Wien hat bekanntlich viele Pluspunkte. Nicht von der Hand zu weisende Vorzüge, beispielsweise jene der landschaftlichen Erfüllung, falls man Weinberge, pittoreske Hügel, Wälder oder Flusslandschaften begehrt. Wien erfüllt auch diverseste Sehnsüchte nach Schönheit, nach Morbidität und nach brutaler Wiener Schnauze (Letztere irrigerweise im Ausland als österreichischer Charme missverstanden), nach Klimt und Schiele, und wem das schon zu schöngeistig-lieblich ist, auch Brus und Export. Aber eines kann Wien leider nicht, und ich muss gestehen, dass ich es – trotz des vielfältigen Wiener Füllhorns – wirklich sehr vermisse. Rasend vermisse sogar. Teils, weil es in meiner Kindheit eine große Rolle gespielt hat, eisüberzogen und in die Unendlichkeit mit Schneegestöber verwoben. Teils, weil es Entspannung und Zusichfinden erlaubt, allein der Geruch, der Sound, der Horizont, in den die Sonne verschmilzt … kurzum: Wien wäre zu 120 Prozent perfekt, wenn wir Meer hätten. Haben wir aber nicht. Aber wir haben immerhin Fisch! Und so muss ich die geneigte Leserschaft auf den Vorgartenmarkt lotsen, obwohl auch dieser vom Meer eher weit entfernt ist. Hier trifft man, ausgehend vom Urknall der Familie Babaev, auf reges Familiengeschehen, das sich über mehrere Lokale dehnt.
Wien wäre zu 120 Prozent
perfekt, wenn wir Meer hätten.
Haben wir aber nicht. Aber
wir haben immerhin Fisch!
Wir konzentrieren uns heute auf Fisch. „Fisch am Markt“, im Lokal und im Fischladen, in dem Ella Babaev herrscht, ist ja schon seit Jahren eine Institution; hier bekommt man, wenn man bei den Meeresfreuden bleiben will, hervorragenden Wildfang, Doraden, Branzinos, Jakobsmuscheln und die überwältigenden Sea-Tiger-Garnelen – riesig, gestreift und mächtig wie ein Tiger eben. Alles das roh oder mit viel Liebe vor Ort zubereitet; im Sommer gibt es Schanigarten und zweimal in der Woche jetzt schon Überraschungen im Sortiment. Der Neuzugang „The Catch“, das sich auf Bowls konzentriert, ist eine Anlaufstelle für Ausgefallenes. Hier gibt es Strandatmosphäre mitten im Markttreiben; die Bowls kommen in wunderbaren Schälchen in Seeigeldesign daher, man kann hier lümmelnd fast die Seemöwen kreischen hören.
Das Programm ist – trotz einiger Konkurrenz an bowlzugewandten Lokalen – ziemlich einzigartig. Nordseekrabben und argentinische Wildfang-Rotgarnelen bekommt man sonst eher selten. Hier wird zwar Trüffelmayo ganz klassisch mit flambiertem Lachs und crispy Seaweed kombiniert, aber auch Thunfisch mit saftig frischen Himbeeren, was so unglaublich gut schmeckt, dass man sich fragt, wieso, zum Teufel, man nicht selbst schon früher auf diese Kombi gekommen ist. Und wussten Sie schon, was ein Meeresspargel ist? Hier kriegen Sie, was Sie zu erfahren wünschen, in schöner Kombination mit Shrimps, Himbeerbasilikumdressing, getrockneten Tomaten, gebratenen Edamame und Pinienkernen. So unerwartet wie durchaus beglückend! Und ganz zum Schluss, wenn man nach dem fischigen Exzess immer noch Seesehnsucht empfindet, kann man wenigstens die Bowl ans Ohr halten und dem Meeresrauschen zuhören. Ich weiß allerdings nicht, was der Betreiber Menashe Babaev dazu sagen würde.