Der rüstige Mann sinkt beim Erzählen nach vorne und sackt in sich zusammen. Er atmet durch und berichtet von der Verlegung nach Mauthausen und ins KZ Gusen I: „Zuerst hofften wir, dass unsere Situation leichter werden würde, doch Gusen wurde zum Vorraum der Hölle.“

Stanisław Zalewski: Ereignisse und Zeichen der Zeit aus den Jahren 1939–1945. New Academic Press 2020, 128 S., € 12

Von Januar bis August 1944 war Zalewski bei den Messerschmitt-Betrieben beschäftigt und musste auf primitive Art Maschinen und Geräte für die Produktion von Rümpfen und Tragflächen für Flugzeuge und Raketen zu den Hallen schieben. Anschließend wurde er nach Gusen II versetzt und dem Kommando „Bergkristall“ zugeteilt: „Bergkristall“ war die Tarnbezeichnung für die Fabrik der Messerschmitt-Düsenjagdflugzeuge. Sie befand sich in unterirdischen Stollen und wurde durch Sklavenarbeit von Häftlingen in der Nähe von St. Georgen betrieben.

„Die SS-Männer quälten und schlugen mich, manchmal einfach zum Spaß. Nachdem ich im Gesicht und Mund eitrige Wunden bekam, erfuhr ich, dass meine Peiniger kleine Metallstücke in ihre Handschuhe einlegten, um so ihre Schlagkraft zu verstärken.“ Die erste medizinische Versorgung konnte erst nach der Befreiung im Mai 1945 in der Ambulanz des Sammellagers für Displaced Persons in Nürnberg durchgeführt werden. Dorthin war Zalewski nach der Befreiung gemeinsam mit anderen Polen vom US-Militär gebracht worden.

Großteils zu Fuß erreichte Stanisław Zalewski nach 78 Tagen Warschau: „Mein Heimweg nach Polen dauerte vom 6. Mai bis zum 22. Juli 1945. Er führte über Linz zuerst nach Nürnberg, dort wurde ich einem Reparaturtrupp der amerikanischen Armee zugeteilt. Kurze Zeit trug ich sogar eine US-Uniform“, lacht der Widerstandsfähige. Das Zuhause war zerstört, ein Bruder und die Mutter wurden Opfer des Krieges. Sie erlitt mit 52 Jahren tödliche Verletzungen durch Bombensplitter. Doch Zalewski ließ sich nicht unterkriegen, er begann gleich wieder zu arbeiten und holte die unterbrochene Schulbildung nach: Er wurde Diplomingenieur für Fahrzeugtechnik.

Über seine Kriegserlebnisse wollte kaum jemand etwas wissen, und er wollte auch nie wieder nach Österreich reisen. Erst spät begann sein einziger Sohn Hubert, Fragen zu stellen. Er drängte den Vater dazu, seine Erfahrungen niederzuschreiben und überzeugte ihn 1983, gemeinsam an die Orte des Grauen, nach Mauthausen-Gusen, zu fahren. Erst nach dieser Reise in die Vergangenheit engagierte sich Zalewski in den Vereinen der Ex-Häftlinge, suchte die Begegnung mit Jugendlichen und referierte an Schulen. Aus Anlass des 75. Jahrestages der Befreiung der Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Jänner 2020 war Stanisław Zalewski einer der Redner bei der internationalen Gedenkfeier.

* Dokumentationen: Polnische Häftlinge im Konzentrationslager Gusen von Danuta Drywa und Fünf Jahre KZ von Stanisław Grzesiuk (gemeinsam mit den Mauthausen-Erinnerungen, New Academic Press).

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