Der Aktivist aus dem Ausland

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Seit der gebürtige Israeli Tomer Weil in Wien lebt, hat er das Gefühl, etwas beitragen zu können.

Text & Foto: Anna Goldenberg

Wenn man Tomer Weil fragt, wie es ihm in Wien gefällt, erzählt er einen Witz: „Wenn ich wüsste, dass das Ende der Welt käme, würde ich nach Wien ziehen. Dort passiert alles zwanzig Jahre später.“ Wien sei eben eine Stadt, in der die Vergangenheit präsent ist, ob im Tourismus, wo man mit der Monarchie wirbt, oder im jüdischen Leben, das sich viel um den Holocaust dreht. Und dabei gibt es so viel Neues! Trotzdem lebt Tomer, der im Herbst 2012 aus Israel nach Wien zog, gerne hier. „Es ist eine gute Stadt, um ein neues Leben anzufangen.“

„Wenn ich wüsste, dass das Ende der Welt käme, würde ich nach Wien ziehen. Dort passiert alles zwanzig Jahre später.“

Aufgewachsen in Rehovot, studierte der heute 32-Jährige an der Hebrew University in Jerusalem und lebte eine Zeitlang in Argentinien, wo seine Eltern geboren wurden. Dann hörte er von der Lauder Business School. In Wien war er zwar noch nie gewesen, aber das Masterprogramm in Wirtschaft klang gut. Ein paar Monate später saß er im Flugzeug.

„Es war ein einfacher Startpunkt“, sagt er heute über die Fachhochschule. Er lebte im Studentenwohnheim, aß in der Mensa und lernte andere Israelis kennen, darunter auch seine jetzige Frau. Mit Jahresbeginn 2013 wurde er in den Vorstand der Jüdischen Österreichischen Hochschüler gewählt. Die Veranstaltungen, die er erlebt hatte, waren ihm zu wenig interaktiv gewesen. „Die Leute sind gewohnt, zu kommen, zu essen und zu gehen“, sagt er. „Wenn es keine Bemühung gibt, hat es auch keinen Wert.“ Also begann der JÖH-Vorstand, Shabbatessen zu organisieren, bei denen die Gäste Speisen mitbrachten und die Kosten zurückerstattet wurden. „Viele Leute wollen mithelfen. Man muss ihnen eine Plattform bieten.“

Nach seinem Studienabschluss begann Tomer, mittlerweile fließend in Deutsch („das JBBZ hat mich gerettet“), als Financial Controler bei einem Technologieunternehmen in Wien zu arbeiten – und blieb weiterhin aktiv: Gemeinsam mit einem Freund hatte er 2013 den European Muslim-Jewish Dialogue ins Leben gerufen, mit monatlichen Veranstaltungen zu Themen, die beide Religionen interessieren. „Es gibt mehr, das uns eint, als uns trennt“, sagt er. Und seit einigen Jahren organisiert er in Wien Limmud, jährlich stattfindende eintägige Konferenzen, bei denen es Vorträge und Workshops zu jüdischen Themen gibt. (Die nächste findet am 19. November 2017 statt.)

Als Student in Jerusalem sei er nicht so aktiv gewesen, sagt er. Aber in Wien fühlt er, etwas beitragen zu können: Erstens gibt es seiner Erfahrung nach zu wenig Kontakt zwischen der eingesessenen Gemeinde und „jüdischen Ausländern“ wie ihm. An der Lauder Business School habe er etwa nie jemanden von der IKG erlebt, der sich präsentierte oder um Mitglieder warb. Und zweitens will er zeigen, dass das jüdische Leben in Wien nicht nur eine Vergangenheit hat, die mehr umfasst als den Holocaust – sondern auch eine spannende Zukunft.

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