Nur Lärm oder echte Bedrohung?

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Die internationale Bewegung BDS (Boycott, Divestment, Sanctions) attackiert Israel auf verschiedenen Ebenen. Wie gefährlich kann sie für die Wirtschaft tatsächlich werden? Von Reinhard Engel   

Stéphane Richard hatte mit dieser Entrüstung wohl nicht gerechnet. Der Generaldirektor der halbstaatlichen französischen Telecom-Gruppe Orange hatte in Kairo erklärt, er würde sich gerne aus dem israelischen Markt zurückziehen, aber langfristige Verträge hinderten ihn daran. Darauf brach ein Sturm der Kritik los, in israelischen Medien machte die Nachricht Schlagzeilen, bis hinauf zum Ministerpräsidenten kommentierten Politiker diese Ankündigung als antisemitisch.

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Protestaktion vor einem neu eröffneten Geschäft der israelischen Kosmetikfirma Ahava in London.

Eine umfassende antisemitische Welle sei dabei, den gesamten Staat Israel in seiner Legitimität zu unterwandern.

Richard musste bald zurückstecken. Er liebe Israel, und sein Unternehmen habe nicht die Absicht, Politik zu betreiben. Aber die Aktivitäten von Orange in Israel seien eben atypisch, deshalb habe man sie zur Disposition gestellt. Denn man habe keinerlei operativen Einfluss, der Mobiltelefonbetreiber, Partner des Medienunternehmers Haim Saban, habe lediglich die Markenrechte gemietet. Und es bestehe die Absicht, sich von derartigen Positionen zurückzuziehen. Wie heikel die Sache dennoch war, zeigte auch, dass sogar der französische Außenminister Laurent Fabius es nötig fand zu betonen, dass Frankreich keinen Boykott Israels dulden würde.

Was Richard zu seinen heiklen Aussagen in Ägypten bewog, ist nicht ganz klar, aber es gibt Hinweise darauf: Orange ist in zahlreichen Ländern Afrikas und in der arabischen Welt aktiv und baut diese Firmen laufend aus. Und in Frankreich war wenige Wochen zuvor ein Bericht von Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften erschienen, in dem Orange kritisiert wurde da die Gruppe nicht nur in Israel, sondern auch in den besetzten Gebieten mit ihrem Mobilfunknetz präsent ist.

BDS (Boycott, Divestment, Sanctions) ist eine von palästinensischen Organisationen initiierte äußerst heterogene Bewegung. Sie attackiert Israel auf den unterschiedlichsten Ebenen – von der Kultur bis zu akademischen Institutionen, vom Sport bis zur Wirtschaft. Das Spektrum reicht von aggressiv antisemitischen Auftritten – Künstler, Sportler und Forscher sollten ihre Beziehungen zu Israel beenden, manches gemahnt an das Einstige „Kauft nicht bei Juden“ – bis hin zu kühl kalkulierten Aktionen, die sich gezielt gegen jene Unternehmen richten, die außerhalb der Grenzen von 1967 Felder oder Fabriken bewirtschaften. Die Antworten von israelischer Seite fallen ebenso unterschiedlich aus. Sie reichen vom Ignorieren und business as usual bis zum Hochstilisieren einer großen globalen Gefahr: Eine umfassende antisemitische Welle sei dabei, den gesamten Staat Israel in seiner Legitimität zu unterwandern.

Wie gefährlich ist BDS
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Konsumentenboykott gegen israelische Produkte vor einer Filiale der englischen Supermarktkette Waitrose.

Wie bedrohlich kann diese Bewegung für die erfolgreiche israelische Wirtschaft tatsächlich werden? Können Proteste vor Londoner Kaufhäusern die Exporte nach Europa behindern? Werden Hightech-Dienstleistungen aus Tel Aviv, Ramat Gan und Haifa künftig weltweit weniger stark nachgefragt werden?

Es gab einige spektakuläre Fälle, bei denen BDS punkten konnte. So führten etwa wiederholte Proteste gegen eine Fabrik des Herstellers von Geräten zur Sprudelerzeugung zuhause, SodaStream, in Mishor Adumim mit mehreren Hundert palästinensischen Arbeitern dazu, dass das Unternehmen mit einer Neuinvestition aus der West Bank in den Süden Israels auswich. Zwar wurden dafür „wirtschaftliche Gründe“ genannt, aber es war allzu offensichtlich, worin diese bestanden hatten.

Auch bei internationalen Financiers hatte die BDS-Bewegung einige Erfolge. So zog sich etwa schon im Vorjahr der staatliche norwegische Pensionsfonds aus zwei israelischen Unternehmen zurück, wo er investiert gewesen war: Africa Israel und Danya Cebus. Dabei ging es um Bauaktivitäten bei Siedlungen. Die Danske Bank setzte das Rüstungsunternehmen Elbit Systems und die Bank Hapoalim auf eine – umfassende – Liste von Unternehmen, die von Investitionen ausgeschlossen sind. Ähnlich entschied der niederländische genossenschaftliche Pensionsfonds PGGM, hier gleich für die fünf größten israelischen Banken, weil sie jeweils Filialen in den Siedlungen betreiben.

Nizan Feldman ist Ökonom und beschäftigt sich an der Hebrew University in Jerusalem unter anderem mit den Auswirkungen von Krieg und Frieden auf wirtschaftliche Aktivitäten. Er hat sich auch mit der Bedrohungslage, die von BDS ausgeht, befasst. „Viele haben zu dem Thema Stellung genommen, aber kaum jemand hat sich die genauen Zahlen und die ökonomischen Strukturen angeschaut“, kritisiert er. Was die tatsächlichen Exporte der Siedlerunternehmen betrifft, so schätzt sie Feldman als „marginal“ ein. Zwar leben dort mehr als 400.000 Israelis, aber der Großteil verdient sein Geld auf der anderen Seite der grünen Grenze. Exportiert werden lediglich landwirtschaftliche Produkte und Waren aus einzelnen Fabriken. „Das sind vielleicht 0,5 Prozent der gesamten israelischen Exporte“, erklärt der Ökonom.

Aber man müsse auch potenziell größere Bedrohungen anschauen, nämlich jene des Boykotts von Gütern aus der Erzeugung in Israel selbst. „Ich schätze, dass zwischen zehn und 15 Prozent der israelischen Ausfuhren von internationalen Konsumenten boykottiert werden könnten. Den weitaus größeren Anteil machen aber Produkte und Dienstleistungen aus, die an andere Unternehmen geliefert werden.“ Und die Struktur dieser meist Hightech-Exporte sei extrem konzentriert. Feldman: „Etwa die Hälfte wird innerhalb von zehn großen multinationalen Konzernen abgewickelt – etwa von Intel oder Teva.“ Hier sei die Gefahr, dass sich Aktivisten mit ihrer Propaganda durchsetzen könnten, äußerst gering, es gehe um höchste Produktqualität, um Vertrauen zwischen Lieferanten und Kunden, teils um langfristige Beziehungen, etwa bei Pharmazeutika mit Ärzten und Spitälern. Überdies gebe es bei diesen Produzenten so gut wie keine Überschneidung mit der Siedlerökonomie der West Bank.

Mögliche Szenarien

Kritischer könne es werden, so Feldman, wenn sich die BDS-Aktivisten auf so genannte sekundäre Boykotte konzentrieren würden. „Ich will denen wirklich keine Ideen geben. Aber wenn sie sagen, Teva verkaufe seine Medikamente auch in den besetzten Gebieten oder dieser oder jener IT-Konzern verwende Plastikteile, die dort erzeugt wurden, dann könnten sie eventuell ihren Einfluss ausweiten.“ Ähnliches musste etwa der US-Konzern Caterpillar erleben, der dafür attackiert wurde, dass seine Planierraupen zum Siedlungsbau oder von der israelischen Armee zur Zerstörung der Häuser von Attentätern verwendet wurden. Und auch die aktuelle Aufregung rund um Orange ist letzten Endes eine Variante sekundären Boykotts, denn es geht nur um Aktivitäten in den Gebieten, aus denen keinerlei Export auf europäische oder amerikanische Märkte entsteht.

Kurzfristig sieht Feldman daher keine große Gefahr für die israelische Wirtschaft, die aus BDS-Aktivitäten entstehen könnte, auch nicht aus dem Bestreben – etwa auf EU-Ebene –, Produkte aus der West Bank extra auszuzeichnen und nicht allgemein als israelische Exporte durchgehen zu lassen. Gefährlich könnte es nur dann werden, wenn es der BDS-Bewegung gelinge, europäische Touristen und Geschäftsleute dazu zu bringen, Israel insgesamt links liegen zu lassen – als Reisedestination oder als Kunde für Maschinen und Anlagen. Feldman: „Die heutige Wirtschaft ist sehr komplex geworden, und die Substitution wichtiger Maschinenteile geht heute nicht mehr so leicht wie einst, als Israel dazu gezwungen war, aufgrund von Boykotten schnell seine eigene Rüstungsindustrie aufzubauen.“◗

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