Wie das wirklich war mit dem Dirndl

Die Ethnologin und Philosophin Elsbeth Wallnöfer hat die wahre Geschichte des Dirndls recherchiert und in ihrem eben erschienenen Buch TRACHT MACHT POLITIK aufgeschrieben. Mit Tracht hat das Kleidungsstück demnach wenig zu tun. Was hier vor allem verstört: Bis heute hält sich zum Thema Dirndl als Traditionskleidung im Alpenraum jene Geschichte, die die Nationalsozialisten geformt haben. Juden haben darin nichts zu suchen. Dabei gab es sie.

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Sommerfrische-Chic: zwei Dirndl aus der Produktion der Gebrüder Wallach aus München, die nach der Machtergreifung Hilters Deutschland verlassen mussten. © Haas, Robert/SZ-Photo/picturedesk.com

Wallnöfer räumt mit so ziemlich allem auf, was man mit dem Dirndl in Verbindung bringt. Demnach handelt es sich weder um originäre Tracht, noch hat das Kleidungsstück eine Jahrhunderte alte Geschichte. Möglich gemacht wurde die Fertigung von Dirndln nämlich erst im Zug der Industrialisierung.
Wirkliche Trachtengewänder waren aus schweren handgefertigten Stoffen geschneidert, wirkten behäbig und waren, wie die Autorin detailreich schildert, wenig kleidsam. Eine Taille suchte man vergeblich. Die Tracht musste zudem für den Kirchbesuch geeignet und durfte daher nicht offenherzig sein. Wobei Wallnöfer auch nachzeichnet: Tracht war keine Alltagskleidung und wurde auch schon im 19. Jahrhundert zunehmend nur mehr von älteren Menschen getragen. Sie war nicht modisch – doch die Menschen wollten sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten modern kleiden, auch in ländlichen Gegenden. Was Tracht übrigens auch nicht war: uniform. Es trugen nicht in einer Gegend alle Frauen dieselben Farben und exakt gleichen Schnitte. Auch dieses Narrativ geht auf die NS-Zeit zurück.
Baumwollstoffe wurden industriell gefertigt. Sie waren leicht, und man konnte sie bunt bedrucken. Das Landleben faszinierte Städter – mit fortschreitendem Wohlstand verbrachten der Adel und das Bürgertum (auch das jüdische), nicht zuletzt auch im Gefolge des Kaisers, ihre jährliche „Sommerfrische“, etwa im Salzkammergut oder auf dem Semmering. In diesem Setting kleidete man sich gerne ländlich – und so wurde das Dirndl, das sich vom Schnitt her eher an einem schlichten Arbeitsgewand von Mägden orientierte, zum luftigen Kleid, das in der Folge nicht nur während der Sommerfrische, sondern auch in der Stadt gerne getragen wurde. In Österreich tauchten um 1895 in den Modezeitschriften vermehrt Modelle von Dirndlkleidern auf, Baumwolle verdrängte Leinen, Loden, Wolle. „Ab diesem Moment kann man von einer Trennung zwischen Tracht und Dirndl sprechen“, erläutert die Ethnologin.
Kritisch beäugt wurde diese Entwicklung übrigens von jenen, die sich, ganz im Sinn des erstarkenden Nationalismus, in Trachtenvereinen engagierten und versuchten, hier eine Identität durch Tradition zu untermauern. Das Dirndl zählten sie nicht zu dieser Tradition. „Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs lebten also zwei gesellschaftliche Strömungen im Trachtenkosmos nebeneinander her“, schreibt Wallnöfer. „Da wären die Touristen beziehungsweise die Salontiroler, die kunstaffinen und adeligen Menschen, die Tracht und Relikte trachtiger Kleidung mit ihrem Mode-Chic verschmolzen, und als Gegenreaktion zu diesem freisinnigen Spiel erwachten die ersten wissenschaftlich ambitionierten und politisch national orientierten Heimatforscher.“ Salontiroler: Das waren übrigens Städter, die sich in den Alpen im ländlichen Gewand der Einheimischen zeigten, dabei aber dennoch anders wirkten – sei es durch die Frisur, die Haltung oder nicht zuletzt die Auswahl der Strümpfe. Es sei da auch durchaus um Spielereien in Alpenkostümierung gegangen, meint Wallnöfer. Nicht selten habe man sich in dieser „trachtigen Kostümierung“ dann auch in einem Fotoatelier ablichten lassen.

Es trugen nicht in einer Gegend alle Frauen dieselben Farben und exakt gleichen Schnitte.
Auch dieses Narrativ geht auf die NS-Zeit zurück.

Letzteres fanden vor allem Kosmopoliten reizvoll, es war die weltoffene Neugier der Weltbürger am Ländlichen, am Eintauchen in diesen Kosmos. Unter diesen Kosmopoliten fanden sich auch viele unpolitische oder kaisertreue säkulare Juden. Einer, der sich ganz besonders für die Tracht interessierte, war Conrad Mautner (18801924), der Sohn des Textilindustriellen Isidor Mautner (Österreichische Textilwerke). Er dokumentierte etwa, was er im Salzkammergut vorfand, trug eine Trachtenkammer zusammen und legte eine umfangreiche Sammlung an Trachtenbildern an. Sein wichtiger Beitrag zur Geschichte der tatsächlichen Trachten wurde aber bis dato weitgehend ignoriert. Schon zu Lebzeiten Mautners verdichteten sich die antisemitischen Tendenzen. „Die Trennung zwischen jüdischen Trachtlern und deutschösterreichischen Trachtlern nahm damals ihren Anfang, mit verheerenden Folgen. Dabei waren diese Menschen einfach nur Liebhaber österreichischer Traditionen, sie waren Patrioten und romantische Träumer.“

Zwei Dirndl, ausgestellt bei der Ausstellung Dirndl, Truhen, Edelweiß:
Die Volkskunst der Brüder Wallach im Jüdischen Museum 2007. © Haas, Robert/SZ-Photo/picturedesk.com

Während Mautner dokumentierte, was er vorfand, brachten sich zwei jüdische Brüder stark in die Dirndlproduktion ein. Julius (18741965) und Moritz Wallach (18791964) stillten mit ihrem „Fachgeschäft für Landestrachten“ in München das Bedürfnis nach Sommerfrische-Chic. Zuvor hatte die „Schützenliesel“ des Künstlers Friedrich August von Kaulbach (18501920), der für ein Wirtshausschild eine Kellnerin in einem dirndlartigen Kleid mit Dekolleté und taillenbetonendem geschnürtem Mieder malte, für Furore gesorgt. „Selbst als modisches Sommerfrischedirndl war es für das damalige Verständnis zu erotisch, insgesamt zu wenig schlicht und brav“, schreibt Wallnöfer. Es sorgte aber für Gesprächsstoff, kam an und führte zu einer Popularisierung des Dirndls. Und hier kamen dann die Wallachs ins Spiel. Sie ließen die Dirndlstoffe in eigener Produktion weben und färben, diese sollten bis Hamburg und Wien und selbst bis in die USA stil- und geschmacksbildend werden. Sie statteten aber auch Operettenproduktionen aus, etwa Im weißen Rößl. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten waren die Wallachs gezwungen, Deutschland zu verlassen.

Zeichen deutscher Stammeskultur. Das Dirndl aber wurde nun zur Tracht erhoben. Heute würde man von einem gelungenen Framing sprechen ein Framing, das bis heute anhält. Verantwortlich dafür war eine Trachtenforscherin ohne wissenschaftliche Ausbildung aus Tirol: Gertrud Pesendorfer (18951982). Ihr Mann, ein Jurist, war bereits vor 1938 „illegaler Nationalsozialist“ gewesen. Sie wurde nun, wie es Wallnöfer formuliert, zu einer „zentralen Figur der NS-Trachtengeschichte“. Sie wirkte aber auch noch Jahrzehnte weiter: „Alles das, was sie über Tracht und Dirndl sagte und kreierte, kam irgendwann als selbstverständlich ‚geglaubtes‘ Wissen zu uns zurück, weil sie bis in die 1980er-Jahre die Vereine beriet.“
Was machte Pesendorfer? Sie entriss, wie sie sagte, das Dirndl den Modemachern und verpasste ihm ein modern-deutsches Äußeres. „Erneuerte Trachten“ nannte sie es. Auf sie geht die einheitliche weiße Bluse zurück, die weißen Stutzen, ein sauber geknüpftes Mieder. „Gezähmte Erotisierung“ nennt die Autorin es, die ganz bewusst erfolgte: Das Trachtengewand sollte kleidsam sein und auch Schlagseite gegen die Kirche zeigen. Pesendorfer schuf zudem Trachtenlandschaften, die es vorher so nicht gab. Doch auf dieser Basis wurden nach 1945 weiterhin von Trachtenverbänden Jahrzehnte lang Trachtenmappen für ihre Region ausgearbeitet.

Elsbeth Wallnöfer: Tracht macht Politik. Haymon 2020, 272 S., € 24,90

Wenn nun bis heute Parteien mit dieser Form der Tracht liebäugeln und dies vermeintlich im Fortschreiben einer Tradition tun, dann kommt das nicht von ungefähr. „Da nachgewiesenermaßen Tracht im Zuge der nationalsozialistischen Volkstumsideologie als Zeichen deutscher Stammeskultur lanciert wurde, lebt sie besonders in Verbindung mit der Proklamation ethnischer Kulturpolitik, sprich neuerdings von Leitkultur, auf diese Weise ungebrochen im Sinn weiter“, meint Wallnöfer.
So ist es dann auch keine Überraschung, dass die Nazis Jüdinnen nicht mehr im Dirndl sehen wollten. Da war dann etwa in der Kleinen Volkszeitung zu lesen: „Es ist die Hoffnung aller, dass das Judendirndl- und Judenbuamverbot auf alle österreichischen Gaue ausgedehnt wird. Höchste Zeit ist’s! Soll unser Alpenland von geschniegelten Pseudodirndln überflutet werden? Ist man verpflichtet, dickbäuchige Silberfingers und Goldsteins, alpin verkleidet, lustwandeln zu sehen? Ist es nicht schmerzlich genug gewesen, dass eines der Paradiese unseres Landes im Laufe der Jahre derart verjudete, dass man nicht mehr von ‚Ischl’ sprach, sondern nur noch von ‚Ischeles’?“

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