VON FRANKREICH BIS INS BURGENLAND

Quer durch Europa haben Juden seit dem 13. Jahrhundert ihre kulturellen und religiösen Spuren hinterlassen.

1706
Synagoge Carpentras. Der Synagogenbau aus dem 18. Jahrhundert spiegelt das zeitgenössische barocke Dekor wider. © Wikipedia CC

SYNAGOGE CARPENTRAS

Knapp 30 Kilometer von der französischen Stadt Avignon entfernt liegt die Stadtgemeinde Carpentras. Im 13.Jahrhundert haben sich in dem kleinen Städtchen mit heute etwa 30.000 Einwohnern Juden unter dem Schutz des damaligen Papstes von Avignon angesiedelt. 1367 wurde eine Synagoge errichtet, die heute als eine der ältesten Europas gilt.
Der Bau der Synagoge wurde an der Stelle eines in der Rue de la Muse gekauften Hauses begonnen, das als Bethaus diente. Anstelle des alten Hauses musste der Neubau innerhalb genehmigter Abmessungen, das heißt einer Länge von nicht mehr als fünf Canes (etwa zehn Meter) errichtet werden. 1473 lebten etwa 90 Familien im jüdischen Viertel von Carpentras. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt hauptsächlich mit Handel, landwirtschaftlichen Produkten und mit Krediten.
1523 verschlechterte sich durch Beschränkungen der Aktivitäten das Leben der jüdischen Familien. Als Folge schrumpfte die Gemeinde erheblich. Nach den Vertreibungen von 1570 und 1593 verblieben nur wenige Familien in Carpentras. Erst als 1669 die kleinen umliegenden Gemeinden des Comtat Venaissin zusammengefasst wurden, lebten wieder 83 Familien, also 298 Personen in und um Carpentras. Bis zum Ende des 17.Jahrhunderts wurde die Synagoge immer wieder verändert. Doch Ende des 17.Jahrhunderts verfiel der Synagogenbau zunehmend, und es fehlte an ausreichenden Mitteln, um eine Renovierung zu finanzieren.
Erst Anfang des 18. Jahrhundert wurde mit der Planung eines Neubaus begonnen, der aber lange Zeit Gegenstand eines Streits über die Dimensionen war, die schließlich durch den damaligen Bischof auf jene des ursprünglichen mittelalterlichen Baus festgelegt wurden. Als die Bauarbeiten 1741 begonnen wurden, ging es rasch voran, denn es galt der steigenden Zahl an Gläubigen – Ende des 18. Jahrhunderts waren es 2.000 – gerecht zu werden.
Der Synagogenbau des 18. Jahrhunderts spiegelt das zeitgenössische barocke Dekor wider. So führt eine monumentale Treppe vom Erdgeschoss in den ersten Stock und verdeckt die bescheidene Fassade der Synagoge. Im Erdgeschoss stellen die rituellen Bäder (Mikwe) und zwei Bäckereien einige der ältesten erhaltenen Merkmale des Gebäudes dar. Bereits 1924 wurde die Synagoge von Carpentras unter Denkmalschutz gestellt.
Die Innenausstattung der Synagoge ist bemerkenswert: Die emaillierte Decke ist mit blauen Sternen dekoriert. An den Wänden befindet sich eine Holzvertäfelung, die Dekoration des Tabernakels ist vergoldet, und zwischen den Säulen, die die Tevah tragen, befindet sich der Stuhl des Propheten Elia. Die G’ttesdienste werden im Gebetsraum von einem speziell ernannter Rabbiner abgehalten, der die Gebete in einer speziellen Sprache, dem Judeo-Comtadin, leitet. Bis heute werden G‘ttesdienste für eine kleine örtliche Gemeinde abgehalten, auch um die Relevanz für die heutige Gesellschaft zu demonstrieren.
2001 unterstützte der WMF konservatorische Arbeiten im Inneren der Synagoge. Der Putz an Decken und Wänden wurde gereinigt, die Bodenfliesen erneuert und die Treppe repariert. Zusätzlich wurde ein Durchgang für eine Buchhandlung geschaffen. Elektro- und Beleuchtungssysteme wurden auf zeitgemäße Standards gebracht, um modernen Bedürfnissen gerecht zu werden.
Die Synagoge in Carpentras ist ein bedeutender Teil des jüdisch-provenzalischen Kulturerbes und ein Denkmal für die Migrationsmuster von Juden, die vor Verfolgung im mittelalterlichen Frankreich flohen.


SYNAGOGE SZENTENDRE

Knapp 30 Kilometer von Budapest entfernt liegt die kleine Stadt Szentendre an einem Seitenarm der Donau. Szenten dre heißt mit deutschem Namen St. Andreas, nach einer Kirche des gleichnamigen Heiligen, die im 12. Jahrhundert in Szentendre errichtet wurde. Dort, in der großen ungarischen Tiefebene, befindet sich die kleinste Synagoge der Welt.
Seit dem Ende des 17.Jahrhunderts zeichnet sich die Kleinstadt durch Toleranz gegenüber ethnischer und religiöser Vielfalt aus. Die Grenznähe und die Donau trugen darüber hinaus dazu bei, das Zusammenleben seiner ungarischen und serbischen Bevölkerung und anderen Kulturen zu fördern und zu einem Ort des friedlichen Miteinanders, der Integration und des produktiven Austausches zu machen. Auch unter totalitärer Herrschaft konnte sich Szentendre seine künstlerische und kulturelle Freiheit bewahren.
Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten etwa 250 Juden in Szentendre. Sie wurden fast alle in der Schoah ermordet. Heute leben noch etwa 20 bis 30 Juden in der kleinen Stadt, wobei keiner dort geboren wurde. Die kleine Synagoge, eigentlich nur ein „Stibl“, wird von ihnen unter der Leitung eines Budapester Rabbiners auch heute zum Gebet genutzt. Als erste Synagoge, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Ungarn gebaut wurde, ist das Gebäude auch ein Denkmal für die ehemalige kleine, sehr lebendige jüdische Gemeinde, bevor sie durch die Nationalsozialisten ausgelöscht wurde. Das kleine Synagogengebäude dient auch als Museum und wird von einem Nachkommen eines Überlebenden der Familie Szanto unterhalten. An den Wänden im Innenhof der Synagoge sind Tafeln mit den Namen der Opfer angebracht, und es gibt mehrere historische Objekte im ganzen Haus. Neben Artefakten sind auch interessante Fotografien der Familie Szanto ausgestellt. Es gibt Gebetbücher und zwei Thora-Rollen, von denen eine koscher ist. Im Blau gestrichenen Betraum stehen zwei mit rotem Samt überzogene Stühle und ein Holzpult. Der Thoraschrein ist durch eine schwarze gusseiserne Tür geschützt, davor ein mittelblauer Vorhang mit goldenen Inschriften.

In der großen ungarischen Tiefebene befindet sich die kleinste Synagoge der Welt.

Im Hof der Synagoge befindet sich ein kleines Waschbecken mit einem in Stein gemeißelten Magen David.
Einige hundert Meter von der Synagoge entfernt liegt der kleine jüdische Friedhof von Szentendre. Das jüdische Gedenkhaus und der Tempel von Szántó sind von großer historischer Bedeutung, da es der erste Tempel ist, der in Ungarn als Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust gebaut wurde.

Synagoge Szentendre. Die erste Synagoge, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Ungarn gebaut wurde, ist ein Denkmal für die ehemalige kleine, sehr lebendige jüdische Gemeinde.


SYNAGOGE KOBERSDORF

Knapp 30 Kilometer von Eisenstadt entfernt liegt die burgenländische Marktgemeinde Kobersdorf. Aufzeichnungen belegen, dass es bereits im 16. Jahrhundert eine Synagoge gegeben hat, denn in dieser Zeit entstand auch die jüdische Gemeinde von Kobersdorf. Den aus Ungarn vertriebenen Jüdinnen und Juden wurde in der Nähe des Schlosses ein Grund zugewiesen, auf dem sie sich gegen eine Schutzgebühr ansiedeln durften. Im 18. Jahrhundert zählte die jüdische Gemeinde Kobersdorf 18 Familien, die in einer organisierten Gemeinde mit Synagoge, Friedhof, einem Rabbiner, Schächter, Schulsinger und einem Gemeindegericht lebten. Ab dem 18. Jahrhundert fiel Kobersdorf und damit auch die jüdische Gemeinde in den Besitz der Familie Esterházy und stand als eine der „Sieben Gemeinden“ (Sheva Kehillot) mit 746 Personen unter dem Schutz der Adelsfamilie. In den folgenden Jahrzehnten nahm die Anzahl der jüdischen Bevölkerung im mer weiter ab, bis 1938 nurmehr 223 Juden in Kobersdorf lebten. Nach 1945 kamen dann nur drei Überlebende in die Gemeinde zurück.
1857 fiel die ursprüngliche Synagoge einem Brand zum Opfer und es wurde ein neues, größeres Synagogengebäude in der Nähe des Schlosses im Stil des Historismus gebaut, das bis heute besteht. Aus bisher ungeklärten Gründen wurde die Synagoge während der Reichspogromnacht nicht angezündet und zerstört. Nach 1945 wurde sie in den Besitz der Israelitischen Kultusgemeinde Wien restituiert, die aber keine Geldmittel hatte, um eine Renovierung durchzuführen. 1994 wurde die Synagoge um 400.000 Schilling an den Verein zur Erhaltung und kulturellen Nutzung der Synagoge Kobersdorf verkauft. Die Kaufbedingung war die Erhaltung und Renovierung der Synagoge sowie die Errichtung eines Museums mit dem Schwerpunkt der Geschichte der „Sieben Gemeinden“. 2010 wurde die Synagoge vom Bundesdenkmalamt offiziell unter Denkmalschutz gestellt, nicht zuletzt, um die Rechtsstreitigkeiten zwischen dem alten und dem neuen Eigentümer der Synagoge beizulegen. Doch auch der Verein stieß bei der Renovierung an seine finanziellen Grenzen, und so übernahm 2019 das Land Burgenland auf Initiative von Landeshauptmann Hans Peter Doskozil sämtliche Verpflichtungen und begann mit der Generalsanierung. Das Architekturbüro Anton Mayerhofer in Neckenmarkt verantwortete die Renovierungs- und Konservierungsarbeiten sowie den Zubau eines Kulturzentrums. Nach eingehenden Untersuchungen konnte der Raumeindruck originalgetreu wiederhergestellt werden. Die weiß übermalten Wände wurden behutsam von der Farbe befreit, um die darunterliegenden Wandmalereien freizulegen. Einige Bereiche blieben allerdings in ihrem ursprünglichen Zustand. So wurden die geplünderten und stark beschädigten Opferstöcke in der Vorhalle nicht restauriert und in der zerstörten Form belassen. Sie sollen ein mahnender Beleg sein, wozu Menschen fähig sind. Die Fertigstellung der Renovierung und Einweihung wird bis zum Sommer 2022 erfolgen. In Zukunft soll die ehemalige Synagoge als Kultur-, Wissenschafts- und Bildungszentrum mit einem Schwerpunkt auf regionaler jüdischer Kultur und Geschichte sowie als Gedenkstätte und Mahnmal genutzt werden.

Synagoge Kobersdorf. Nach dem Brand 1857 wurde ein neues, größeres Synagogengebäude in der Nähe des Esterhazy Schlosses im Stil des Historismus gebaut. © Wikipedia CC

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