Woher kommt die Verbundenheit der langjährigen steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic zur jüdischen Gemeinde? Dieser Frage ging IKG-Ehrenpräsident Ariel Muzicant in einem Podiumsgespräch mit der ÖVP-Politikerin im Gemeindezentrum auf den Grund – ein Abend mit durchaus überraschenden Einblicken. Dokumentation: Alexia Weiss
Ariel Muzicant: Mich haben viele Menschen gefragt: Welche Verdienste machen die Frau Klasnic aus? Dass Sie eines Tages Landeshauptfrau der Steiermark werden, haben Sie sich wohl in jüngeren Jahren nicht zu erträumen gewagt.
Waltraud Klasnic: Ich hatte das Glück, im Oktober 1945 geboren zu werden, das heißt, der Krieg war vorbei. Meine Mutter war nicht in der Lage, mich groß zu ziehen. Das heißt, sie wollte mich nicht. Ich habe Pflegeeltern gefunden, die auch ausgebombt waren, aber ich hatte eine sehr liebevolle und gute Kindheit. Wir waren arm, aber wir haben ein Dach über dem Kopf gehabt.
Ich war in der Volksschule, in der Hauptschule. An einem Freitag bin ich heraus aus der Hauptschule, und am Montag musste ich arbeiten gehen. Das heißt, ich habe keinen Beruf. Aber ich habe viel gelernt. Ich habe kein Diplom, kein Zeugnis, aber ich habe immer versucht, an mir selber zu arbeiten. Und es gibt viele Menschen, die mir dabei geholfen haben.
Allerdings habe ich auch erleben müssen, was es bedeutet, wenn man nicht überall willkommen ist – so durften die Nachbarskinder nicht mit mir spielen, weil ich „Barackengesindel“ war. Ich habe es also selber erlebt, was es heißt, ausgegrenzt zu werden. Und ich habe immer gedacht, später, wenn ich die Möglichkeit habe, Entscheidungen mitzutragen, möchte ich niemand Fremden, dem es nicht so gut geht, der nicht im Wohlstand lebt, ausgrenzen.
Ich habe es selber erlebt, und es ist mir wichtig, dass Sie das einmal erzählen – dass Sie eine ganz besondere Sensibilität entwickelt haben, was die jüdische Gemeinde betrifft. Wie sind Sie aber überhaupt in die Politik gekommen?
Das war eigentlich Zufall. Ich habe mit 18 sehr jung geheiratet, mit 24 habe ich schon drei Kinder gehabt, war berufstätig; ich habe in einem Kindermodengeschäft gearbeitet. Mein Leben spielte sich ab zwischen Beruf und Haushalt. Irgendwann habe ich das Gefühl gehabt, es muss sich etwas bewegen im Ort. So habe ich 1970 eine Ortsgruppe der Österreichischen Frauenbewegung ins Leben gerufen. 1970 gab es noch wenige Frauen in der Politik, ich war dann eine von zwölf Gemeinderätinnen in der Steiermark und die jüngste damals. Dann bin ich in den Bezirk gekommen, und von dort ging es weiter.
Sie spüren, wie es uns geht. Sie waren jemand, bei dem man sich „ausweinen“ konnte. Worauf geht das zurück?
Es hat mich unter anderem eine jahrzehntelange Freundschaft mit dem Präsidenten der Kultusgemeinde Graz, Kurt Brühl, verbunden.
Kurt Brühl war ein enger Freund meines Vaters, und da mein Vater früh verstorben ist, hatte er ein besonderes Verhältnis zu mir. Und ich habe oft von ihm gehört, dass es ohne Sie, ohne ihre Vorgänger, nicht möglich gewesen wäre, in der Steiermark wieder eine Kultusgemeinde zu eröffnen. Er hat mir aber auch immer erzählt, wie er kämpfen musste, um das Kaufhaus seines Vaters zurückzubekommen, die Auseinandersetzungen mit den Mitbewerbern, die Ariseure waren.
Die Anfänge des Wiederaufbaus waren bereits vor mir. Mir ist das Thema aber wichtig, es ist Teil der Geschichte. Im November 2000 wurde die Synagoge eröffnet – sie ist etwas Besonderes. Und es gibt in der Stadt niemanden, der nicht stolz ist, dass diese Synagoge steht.