Die Pionierin

Die Künstlerin Edith Kramer (1916 –2014) musste 1938 aus Österreich flüchten. Eine neue Heimat fand sie in den USA. Schon in Europa begann sie sich mit dem Thema Psychotherapie auseinanderzusetzen. In den USA unterrichtete die Pionierin der Kunsttherapie Generationen von angehenden Therapeuten und Therapeutinnen.

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Künstlerin und Therapeutin: Edith Kramer bei einer Ausstellungseröffnung vor ihrem Selbstporträt. © privat; p.lowry on wikimedia

Man hat sie aus Österreich vertrieben, dennoch kehrte sie immer wieder hierher zurück: Nach Grundlsee, wo sie bereits als Kind ihre Sommer verbrachte. Hier starb sie schließlich auch, nachdem sie sich schon eine Weile durch Sinnesverlust in ihr Inneres zurückgezogen hatte, 97-jährig. Die Bilder, die sie in Österreich malte, stellte sie kaum in den USA aus und umgekehrt. Es war, als ob sie die zwei Welten unbewusst getrennt hielt – diesen Eindruck hat man jedenfalls, wenn man die Erinnerungen von Weggefährten hier und dort liest, welche die Edith-Kramer-Gesellschaft nach ihrem Tod in einem Tagungsband veröffentlicht hat.

Kramer wuchs recht unkonventionell auf: Der Vater, Richard Kramer, war mehr in der kommunistischen Partei aktiv, als er sich um seine Frau Josefa (Pepa) Kramer kümmerte, sodass Mutter und Kind bei Pepas Schwester, der Schauspielerin Elisabeth Neumann-Viertel, und ihrem Mann, dem Psychoanalytiker und Pädagogen Siegfried Bernfeld, lebten. So wurde Edith Kramer in einem freigeistigen, künstlerisch-intellektuellem Umfeld groß, besuchte die Schwarzwaldschule, an der Eugenie Schwarzwald außergewöhnliche Lehrer wie Oskar Kokoschka, Adolf Loos oder Robert Musil engagierte.

Schon als Fünfjährige besuchte sie den Zeichenunterricht von Trude Hammerschlag, später belegte sie Kurse bei der Bauhaus-Künstlerin Friedl Dicker-Brandeis. 1934 folgte Kramer – ihr Onkel war der Lyriker Theodor Kramer – Dicker-Brandeis, die schließlich in Auschwitz ermordet werden würde, nach Prag und assistierte dieser bei der Arbeit mit Flüchtlingskindern. Sie begann mit Psychoanalyse bei Annie Reich, die zu einer Mentorin für sie wurde, und sie nahm an der psychoanalytisch-pädagogischen Arbeitsgemeinschaft der Psychoanalytikerin Steff Bornstein. Interessant ist im Rückblick, dass es vor allem Frauen waren, die Kramer prägten.

„Lieber arm bleiben und vor allem nicht
versuchen beruflich ein Psychotherapeut zu werden, weil das vornehmer wäre.
Die Kunst ist viel älter.“

Edith Kramer

In den USA ergatterte sie als ersten Job den als Werklehrerin an einer Schule in Greenwich Village. In den USA nahm aber auch ihre Idee einer Verbindung von Kunst und Therapie beziehungsweise Kunst und Psychoanalyse Form an. Mit ihrem „Graduate Art Therapy Training Program“, das sie gemeinsam mit ihrer Schülerin, der Kunsthistorikerin Laurie Wilson, entwickelte, etablierte sie die Kunsttherapie universitär in den USA.

Eines ihrer Credos: Wer als Kunsttherapeut oder -therapeutin arbeitet, soll auch weiterhin selbst künstlerisch aktiv bleiben. „Wohin auch immer Edith ging, stets nahm sie einen Skizzenblock und Bleistifte mit, ein tragbares Atelier. Immer“, erinnert sich ihr Schülerin Lani Glanville Gerity. Bewusst abgegrenzt hat sie sich von Kunsttherapie als Hilfsmittel in der Psychotherapie. „Sie verstand Kunsttherapie als wesentlichen Bestandteil des, wie sie es nannte, therapeutischen Milieus und als eine Behandlungsform in der Ergänzung zur Psychotherapie, nicht aber als deren Ersatz“, schreibt Ruth Hampe in dem Tagungsband.

Edith Kramer Gesell­schaft (Hg.): Edith Kramer. Pionierin
der Kunsttherapie.
Verlagsgruppe Styria, Wien 2016,
320 S.,29,90 €

Auf Kramers Konto geht auch die Metapher der „dritten Hand“. Was eine Kunsttherapeutin auszeichne, sei die Fähigkeit, eben „eine dritte Hand“ zu führen, „eine Hand, die den schöpferischen Prozess lenkt, ohne sich störend einzumischen und Bedeutungen zu verzerren oder eigene Bildideen und Wünsche durchzusetzen, die dem Patienten fremd sind“, so Edith Kramer. Praktisch heißt das: Der Kunsttherapeut stellt zuerst eine ideale Umgebung her (ein Atelier mit gutem Licht und künstlerischem Material) und unterstützt, indem er oder sie im richtigen Augenblick den passenden Pinsel anbietet, hilft, wenn Farben zu verrinnen drohen oder die Skulptur auseinanderzubrechen beginnt. All das hat Kramer auch in ihrem Standardwerk Kunst und Therapie mit Kindern dargelegt, das 1975 erstmals erschien und inzwischen in viele Sprachen übersetzt wurde. Ihre Überlegungen zu dieser Therapieform hatte sie erstmals 1958 in ihrer Schrift Art Therapy in a Children’s Community festgehalten.

Sie selbst blieb kinderlos und heiratete auch nie. In einem Presse-Interview sagte sie dazu in bereits fortgeschrittenem Alter: „Ich lebe gerne allein – es ist nicht so, dass ich nie jemanden gefunden hätte. Ich war ja nicht so schiach. Aber die Malerei war für mich immer die Hauptsache. Das hält ein Mann nicht aus, dass er nicht das Wichtigste im Leben einer Frau ist.“

Ihr Kunststil war naturalistisch. Sie konnte sich dabei für Landschaften ebenso erwärmen wie für Porträts.

 

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