Traumabespielung‏

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Das Kunstmuseum Tartu in Estland will die Schoa mit Humor und subversiven Bildern reflektieren. Von Thomas Edlinger

Der Wiener Psychoanalytiker Avi Rybnicki berichtet in einem Text von einer Patientin, die Angst hatte, in ihrer Tel Aviver Wohnung von palästinensischen Terroristen überfallen zu werden. Die Vorstellung verband sie assoziativ mit dem Schicksal ihrer Familie in der Schoa. Auf kollektiver Ebene kehrte das Trauma für viele Israelis im ersten Golfkrieg 1991 wieder, als die Bevölkerung angewiesen wurde, bei Alarm mit Gasmasken die Schutzräume aufzusuchen, um einem möglichen irakischen Giftgasangriff zu entgehen. Auch im letzten Krieg mit der Hamas heulten täglich Sirenen. Sie aktualisierten das Selbstverständnis als Opfer von monströser Gewalt.

Hier wird das Trauma sicher nicht weggelacht und auch nicht ignoriert wie in den Selfies der Ausschwitztouristen, die keinen Bezug mehr zu den Orten des Schreckens zu haben scheinen.

Die israelische Psychoanalytikerin Yolanda Gampel beschreibt diesen Vorgang als radioaktive Identifizierung. Diese vollzieht sich schleichend und unkontrollierbar. Ihr Einfluss wird erst nach Jahren und Generationen manifest. Tatsächlich war die Schoa nicht nur für die Gründung Israels essenziell. Das Andenken an sie ist nach dem Verblassen eines utopisch auslegbaren Zionismus und angesichts der zunehmenden politischen Einsamkeit Israels vielleicht sogar wichtiger als in den Aufbaujahren. Das Trauma verbindet das Selbstverständnis vieler jüdischer Israelis, die zudem von der iranischen Führung fast täglich an einen neuen Genozid in Form der atomaren Vernichtung erinnert werden.

Wege der Traumabewältigung. In Estland widmet sich nun eine Ausstellung zur Schoa aus der Sicht Polens statt, dem Land, in dem die meisten Menschen in den Vernichtungslagern ermordet wurden. Sie führte in Israel und bei jüdischen Organisationen schnell zu empörten Reaktionen. Das Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem forderte wegen „krankem Spott“ die Schließung. Tatsächlich betont die estnische Kuratorin Rael Artel bereits im Katalog zu Mein Polen – Erinnerung und Vergessen den Bruch mit den Darstellungskonventionen des Grauens. Sie spricht von den Prismen des Humors und von Reenactments als Wegen der Traumabewältigung. Beide Strategien vereinen sich in der Fotoarbeit Residents des Polen Zbigniew Libera. Darin stellt er ein berühmtes, für Schulbücher verwendetes Foto der Roten Armee nach der Befreiung von Auschwitz nach, in dem er die ausgemergelten Überlebenden hinter einem Stacheldraht durch fröhlich lachende Komparsen in Decken und gestreiften Pyjamas ersetzt. Hitler muss man kaputtlachen, hat Christoph Schlingensief einmal gemeint. Aber die Schoa durch Laiendarsteller weggrinsen kann man sicher nicht.

Eine zweite, ebenfalls problematische Arbeit stammt vom einem Künstlerinnenduo aus Tallinn, das unter dem Konzeptnamen „John Smith“ ein Bild namens Holocaust beisteuert. Die Malerei zeigt zwei Menschen im Auto, die den an den berühmten Hollywood-Schriftzug erinnernden Schriftzug „Holocaust“ in den Hügeln vor sich sehen. Die Ambivalenz ist schneidend. Der Verweis auf die kulturindustrielle Vermarktung des Schreckens ist evident, zugleich aber schwingt auch der antisemitische Wahn von der jüdisch kontrollierten Film- und Medienwirtschaft mit, die aus dem Holocaust moralischen und finanziellen Profit schlägt.

Der polnische Künstler und Kurator der vorletzten, radikal zum Polithappening umgedeuteten Berlin-Biennale Artur Żmijewski ist gleich mit zwei Videos vertreten. 80064 holt einen 92-jährigen Überlebenden der Vernichtungslager vor die Kamera. Ihm wird die Tätowierung seiner Lagernummer erneuert. Żmijewskis Ziel war es nach eigenen Aussagen, durch diesen brachialen Akt der Traumaaktualisierung die „Türen der Erinnerung“ zu eröffnen. Doch nichts dergleichen passierte, im Gegenteil. Das Opfer von damals wird nochmals zum Opfer gemacht. Der Mann erinnert sich nur daran, wie er schon damals keine Chance gegen die Gewalt hatte und einfach überleben wollte. Die bewusste Wiederholung der Demütigung in Form des Hautritzers und der Versuch, die Erinnerung an die Metaphorik vom Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird, wachzukitzeln, sind obszön.

Eine zweite Videoarbeit Żmijewskis heißt übersetzt Fangenspielen und erscheint widersprüchlicher. Darin spielen nackte Menschen in einem fensterlosen Raum Fangen. Zuerst zaghaft, dann lachend, dazwischen wird die Masse bis auf zwei Personen dezimiert. Am Ende sagt ein lapidares Insert: Das Video spielt in zwei Räumen – einem privaten Keller und einer ehemaligen Gaskammer.

Ist das perverser Humor, wie das Wiesenthal-Zentrum meint? Ist es so unerträglich, dass man die Arbeit, wie 2011 in Berlin geschehen, aus Pietätsgründen aus der Ausstellung entfernen soll? Oder ist sie bloß ein Beleg mehr für die Entweihung der Darstellungstabus, wie sie die Popkultur schon lange zelebriert?

Fest steht jedenfalls, dass das Ansehen dieses Videos keinen Spaß macht. Das Abklatschen verliert durch die Ungeschütztheit der nackten Leiber seine Harmlosigkeit, manche Personen halten sich – vor Scham? – die Hände vor das Gesicht. Hier wird das Trauma sicher nicht weggelacht und auch nicht ignoriert wie in den Selfies der Ausschwitztouristen, die keinen Bezug mehr zu den Orten des Schreckens zu haben scheinen oder sich damit vor zu viel Betroffenheit wappnen. Der ebenfalls in Tartu vertretene Comic-Star Art Spiegelman meint im Katalog, das Trauma sei „die eine monströse Geschichte, mit der man nicht umgehen kann“. Hier wird das Unmögliche versucht und die Erschütterung nach neuen Regeln durchgespielt. Żmijewski begreift sein Video sogar als Therapieform, die er sich von Schulkindern abgeschaut hat, die er in Auschwitz beim Fangenspielen beobachtet hat. Darin kann vielleicht auch ein befreiendes Moment liegen.

Die Ausstellung
Mein Polen – Erinnerung und Vergessen ist noch bis 29. März 2015 im Kunstmuseum Tartu in Estland zu sehen.
Künstlerinnen: Yael Bartana, Joanna Rajkowska, Wilhelm Sasnal und die im Text Genannten.
tartmus.ee/en/ 

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